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Hilfe zum Handel

Das Interview führte Christine Harjes1. Februar 2007

Handel statt Hilfe? Was macht China in der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika besser als die G8- und die EU-Staaten? Leisten die Industrienationen genug Hilfe? Der Ökonom Jeffrey Sachs im Interview mit DW-WORLD.DE.

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Jeffrey SachsBild: AP

DW-WORLD.DE: Die Millenniumsziele können nur erreicht werden, wenn die Industriestaaten die zugesagte Entwicklungshilfe zahlen. Glauben Sie, dass Deutschland seinen Verpflichtungen in Zukunft nachkommt?

Jeffrey Sachs: Die gesamte Europäische Union hat sich bereit erklärt, bis zum Jahr 2010 die Marke von 0,56 Prozent des Bruttoinlandproduktes zu erreichen. Bis zum Jahr 2015 dann 0,7 Prozent. Ich gehe davon aus, dass Deutschland diesen Verpflichtungen gemeinsam mit den anderen EU-Ländern natürlich nachkommen wird. Die Staaten haben erkannt, dass diese Zunahme an Hilfe wichtig ist, um Armut, Krankheiten und Hunger zu verringern. Ich nehme an, dass die Länder zahlen werden. Es wurde versprochen und ich gehe davon aus, dass Deutschland als Gastgeber des diesjährigen G8-Gipfels mit den anderen G8-Ländern dafür sorgen wird, dass es dazu kommt.

In der Vergangenheit haben die Industrienationen ihre Versprechen nicht immer gehalten…

Was vor 36 Jahren versprochen wurde, ist, dass die Geberländer 0,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes zahlen. Das wurde nur von sehr wenigen Ländern eingehalten - hauptsächlich den nordischen Ländern. Der Rest der Europäischen Union hat im letzten Jahr aber sehr klar gesagt, dass es Zeit sei, den lange bestehenden Verpflichtungen nachzukommen. Und die EU hat dafür einen Weg festgelegt. Das zählt im Moment. Dieser Weg muss jtzt verfolgt werden, damit die Empfängerländer mit der Hilfe rechnen können. Es ist wichtig, dass sowohl die Geberländer als auch die Empfängerländer ernsthafte Pläne machen können, um wichtige Investitionen zur Armutsverringerung machen zu können. Das sollte kein Ratespiel sein. Es sollte über eine mehrjährige Zeitspanne gut geplant sein.

Warum haben kleine Länder wie die skandinavischen in der Vergangenheit gezahlt?

Dafür habe ich keine volle soziologische oder kulturelle Erklärung. Grundsätzlich ist es so, dass diese Länder seit langem ihre internationalen Verpflichtungen erfüllen. Sie sind ein gutes Beispiel für den Rest der Welt. Am anderen Ende der Skala sind die USA, die durchschnittlich mit Abstand am schlechtesten sind, wenn es darum geht, internationale Verpflichtungen einzuhalten. Die Situation der USA ist besonders schlecht, weil die USA die Versprechen die sie gemacht haben, jetzt nicht mal anerkennen. Sie haben versucht, genau die Versprechen, denen sie sich selbst verschrieben hatten, wieder zurückzuweisen. Die EU auf der anderen Seite hat die Versprechen im Durchschnitt zwar nicht erfüllt, aber sie hat schließlich im letzten Jahr gesagt, es sei Zeit, das gut zu machen. Sie hat einen Zeitplan festgelegt und ich denke, es ist sehr wichtig, dass man sehr professionell vorgeht. Deutschland und die anderen Länder aus der EU und der G8 sollten systematisch mit den ärmsten Ländern - hauptsächlich in Afrika - zusammenarbeiten, um einen mehrjährigen Plan über steigende Investitionen zu entwickeln.

Glauben Sie, dass es mit der neuen Bundesregierung einen Richtungswechsel in der Entwicklungspolitik gibt?

Die Verpflichtung ist eine nationale Verpflichtung. Ich nehme stark an, dass diese Regierung den Versprechen nachkommt. Ich denke für alle EU-Länder gilt, dass die Qualität der Hilfe unglaublich erhöht werden könnte. Es gibt nicht genug Hilfe, die auf praktikable, erreichbare Ziele gerichtet ist. Dafür müssten anerkannte Technologien in der Landwirtschaft, Gesundheit, Infrastruktur und der Bildung angewendet werden. Wenn die deutsche Regierung sagen würde, hier ist unser Plan für Entwicklungshilfe und wir investieren statt in Nothilfe und in Berater in Projekte an der Basis in den ärmsten Ländern. Und wenn man dann noch die Erfahrungsberichte über den Erfolg der Projekte ernst nähme, wäre die Qualität der Ergebnisse riesig.

Deutschland wird immer wieder dafür kritisiert, dass zu viel von der Entwicklungshilfe für deutsche Mitarbeiter in den Entwicklungsländern ausgegeben wird. Wie stehen Sie dazu?

