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Eine Frage der Hautfarbe?

Naomi Conrad 2. Juli 2013

Polizisten, die auf Patrouille im Zug nur den Fahrgast mit dunkler Hautfarbe kontrollieren - aus Sicht von Aktivisten ist das Rassismus. Die Bundespolizei weist den Vorwurf zurück: Jeder werde kontrolliert.

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Beamte der Bundespolizei stehen in der Ankunftshalle von Terminal 1 des Flughafens in Frankfurt am Main - Foto: Arne Dedert (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Abgetretene Stufen führen in den zweiten Stock eines unauffälligen Gebäudes im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Von den grauen Betonwänden blättern bunte Plakate und Aufkleber: Ein Aufruf zur Demonstration gegen die Abschiebung von Asylbewerbern, auf einem anderen erinnern die etwas ausgeblichenen Worte "Oury Jalloh, das war Mord" an den Tod eines afrikanischen Asylbewerbers in einer Polizeizelle. An der schweren Eingangstür wartet Biplab Basu von "ReachOut", einer kleinen Organisation, die Opfer von Rechtsextremismus und Rassismus berät.

Dabei ist Basu oft selbst ein Opfer von Rassismus, erzählt er: Erst vor paar Monaten seien er und seine Tochter nahe der tschechisch-deutschen Grenze im Zug von Polizeibeamten kontrolliert worden - als einzige. Er ist sich sicher, dass die Polizisten zielstrebig auf die beiden zugingen, weil ihre Haut dunkler als die der anderen Mitreisenden war. Biplab Basu, der vor über dreißig Jahren aus Indien nach Deutschland gezogen ist, schüttelt den Kopf. Er hat einen Beschwerdebrief geschrieben, will vielleicht sogar gerichtlich dagegen vorgehen, dass er und seine Tochter aus der weißen Menge herausgepickt wurden. Seit Jahren engagiert sich Biplab gegen "rassistische Polizeikontrollen", wie er sie nennt, hat schon in den frühen 1990ern Demos mitorganisiert, Handzettel kopiert und verteilt. Denn würden nur Dunkelhäutige in Zügen oder auf Flughäfen kontrolliert, ist er überzeugt, dann verfestige sich die Gleichung "dunkle Haut gleich Kriminelle" in den Köpfen der Mitreisenden.

"Strukturelle Diskriminierung"

Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte 2010 - Foto: privat
Anwalt Cremer: "Die Kontrollen verstoßen gegen deutsches Recht"Bild: Hendrik Cremer

Doch mit seinem Engagement sei er in der Minderheit, befürchtet er: "Die Mehrheit der Menschen, die kontrolliert werden, weil sie dunkelhäutig sind, unternehmen gar nichts dagegen, auch wenn sie sich beleidigt und gedemütigt fühlen." Polizeikontrollen seien einfach ein Teil des Lebens für viele dunkelhäutige Menschen. Außerdem sei es nicht einfach, dagegen vorzugehen: Zwar ist Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe ausdrücklich im Grundgesetz verboten. Diskriminierende Kontrollen werden allerdings oft in Zügen oder auf Flughäfen durchgeführt, wo die deutsche Bundespolizei laut Paragraf 22 des Bundespolizeigesetzes Menschen "zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise" kontrollieren darf.

Es handele sich dabei um stichpunktartige Personenkontrollen, ohne dass ein konkreter Verdacht vorliege, erklärt Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. "Die Polizei soll nach Augenschein vorgehen, und in der Realität bleibt im Grunde nichts anderes als das phänotypische Erscheinungsbild eines Menschen." Die Diskriminierung sei also strukturell angelegt. Cremer fordert deshalb, den Paragrafen bedingungslos abzuschaffen.

Der Jurist hat sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt: Er hat vor Kurzem eine Studie zu Paragraf 22 verfasst und in den vergangenen Monaten viele Veranstaltungen besucht, "wo sich Polizei und Kritiker der Praxis gegenübersitzen." Dort habe er immer wieder erlebt, dass Polizeivertreter den Rassismus-Vorwurf einfach nicht verstehen. Wundern tue ihn das nicht: Schließlich würden Beamte explizit von ihren Vorgesetzten angewiesen, Kontrollen aufgrund von bestimmten Merkmalen durchzuführen, sagt Cremer.

