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Kampf um die Kanzel

Markus Symank16. Oktober 2013

Die ägyptische Übergangsregierung will islamistische Prediger aus den Moscheen verbannen. Regimetreue Imame dürfen dagegen auch in Zukunft Religion und Politik vermischen.

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Die ägyptische Regierung will kontrollieren, wer die Predigten in den Moscheen hält
Bild: AFP/Getty Images

Die Regierung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi ist gestürzt, seine Anhänger im Gefängnis oder auf der Flucht. Nun wollen die neuen Machthaber in Kairo auch den Zugriff der Muslimbruderschaft auf die Religion einschränken: Mit einer Reihe von Gesetzen strebt das Ministerium für religiöse Angelegenheiten an, die Moscheen des Landes stärker unter staatliche Kontrolle zu stellen. Wer politische Botschaften von der Kanzel verbreitet, dem soll künftig die Lizenz entzogen werden. Seit diesem Monat dürfen überdies nur noch Imame mit einem Abschluss der als moderat geltenden Al-Azhar-Universität Freitagspredigt halten. Damit entließ die Regierung über Nacht effektiv 53.000 Prediger.

Abdulghani Hendi, Vorsitzender der ägyptischen Gewerkschaft für Imame, begrüßt diesen Schritt: "In den zwei Jahren seit der Revolution hat sich gezeigt, dass es Leute gibt, die die Predigt für politische Zwecke missbrauchen. Sie profitieren von ihrer Präsenz in den Moscheen finanziell, ideell und auf andere Weise." Wie Hendi erachten viele Ägypter die neuen Gesetze als notwendig für die Schaffung eines Zivilstaates. Andere hingegen warnen vor einer Überwachungspolitik wie unter Husni Mubarak.

Mursi mischte Religion und Politik

Nicht erst seit den politischen Umbrüchen wird der Muslimbruderschaft vorgeworfen, Moscheen für politische Zwecke zu missbrauchen. In den Gotteshäusern rekrutieren die Islamisten seit Jahrzehnten neue Mitglieder. Existierten unter dem Mubarak-Regime allerdings rote Linien, fielen diese nach der Revolution vom 25. Januar 2011 weg. Vielerorts warben islamistische Prediger nach dem Volksaufstand offen für die Muslimbruderschaft. Präsident Mursi trat nach seiner Wahl zum Präsidenten selbst mehrfach als Redner in Moscheen auf.

Tausende Betende beim Freitagsgebet auf dem Tahrir-Platz in Kairo.REUTERS/Mohamed Abd El Ghany (EGYPT - Tags: RELIGION)
Tausende Betende beim Freitagsgebet auf dem Tahrirplatz in Kairo. Zu ihnen sollen nur noch regimetreue Imame predigen dürfen.Bild: Reuters

Die offene Vermengung von Religion und Politik stieß im Volk jedoch auf Widerstand. Scheich Refaat, Imam einer Moschee im Zentrum Kairos, versteht das Vorgehen der neuen Regierung daher als Reaktion auf die Ablehnung der islamistischen Ideologie durch das Volk: "Die Leute, die beten sind es, die über den Imam richten. Die Muslimbrüder und die gesamte islamistische Strömung sind von diesen Leuten verstoßen worden. Warum? Weil das Volk seine Religion genau kennt und von Natur aus fromm ist." Um keine Zweifel an der Gesinnung seiner Moschee zu lassen, hat Scheich Refaat ein Plakat am Eingang angebracht: "Nein zu politischen Parteien", steht darauf.

Forderung nach Verfassungsartikel

Nicht überall lassen sich die islamistischen Prediger so leicht verbannen. Mehr als 110.000 registrierte Moscheen gibt es in Ägypten. Die Zahl der Imame mit Al-Azhar-Zertifikat liegt hingegen nur bei 58.000 - viel zu wenige also, um flächendeckend alle Kanzeln zu bemannen. Besonders in Oberägypten, wo die Islamisten ihre Hochburgen haben, befinden sich viele Moscheen im Besitz von Familienclans. Diese bestimmen in der Regel auch, wer sich am Freitag an die Gläubigen richten darf. Die Regierung will diesem Dilemma mit weiteren gesetzlichen Einschränkungen beikommen. So sollen beispielsweise nach ihrem Willen Freitagspredigten nur noch in Moscheen erlaubt sein, die mindestens 80 Quadratmeter groß sind.

Auch aus Sicht von Abdulghani Hendi greift die Verbotspolitik zu kurz. Der Vorsitzende der Imam-Gewerkschaft fordert stattdessen, dass sich die verfassungsgebende Versammlung dem Thema annimmt: "Wir wollen einen Verfassungsartikel, der den Berufsstand des Predigers reguliert und dem Land dadurch Schutz garantiert. Dies ist ein sehr wichtiger, aber auch gefährlicher Beruf. So wie die Berichterstattung, wie der Journalismus. Er ist sogar noch gefährlicher, weil der Imam direkt mit den Menschen kommuniziert."

Der Prediger Yusuf Abdallah al-Qaradawi wird nach einem Freitagsgebet auf dem Tahrir-Platz vom Militär begleitet. PEDRO UGARTE/AFP/Getty Images)
Enge Verpflechtung zwischen Imamen und Militär? Ein Prediger wird von Soldaten begleitet.Bild: Pedro Ugarte/AFP/Getty Images

Mordaufruf von der Kanzel

Auch Aktivisten am Nil melden Bedenken am Vorgehen der Übergangsregierung an. Sie warnen, dass anstelle der Islamisten künftig die neuen Machthaber die Moscheen für ihre Propaganda missbrauchen könnten. In den vergangenen Wochen haben bereits zahlreiche Imame den Sicherheitskräften, die brutal gegen die Mursi-Anhänger vorgehen, ihren Segen gegeben. Ein Scheich, der häufig auf dem Tahrirplatz in Kairo predigt, rief kürzlich offen zum Mord an Mitgliedern der Hamas, dem palästinensischen Arm der Muslimbruderschaft, auf: "Passt auf, Ägypter! Solltet ihr in irgendeiner ägyptischen Provinz einen Hamas-Anhänger finden, der die Muslimbruderschaft unterstützt, dann ist es euch erlaubt, ihn zu töten, denn er hat die Regeln unseres Landes verletzt."

Auch Vertreter der Al-Azhar beteiligen sich an der Hetze: In einer Predigt lobte der frühere Großmufti Ali Gomaa den Armeechef Abdel Fattah al-Sisi für dessen "außergewöhnlichen Mut". Den Muslimbrüdern hingegen sprach er das Recht ab, sich als Ägypter bezeichnen zu dürfen. Noch gilt das Politikverbot für Imame offenbar nur für die eine Hälfte der Gesellschaft.