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PolitikPolen

Polnische Intellektuelle helfen der Ukraine militärisch

Lukasz Grajewski
20. September 2023

"Ich unterscheide nicht zwischen humanitärer und militärischer Hilfe", sagt der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk. Er hilft der ukrainischen Armee - so wie fast die gesamte polnische Kulturelite.

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Der polnische Schriftsteller Andrzej Stasiuk vor neutralem Hintergrund, in die Kamera blickend
Der polnische Schriftsteller Andrzej StasiukBild: Konrad Zelazowski /IMAGO

Andrzej Stasiuk ruft an, als er gerade wieder aus der Ukraine nach Polen zurückgekehrt ist. Der Autor von Büchern wie "Galizische Geschichten", "Unterwegs nach Babadag" und "Der Osten", einer der bekanntesten europäischen Schriftsteller, reist regelmäßig in den ostukrainischen Donbass. "Ich bringe dort gebrauchte Geländewagen hin, die von einer befreundeten Stiftung gekauft werden", erklärt er im Gespräch mit der DW. "Das ist momentan die einfachste und effektivste Hilfe."

Vor Ort montieren Soldaten des Donbass-Bataillons 82-Millimeter-Mörser auf die Ladeflächen der Wagen. "Sie fahren damit an die Frontlinie, feuern dreimal und verschwinden, denn nach kurzer Zeit schießen die Russen schon zurück. Geländewagen sind unter diesen Bedingungen unverzichtbar. Man fährt in der Wildnis, oft bei Nacht und ohne Licht. Das ist der blanke Wahnsinn", erzählt Stasiuk vom Kriegsalltag.

Keine moralische Debatte wie in Deutschland

In Deutschland sprechen sich zahlreiche politische Aktivisten, Publizisten, Schriftsteller und andere Kulturschaffende, unter anderem Alice Schwarzer, Juli Zeh und Richard David Precht, gegen Waffenlieferungen aus. In Polen hingegen ist das Engagement von Stasiuk kein Einzelfall. Seit Beginn der russischen Invasion reisen Kulturschaffende, Journalisten, aber auch Politiker nicht nur aus Solidarität in die Ukraine, sondern auch, um die ukrainische Armee aktiv zu unterstützen. Neben der offiziellen Hilfe, die auf der Ebene der jeweiligen Regierungen und der NATO koordiniert wird, transportieren auch Freiwillige regelmäßig militärische Hilfsgüter über die polnisch-ukrainische Grenze. Keine Waffen, das ist verboten, aber zum Beispiel Geländewagen, die oft mit im Internet gesammelten Spenden gekauft werden. Sie sind voll beladen mit Ausrüstung, die an die ukrainische Armee geht: Erste-Hilfe-Kästen, Drohnen, Nachtsichtgeräte, Splitterschutzwesten.

Der ukrainische Premier Denys Shmyhal und sein polnischer Amtskollege Mateusz Morawiecki stehen vor Panzern und geben sich die Hände
Polen übergibt Leopard-Panzer an die Ukraine: Der ukrainische Premier Denys Shmyhal (Mitte/li.) und sein polnischer Amtskollege Mateusz Morawiecki (re.) am 24.03.2023 an einem unbekannten Ort in PolenBild: Ukrainian Governmental Press Service/REUTERS

Mit der großen Unterstützung von liberalen Politikern, Schauspielern, Journalisten und Sängern konnten fast 25 Millionen Zloty (rund 5,3 Millionen Euro) für den Kauf einer türkischen Bayraktar-Drohne gesammelt werden. Die spektakuläre Kampagne wurde von dem linken Publizisten Slawomir Sierakowski 2022 organisiert.

Hilfe beim Granaten-Montieren

Der türkische Hersteller gab die Drohne daraufhin kostenlos ab, und mit dem von mehr als 220.000 Menschen gesammelten Geld wurden ein militärisches Ausbildungszentrum, hundert Fahrzeuge, darunter Krankenwagen, zwei mobile Reparaturwerkstätten und 500 Überlebenskits finanziert. Die restlichen 4,5 Millionen Zloty gingen direkt auf das Konto des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Das russische Außenministerium betrachtete diese Unterstützung als eine direkte Beteiligung Polens am Krieg.

Porträt des polnischen Schriftstellers Szczepan Twardoch
Der polnische Schriftsteller Szczepan TwardochBild: Horst Galuschka/dpa/picture alliance

Manchmal bleibt es nicht bei der Lieferung der Ausrüstung. "Ich habe geholfen, eine thermobare Granate unter eine Drohne zu montieren. Auf dem Bildschirm konnte ich dann beobachten, wie der Pilot sie in einen russischen Schützengraben warf", schrieb Szczepan Twardoch, ein polnischer Bestseller-Autor, der in Deutschland durch seine Romane "Morphin", "Der Boxer" und "Demut" bekannt wurde, in einem Bericht aus der Ukraine.