Polizei weist Vorwurf von sich

Polizisten kontrollieren am auf dem Flughafen in Hamburg einen Reisenden - Foto: Axel Heimken
Personenkontrolle in Hamburg: "Stichpunktartige Befragung"Bild: dapd

Den Vorwurf weist die Polizei auf Nachfrage der Deutschen Welle klar von sich: "Racial" oder "Ethnic Profiling" werde nicht praktiziert, heißt es in einem schriftlichen Statement der Bundespolizei, das zwei Seiten umfasst. "Adressat unserer Maßnahmen kann jeder sein." Stichpunktartige Befragungen und Kontrollen würden auf Basis "grenzpolizeilicher Lageerkenntnisse" durchgeführt, die deutlich mehr als "nur die ethnische Zugehörigkeit einer Person" umfassen, sondern ebenfalls "Informationen zu Verkehrswegen, möglichen Örtlichkeiten, Zeiträumen, Altersstrukturen, Geschlecht und entsprechenden Verhaltensweisen." Hinzu kämen Kleidung, mitgeführtes Gepäck und "weitere äußere Erscheinungsmerkmale."

Ob es interne Schulungen zum Thema Rassismus oder Diskriminierung bei Personenkontrollen gebe? Die Polizei verweist auf die Aus- und Fortbildung ihrer Beamten, die diese dafür sensibilisiert, dass "polizeiliche Maßnahmen nicht allein von der Nationalität oder der ethnischen Herkunft einer Person abhängig gemacht werden könnten." Außerdem verfüge die Bundespolizei über etwa 800 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Migrationshintergrund.

Anzeigen bei Rassismusvorwurf?

"Augenwischerei, nichts weiter", nennt Aktivist Basu den Rechtfertigungsversuch der Polizei. "Die Hautfarbe ist das erste und wichtigste Kriterium bei diesen Kontrollen, danach kommt alles andere - Punkt. Diese Art von Kontrollen ist rassistisch!" Biplab Basus Handy klingelt: Ein junger Mann, der sich während einer Personenkontrolle über Rassismus beschwerte und kurz darauf ein Schreiben der Polizei im Briefkasten fand: Anzeige wegen Beleidigung. Immer wieder sitzen junge Männer - vor allem sie seien betroffen - auf seinem Ledersofa, die das Gleiche erlebt hätten. Eine Anzeige bekomme man schnell, sagt er.

Rassismus im Alltag

"23!", erzählt Omar stolz - so viele Anzeigen habe er schon bei Polizeikontrollen bekommen. Er habe sie alle an seinen Spiegel gehängt, damit er sie jeden Morgen sieht. Angezeigt wurde der Afghane, weil er protestierte, dass kein anderer im Zug kontrolliert wurde und den Polizisten Rassismus vorwarf. Oder aber weil er die Residenzpflicht verletzt hat: Asylbewerber dürfen sich nur in dem Landkreis bewegen, in dem sie gemeldet sind. Omar zuckt mit den Schultern. Eigentlich dürfte er gar nicht in Berlin sein. Aber er glaubt, dass er unentdeckt bleiben kann: "Weil meine Haut nicht so dunkel ist." Freunde von ihm, Asylbewerber aus afrikanischen Staaten etwa, hätten da deutlich mehr Probleme. Omar ist vor vier Jahren nach Deutschland gekommen, seitdem ist er schon etliche Male kontrolliert worden - "aber nicht so oft wie die mit schwarzer Haut."

Auch er werde eigentlich relativ wenig kontrolliert, sagt Biplab Basu. Vielleicht, weil er seit Jahren immer Anzug trage, sagt er und streicht kurz über sein graues Jackett. Also spielt vielleicht die Hautfarbe allein doch nicht die größte Rolle bei den Kontrollen? Basu überlegt kurz und schüttelt dann den Kopf. Eine Bekannte von ihm habe Ähnliches erlebt: Die namhafte Professorin aus Indien hatte mit ihren Töchtern in Deutschland Urlaub gemacht. Innerhalb kürzester Zeit seien sie mehrmals im Zug kontrolliert worden. "Definitiv wegen der Hautfarbe."