Das ist nicht nur bei der deutschen Entwicklungshilfe so; das trifft grundsätzlich zu. Zu viel ist technische Unterstützung und zu wenig wird wirklich an der Basis, in den Dörfern in Afrika investiert. Man muss verstehen, dass Hilfe, die in Form von Medikamenten, Moskitonetzen, Operationsbesteck , Krankenhausbau, die Beschäftigung lokaler Gesundheitsberater, den Bau von Brunnen investiert würde - also in praktikable Dinge - dann wären die Ergebnisse riesig. Wenn wir stattdessen viel Geld für uns selbst ausgeben, und das dann "Hilfe" nennen, oder wenn wir nach einer Hungersnot Lebensmittel schicken, anstatt den Bauern zu helfen, selbst Lebensmittel anzubauen, dann erzielen wir nicht die Ergebnisse, die wir wollen.

Wie stehen Sie zu der Forderung, auf Handel statt auf Hilfe zu setzen, so wie China das derzeit tut?

China und Afrika, Kooperation, Symbolbild
Afrika wird in China ganz groß geschriebenBild: AP

China tut beides. China baut Straßen, hilft Ländern mit Triebwerksanlagen, hilft mit Wasserkraftwerken und Krankenhäusern und es wäre gut, wenn wir wach werden und das erkennen würden. China macht beides: Handel und Hilfe. Tatsache ist, dass Afrika im Moment nicht wettbewerbsfähig ist, weil es an einfachster Infrastruktur fehlt: unzureichende Straßen, unzureichende Stromversorgung, unzureichende Wasserversorgung und eine Bevölkerung, der es an grundlegendster Gesundheitsversorgung fehlt. Um im Handel mithalten zu können, muss man eine Infrastruktur haben und das sollte in der Tat das Ziel der Entwicklungshilfe sein. Die Produktivität in Afrika muss erhöht werden, damit es Handel treiben kann. Es bringt nichts zu sagen, 'Lasst uns mehr Handel treiben' - dafür braucht Afrika einen Überschuss an Produkten. Statt Hungersnöte, braucht es einen landwirtschaftlichen Überschuss. Und Afrika braucht eine zuverlässige Stromversorgung, um Fabriken laufen zu lassen, die Güter für den Export fertigen können. Es geht um die Durchführbarkeit und nicht um Slogans. Lasst uns an der richtigen Stelle investieren, um die Produktivität in der Landwirtschaft, der Fertigung und im Dienstleistungsbereich zu erhöhen. Dann wird Afrika ganz sicher in der Lage sein, mehr zu handeln. Die Weltmärkte sind für Afrika relativ offen. Nicht die Weltmärkte sind das Problem, sondern der Mangel an überschüssigen Produkten.

Wie sieht Ihre ideale Weltwirtschaftsordnung aus?

Mein Wunsch wäre eine offene Weltwirtschaft, bei der alle Teile der Welt mit Hilfe von modernen Technologien und den Erkenntnissen der Wissenschaft effektiv teilnehmen können. Das heißt, dass kein Teil der Welt so verarmt und so entfernt sein darf, dass es nicht Teil der modernen Weltwirtschaft ist. Ich spreche oft von einer Leiter der wirtschaftlichen Entwicklung und wenn man auf dieser Leiter ist, kann man sie hochklettern, indem man in Bildung, Fertigkeiten und Technologie investiert. Aber einige Länder sind so arm, dass sie gar nicht auf dieser Leiter der Entwicklung sind. Man darf nicht annehmen, dass der Sudan, Somalia und viele andere Länder in Afrika auf dieser Leiter sind. Aber wir können ihnen helfen, die Leiter zu besteigen, so dass die Kräfte des Marktes wirken können. Ich glaube an die Kräfte des Marktes. Manchmal verstehen die Leute mich falsch; ich habe in Lateinamerika und Ost-Europa mehr Markt orientierte Reformen durchgeführt als irgendein anderer Ökonom der Welt. Was ich aber zu erklären versuche, ist, dass die Kräfte des Marktes nicht an verarmten Orten funktionieren. Europa muss das verstehen - ich spreche über mehrere hundert Millionen Menschen direkt südlich von Europa. Wenn es so weiter geht, werden das mehr als eine Milliarde Menschen und es wird eine massive verzweifelte Migration, Krankheitsübertragungen und eine enorme Instabilität in der Nachbarschaft Europas geben. Je früher das angegangen wird, desto früher kann es gelöst werden.

Der US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs steht der UNO seit 2002 als Sonderberater für die Millenniumsentwicklungsziele zur Verfügung. Im selben Jahr wurde er Direktor des "Earth Institute" an der Columbia University in New York City. Bekannt wurde Sachs durch radikale Wirtschaftreformen in Bolivien und anderen Ländern, wo er als Berater für die Regierungen tätig war.