Für ein geeintes Europa
12. Dezember 2010DW-WORLD.DE: Frau Vike-Freiberga, wie haben Sie sich gefühlt, als Sie 1998 aus Kanada nach Lettland zurückgekehrt sind und ein Jahr später Präsidentin des Landes wurden?
Vaira Vike-Freiberga: Es war eine wunderbare Gelegenheit, wieder in die Heimat zurückzufinden. Ich hatte mein Leben lang auf anderen Kontinenten und in anderen Ländern gewohnt. Und dann gab es noch die Möglichkeit, Präsidentin zu werden - das war etwas ganz Besonderes. Ich habe alles menschenmögliche getan, um mein Land wirklich auf den Weg zur Demokratie zu bringen und ihm bei der Integration in den Rest Europas zu helfen.
Als Sie Präsidentin waren, sprach der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld von einem alten und neuen Europa. Gilt das auch heute noch?
Natürlich gibt es objektiv noch ökonomische Unterschiede zwischen Ost und West. Die Infrastrukturen sind nicht auf dem gleichen Niveau. Wir hatten 20 Jahre Zeit, daran zu arbeiten, aber das ist noch nicht genug. Man kann noch nicht von einer wirklichen Kohäsion in Europa sprechen - von Norden bis Süden und von Westen bis Osten. Wir sind auf dem Weg, aber noch nicht am Ende dieses Weges angelangt.
In Lettland, das Sie zwischen 1999 und 2007 regiert haben, gibt es Spannungen zwischen der lettischen und der russischsprachigen Bevölkerung. Werden diese Spannungen Lettland weiter begleiten?
Wir haben es hier mit dem Erbe von 50 Jahren militärischer Besatzung zu tun. Als die Rote Armee Lettland 1995 verließ, sind 20.000 Soldaten mit ihren Familien geblieben und haben sich pensionieren lassen. Das sind Leute, die eine andere Ideologie und ein anderes Verständnis der Geschichte haben als die ethnischen Letten, die seit Jahrhunderten in diesem Land leben. Aber ich glaube, dass die Menschen in Lettland in all den Jahren der Besatzung gelernt haben, zusammenzuleben, und dies tun sie noch immer. 20 Prozent der Ehen werden zwischen Partnern aus zwei ethnischen Gruppen geschlossen. Wenn Sie also von Spannungen sprechen, dann sind es keine Spannungen, die man so spüren könnte wie in anderen Ländern - wie zum Beispiel in Nordirland. So etwas haben wir absolut nicht.Wie sehen Sie Russland: als Konkurrenten oder als Partner Lettlands?
Wir haben seit der Unabhängigkeit gehofft, Russland könnte ein wichtiger Partner für uns sein. Ökonomisch ist es auch so. Wir sind Kunden für Gas und Öl aus Russland. Auch im Bereich der Kunst gibt es viele Kontakte: Unsere Künstler fliegen nach Moskau oder St. Petersburg, und umgekehrt kommen auch Russen zu uns. Diese Kontakte sind also da.
Aber politisch haben wir solche Kontakte nicht. Vor Weihnachten wird hoffentlich zum ersten Mal der Präsident Lettlands, Valdis Zatlers, zu einem offiziellen Besuch nach Russland reisen. Wir sind seit 20 Jahren Nachbarn und hatten bislang keinerlei Kontakt auf dieser offiziellen, bilateralen Ebene. Das finden wir schade - aber es liegt nicht an uns, sondern Russland wollte es so.
Lettland hat sich für russische Investoren geöffnet. Sie können eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Was halten Sie von diesem Programm?
Es ist nicht genug Zeit vergangen, um bewerten zu können, wie viel dieses Programm unserem Land ökonomisch bringt. Weil die Krise in Lettland so schlimm ist, versucht man, die Investitionen zu steigern. Natürlich hat Lettland gegen keinen Investor etwas einzuwenden, der nach Lettland kommt und Arbeitsplätze schafft.
Der Konrad-Adenauer-Preis der Stadt Köln wird seit 2004 alle zwei Jahre vergeben. Die diesjährige Preisverleihung fand am Sonntag (12.12.2010) in Köln statt.
Das Gespräch führte Andreas Brenner
Redaktion: Markian Ostaptschuk / Julia Kuckelkorn