ESMT-Jahresforum
11. Juni 2012Von Janet Hively, Co-founder, Shift, USA
"Wir beginnen immer später mit der Arbeit, wir beenden sie immer früher, wir leben immer länger, wir haben immer weniger Kinder. Dieses Wirtschaftsmodell kann nicht funktionieren"
Es wird Zeit, diese Worte, die Patrick Devadjian schon 2008 ausgesprochen hat, zu beherzigen. Patrick Devadjian war bis 2010 als Minister in Frankreich verantwortlich für die wirtschaftliche Entwicklung. Ökonomische Erholung kann es nicht geben ohne tiefgreifende Änderungen in unserer Kultur, die auf eine langfristig angelegte Nachhaltigkeit abzielen. Eine wichtige Aufgabe ist es, die Erwartungen hinsichtlich Arbeit und Ruhestand zu ändern und zu einer längeren Lebensarbeitszeit zu ermutigen.
Dank der Wunder der Medizin und verbesserter Ernährung haben wir es im letzten Jahrhundert geschafft, unserer durchschnittlichen Lebenszeit 20 Jahre hinzuzufügen, in denen wir aktiv sein können. Warum sollte bei verbesserter Gesundheit und verlängerter Lebenserwartung das durchschnittliche Renteneintrittsalter in der Europäischen Union bei 61 Jahren liegen? Das liegt unter dem Rentenalter, dass die Bismarcksche Sozialgesetzgebung der 1880er Jahre vorgesehen hatte. Es ist überfällig, die Lebensarbeitszeit zu verlängern.
Druck, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, kommt von verschiedenen Seiten:
Als negative Herausforderung:
- Weltweit spüren Regierungen den dreifachen Druck durch eine alternde Gesellschaft: Voraussehbare Unterdeckung der Rentenkassen, reduzierte Steuereinnahmen, wenn Arbeiter in Rente gehen, und die Pflegebedürftigkeit älterer Personen.
- Viele ältere Arbeitnehmer spüren eine vorhersehbare Diskrepanz zwischen ihrer Rente und den ihren materiellen Ansprüchen, sollten sie nicht genug angespart haben, um im Alter sorgenfrei leben zu können.
Als positiver Einfluss:
- Forschungen belegen, dass sinnvolle Arbeit die Gesundheit und das Wohlgefühl älterer Menschen positiv beeinflusst.
- Eine steigende Zahl älterer Menschen will länger arbeiten, um soziale Kontakte aufrecht halten zu können, um geistig und körperlich gefordert zu werden und weil sie Arbeit als eine erfüllende Herausforderung begreifen.
In bestimmten Disziplinen wird es zu vorhersehbarem Facharbeitermangel kommen.
Eher als mit der willkürlichen Anhebung des Renteneintrittsalters wäre dem öffentlichen Interesse gedient, wenn Hindernisse für flexible Arbeitsverhältnisse aus dem Weg geräumt würden. Es bedarf maßvoller Anreize für eine flexible Lebensarbeitszeit, die den Ansprüchen und Wünschen sowohl der Arbeitgeber als auch der älteren Arbeitnehmer entspricht. Beispiele für ein angepasstes Arbeitsverhältnis sind: Flexible Arbeitsstunden, reduzierte Dienstzeiten, Teilzeitarbeit, Arbeitsverdichtung zu definierten Zeiten, Freistellungsperioden oder Auszeiten, geteilte Arbeitsplätze, Heimarbeitsplätze, Ausbildung und Betreuung jüngerer Kollegen sowie ein schrittweiser Übergang in die Rente.
Arbeitgeber sollten in die Lage versetzt werden, ihre Arbeitsanforderungen genauso verschiedenen Ansprüche anpassen zu können, wie sie das mit ihren Produkten schon tun. Arbeitnehmer sollten ihre Karriere über einen langen Zeitraum ebenso planen können. Die Arbeitgeber müssen dabei die Führung übernehmen und ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem gegenseitige Anpassung an sich verändernde Ansprüche eine nachhaltige Produktivität ermöglichen kann.
Jan Hively ist lebendes Beispiel für ihre These, dass man auch im Alter aktiv und produktiv sein kann. In 2001 schloss sie ein Studium an der University of Minnesota ab – im Alter von 69 Jahren. Seither hat sie drei Organisationen gegründet, die sich mit den Themen Erziehung, Sinnfindung sowie "Alter und Arbeit" befassen. 2006 wurde sie als "Purpose Prize Fellow" für ihre Verdienste ausgezeichnet.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Dirk Kaufmann