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Popal: "Müssen zahlen"

Carla Bleiker 20. März 2013

Angehörige der Opfer des Luftangriffs von Kundus 2009 fordern von der Bundesregierung Entschädigung. Nun hat in Bonn der Prozess begonnen. Opferanwalt Karim Popal sieht die deutsche Regierung in der Pflicht.

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Der Rechtsanwalt Karim Popal spricht bei einer Pressekonferenz. (Foto: Britta Pedersen dpa/lbn)
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Herr Popal, wie sind Sie an diesen Fall gekommen?

Karim Popal: Ich habe vorher in Kundus Staatsanwälte und Richter unterrichtet, im Auftrag des Auswärtigen Amts. Einer meiner Freunde, ein Deutsch-Afghane, hat mir mitgeteilt, dass zahlreiche Zivilisten bei einem NATO-Angriff ums Leben gekommen sind. Ich bin dann dorthin gereist, und habe mich entschieden, die Menschen zu vertreten.

Wie viele Opfer vertreten Sie?

Ich vertrete alle, die sich an mich gewandt haben. Mir sind andere Opfer nicht bekannt. Wir haben 79 Kläger, aber das bedeutet nicht, dass es 79 Tote gibt. Die Zahl der Toten ist höher. Die Kläger sind Familienangehörige von zwei, drei, vier oder fünf Toten. Es gibt zum Beispiel Väter, die zwei Kinder verloren haben.

Was können Sie über die Menschen sagen, die bei dem Luftangriff ums Leben kamen?

Die meisten der Opfer waren Kinder und Jugendliche, weil die neugierig waren, dass um Mitternacht zwei Lkws vor ihrer Haustür stehen und kostenlos Benzin verteilt wird. Unter den Opfern ist zum Beispiel ein junger Mann, Mohammad. Er war der Einzige aus seinem Dorf, der täglich in den zwei Kilometer entfernten Nachbarort zur Schule gelaufen ist. Er war zwölf Jahre alt und fungierte in seinem Dorf als Dorfschreiber, weil er lesen und schreiben konnte. Zu ihm kamen viele Dorfbewohner und er hat dann im Auftrag der Familien Briefe geschrieben, an Familienangehörige in Pakistan oder im Iran. Als seine Leiche durchs Dorf getragen wurde, nach dem Bombardement, gab es keine Familie in dem Dorf, die nicht geweint hat.

Gegen wen klagen Sie in diesem Prozess?

In diesem Zivilverfahren sind unsere Mandanten, die Familienangehörigen, die Kläger. Die Beklagte ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Verteidigungsministerium.

Was ist mit dem damaligen deutschen Befehlshaber, Oberst Georg Klein?

Das Strafverfahren gegen Klein wurde unbegründet eingestellt. Wir haben keine Akteneinsicht bekommen. Wir haben eine Verfassungsbeschwerde gegen die Einstellung und nicht erlaubte Akteneinsicht eingereicht und die ist jetzt beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Oberst Klein hat fehlerhaft gehandelt. Er hat ganz allein entschieden, obwohl ihm ausreichend Informationen zur Verfügung standen. Er hat Luftaufnahmen der Lage am Kundus-Fluss gesehen. Die beiden amerikanischen Aufklärungsflugzeuge sind von 20 Uhr bis zum Bombardement um 1.40 Uhr nachts immer wieder über die Gegend geflogen und haben ihm Bericht erstattet. Oberst Klein hat also auch die zivile Bevölkerung gesehen. Trotzdem hat er bewusst und vorsätzlich den Befehl gegeben zu bombardieren. Deswegen hat er fahrlässig gehandelt, hat den Tod dieser Menschen in Kauf genommen.

Es hat durchaus Kontroversen über die Opferzahlen gegeben, also darüber, wie viele Zivilisten tatsächlich gestorben sind. Was sagen Sie dazu?

Wir haben die Opferzahl recherchiert. Unser Rechercheteam hat herausgefunden, dass es 137 tote Zivilisten gegeben hat - und ich bin der Überzeugung, dass diese Zahl stimmt. Keine einzige internationale Institution hat diese Zahl bestritten. Die NATO-Zahl ist höher, als das, was ich berechnet habe. Und dann kommen Leute wie dieser gegelte Verteidigungsminister zu Guttenberg und sagen: 'Die Zahlen von Herrn Popal stimmen nicht'. Dabei hat das Verteidigungsministerium in Afghanistan gar nicht selbst recherchiert.

Warum sollte die Bundesregierung zahlen? In einem Krieg kann es doch immer auch zivile Opfer geben.

Rechtlich ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet zu zahlen. Es gibt ein internationales Abkommen, das Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte. Alle Länder der Welt haben es unterschrieben, haben es ratifiziert und haben sich verpflichtet: 'Wenn wir Kriege führen, schützen wir zivile Opfer. Wenn wir zivile Opfer in Gefahr sehen, halten wir uns fern von kriegerischer Handlung.' Dieses Zusatzprotokoll ist eindeutig verletzt worden durch den Befehl von Oberst Klein.

Karim Popal ist ein aus Afghanistan stammender Rechtsanwalt. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften in Bremen wurde er 1992 als Rechtsanwalt zugelassen. Popal arbeitet beim Aufbau der Justiz in Afghanistan nach der Vertreibung der Taliban mit. Er unterrichtete in Afghanistan Staatsanwälte, Richter und Anwälte. Er wurde bekannt, weil er die Opfer des von der Bundeswehr befohlenen Luftangriffs von Kundus vertritt. Er ist Anwalt der Kläger in dem Zivilprozess, der am Mittwoch, 20. März, am Bonner Landgericht begonnen hat. Familienangehörige der Opfer, die beim NATO-Luftschlag auf zwei Tanklaster 2009 in Kundus starben, verklagen die Bundesrepublik auf insgesamt 3,3 Millionen Euro Schadensersatz.

Das Interview führte Carla Bleiker