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Porträts für Babyn Jar gegen das Vergessen

29. September 2016

Der deutsch-italienische Fotograf Luigi Toscano hat Menschen porträtiert, die unter dem Nazi-Regime litten. Die Fotos werden im ukrainischen Babyn Jar gezeigt, wo vor 75 Jahren Nationalsozialisten ein Massaker verübten.

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Ukraine Gedenkstätte Babi Jar bei Kiew
Bild: DW/A. Magazowa

Verabredet sind wir in Mannheim, im Alten Volksbad, einem Kreativzentrum, das heute Seminarräume, Unternehmerbüros und Ateliers von Künstlern beherbergt. Einer von ihnen ist der Deutsch-Italiener Luigi Toscano. Der Fotograf und Filmemacher stellt uns eines seiner größten Projekte in seiner 15-jährigen Arbeit als Künstler vor: Das Projekt "Gegen das Vergessen". In dessen Rahmen hat Toscano rund 200 Nazi-Opfer porträtiert, die Ghettos, Konzentrationslager und Zwangsarbeit überlebten.

Auf die Frage, warum er sich heute in einem weltoffenen und demokratischen Deutschland mit dem Holocaust beschäftige, sagt Toscano ohne lange nachzudenken: "Ich bin davon überzeugt, dass das, was geschah, nicht vergessen werden darf". Damit meint er die organisierte Verfolgung, Inhaftierung und Massenvernichtung von Menschen verschiedener Herkunft vor und während des Zweiten Weltkrieges durch die Nationalsozialisten. Opfer des Regimes hat er in Deutschland, den USA, in Israel, Russland sowie in der Ukraine aufgesucht - darunter Juden, Sinti und Roma, Ukrainer, Weißrussen, Russen, Menschen anderer Herkunft.

Besuch in Auschwitz als Schlüsselerlebnis

Schon als Kind habe ihn das Thema interessiert, doch in seiner Schule in Mannheim habe er keine Lehrer gefunden, die er dazu hätte befragen können, sagt Toscano. Ein Schlüsselerlebnis sei für ihn ein Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz im Alter von 18 Jahren gewesen. "Auch meine politischen Überzeugungen, mein Verständnis von Gut und Böse wurden zum Großteil davon bestimmt, was ich auf dieser Reise und im Nachhinein erfuhr", so der Künstler.

Für Toscano wurde sein Holocaust-Projekt zu einem "Experiment, offensiv in den öffentlichen Raum zu gehen". Das tat er an der Alten Feuerwache in Mannheim. Das  Kulturzentrum liegt an einem belebten Ort, wo sich mehrere Straßen und Bahnen kreuzen. Die Resonanz auf seine Bilder habe Toscano überrascht. "Am meisten hat mich die Geschichte einer jungen Mutter beeindruckt. Sie hat mir erzählt, dass sie jeden Tag mit ihrem Kind dort vorbeigehen musste. Das Kind habe immer gefragt, wer diese Menschen seien", erinnert sich der Fotograf. So habe die Mutter ihrem Kind das Thema Holocaust näherbringen können.

Ausstellung Gegen das Vergessen - Fotograf Luigi Toscano
Luigi Toscano konfrontiert Menschen mit Porträts von Nazi-OpfernBild: DW/D. Bilyk

Mehrere Ausstellungsorte in der Ukraine

Auch in der Ukraine will Toscano nun die Menschen dazu bewegen, sich stärker mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. Seit dem 27. September sind 50 große Porträts für fünf Tage in der Hauptstadt Kiew zu sehen - an der Gedenkstätte in der Schlucht Babyn Jar, wo vor 75 Jahren von den Nationalsozialisten einer der größten Massenmorde im Zweiten Weltkrieg verübt wurde. Bei einem Besuch als Tourist hatte Toscano zufällig den Direktor der Gedenkstätte kennengelernt. Dieser unterstützte sofort die Idee des Künstlers, dort Porträts von Nazi-Opfern auszustellen. "Babyn Jar ist für mich zu einer sehr wichtigen Sache geworden. Das ist ein wichtiger Ort für das historische Gedächtnis", so der Künstler.

Nach Kiew soll die Ausstellung "Gegen das Vergessen" in der ostukrainischen Stadt Dnipro, danach im westukrainischen Lemberg und möglicherweise, wenn eine Finanzierung zustande kommt, auch in Czernowitz, Odessa und Winnyzja gezeigt werden. Möglich wurde Toscanos Ausstellung in der Ukraine dank der Schirmherrschaft des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Gefördert wird das Projekt auch von der Deutschen Botschaft sowie vom Goethe-Institut in Kiew.

Film über das Projekt "Gegen das Vergessen"

Die Ukraine ist nicht zufällig als Ausstellungsort gewählt worden. Von dort stammen die meisten Menschen seiner Porträtserie. Rund 60 Personen hat er in den letzten drei Jahren in dem Land fotografiert. Organisiert wurden alle Treffen mit den Überlebenden des Nazi-Regimes von Toscanos ukrainischer Projektpartnerin, der Leiterin der "Aktion Sühnezeichen Friedensdienste" in Kiew, Anschela Beljak.

Mit den Ausstellungen in der Ukraine soll das Projekt "Gegen das Vergessen" aber nicht enden. Geplant sind Ausstellungen vor allem in den USA. Doch Toscanos größter Wunsch ist, die Porträtserie im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz zu zeigen. "Die Bilder dort auszustellen wäre eine große Herausforderung", betont der Künstler. Darüber hinaus will er Anfang 2017 einen Dokumentarfilm fertigstellen, der während der Arbeit am Projekt "Gegen das Vergessen" entstand. Toscano und sein Team wollen ihn beim Filmfestival in Odessa im kommenden Jahr erstmals vorstellen.