Normale Leute helfen einfach

"Ich unterscheide nicht zwischen humanitärer und militärischer Hilfe", erklärt Stasiuk. "Es ist notwendig, der Ukraine zu helfen. Früher haben wir Frauen und Kindern an der Grenze geholfen, jetzt helfen wir ihren Ehemännern, die an der Front kämpfen", sagt er. Um neue Fahrzeuge zu kaufen, hat Stasiuk Geld auf dem "Campus Polska" gesammelt, einem Event der größten Oppositionspartei in Polen, der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO). Auch Olga Tokarczuk, die Literaturnobelpreisträgerin, unterstützt seine Bemühungen. "Ich kenne Schriftsteller und Dichter, die in die Ukraine fahren und helfen. Andere kenne ich nicht", sagt Stasiuk. "Wir führen überhaupt keine Diskussionen darüber, ob wir helfen sollen oder nicht. Solche Diskussionen gibt es bei den extremen Rechten, in der Konfederacja (Anm. d. Red. eine extrem rechte Partei) und bei einem Teil der PiS-Wählerschaft, die fremdenfeindlich und antiukrainisch ist. Aber normale Leute helfen einfach."

Zwei junge Frauen blicken auf ein Wandgemälde, das Hitler, Putin und Stalin zeigt und auf dem steht: "No more time"
Wandgemälde gegen Russlands Krieg gegen die Ukraine in der polnischen Stadt Danzig (Gdansk)Bild: Photo by Artur Widak/NurPhoto/picture alliance

Stasiuk hat viele persönliche Gründe, sich an der Unterstützung der ukrainischen Armee zu beteiligen. "Die Russen bombardieren Serhiy Zhadan, Yuri Andrukhovych, Taras Prochasko, das sind meine Freunde", betont er wütend. Sie gehören zu den derzeit bekanntesten ukrainischen Schriftstellern. Der Verlag Czarne, den Stasiuk zusammen mit seiner Frau leitet, war der erste, der ihre Bücher in Polen veröffentlichte und damit einen Boom der ukrainischen Literatur auslöste.

"Ich will nicht, dass Polen wie Russland wird"

Wenn er vor ein paar Jahren seine ukrainischen Freunde traf, zeigten sie ihm in der Regel Bilder ihrer Freundinnen und Kinder auf ihren Handys. Jetzt hat sich der Inhalt der Bilder, die sie schicken, dramatisch verändert. "Sie zeigen Frontlinien, verbrannte Panzer und Leichen. Wie kann ich der Ukraine nicht helfen?" Stasiuk ist auch in Isjum und Butscha gewesen. Er hat die Auswirkungen der russischen Invasion mit eigenen Augen gesehen. "Das ist das Grauen. Zehnstöckige Wohnblocks, die von Raketen zerrissen wurden. Massengräber", erinnert er sich.

Ein ukrainischer Soldat steht auf einer Straße neben zerstörten russischen Panzern
Ein ukrainischer Soldat neben zerstörten russischen Panzern in Butscha am Stadtrand von Kiew am 6.04.2023Bild: Felipe Dana/AP/dpa/picture alliance

Der Schriftsteller hat keinen Zweifel daran, dass die Ukrainer auch für die Freiheit Polens kämpfen. "Ich erinnere mich an die Russen in Polen, ich habe einen Teil meines Lebens im Schatten Russlands verbracht. Ich bin viel in diesem Land herumgereist. Ich weiß, wie es dort ist. Und ich will nicht, dass es in Polen so ist", sagt er mit Nachdruck.

Zu viel Gerede

Der Autor kennt auch Deutschland gut. Seit Jahrzehnten tourt er durch das Land und trifft regelmäßig deutsche Leserinnen und Leser. Nun kritisiert er, dass es viel leichter ist, in der deutschen Elite eine Stimme gegen Waffenlieferungen zu finden als einen Beweis für die Unterstützung der Ukraine. "Die Deutschen können weiter ihre Haarspalterei betreiben. Das wird aber das Sterben in der Ukraine nicht verhindern", argumentiert er.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht stehen zusammen vor einem Plakat eine Kundgebung, Aufschrift: "Frieden. 25.2. Berlin #AufstandFuerFrieden"
Alice Schwarzer (li.) und Sahra Wagenknecht (re.) sprechen in Berlin am 25.02.2023 auf einer Kundgebung gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Verhandlungen mit PutinBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Stasiuk weist darauf hin, dass die Deutschen das Trauma der Nachkriegszeit noch immer nicht vollständig aufgearbeitet haben. "Sie haben den schrecklichsten Krieg auf unserem Kontinent verursacht, also wollen sie jetzt keinen Krieg in irgendeiner Form. Das ist pervers, denn der Kontext ist wichtig. Und die Ukraine kämpft für eine gerechte Sache. Das wird sich eines Tages rächen. Es wird eine Zeit kommen, in der wir die Deutschen gegen die Russen verteidigen müssen", fügt er hinzu.

Stasiuks Aufenthalte in der Ukraine beeinflussen auch seinen kreativen Prozess als Schriftsteller. "Vor drei Jahren begann ich, ein Buch über den Fluss Bug zu schreiben. Es sollte schön und sentimental werden. In dieser Zeit begannen an der polnisch-belarussischen Grenze im Fluss die Leichen von Flüchtlingen zu treiben. Dann brach der Krieg aus. Diese sentimentale Geschichte wird nun zu etwas Schrecklichem." In den kurzen, soldatischen Gedanken, die Stasiuk formuliert, schimmert ein Thema durch: Die Kriegszeit ist eine Zeit des Handelns, nicht des Diskutierens. "Es wird so viel geredet in der Welt, so viel Quatsch, zu jedem Thema. Ich möchte nicht in diesen Chor einstimmen. Ich will lieber in die Ukraine fahren." Und wie steht er zu Friedensgesprächen? "Erst, wenn wir den Krieg gewonnen haben. Und nur dann."

Lukasz Grajewski Lukasz Grajewski ist Korrespondent für DW-Polnisch