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Gesellschaft

Prostitution: "Den Absprung schaffen nur wenige"

21. Juni 2018

Das Rotlichtmilieu in Deutschland wird in großen Teilen von organisierten Banden kontrolliert. Doch die Strafverfolgung ist schwer – zu oft fürchten sich Frauen, gegen ihre Zuhälter auszusagen. Ein Ermittler erzählt.

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Bordell Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Sie ermitteln seit zehn Jahren im Bereich organisierte Kriminalität im Rotlichtmilieu. Wie sind die Arbeitsbedingungen für die Frauen?

Wolfgang Fink: Man muss unterscheiden zwischen der Bordell-Prostitution und dem, was man herkömmlich als Straßenstrich bezeichnet. Bordell-Prostitution ist ein bisschen komfortabler für die Frauen. Das Klientel ist sicherlich ein anderes als in der Straßenprostitution. Aber ich würde die Arbeitsbedingungen bei beiden Varianten nicht als gut bezeichnen. Wenn Sie sich vorstellen, dass ein Bordell Tag und Nacht frequentiert wird, es herrscht Kunstlicht, die Temperatur ist immer konstant. Die Frauen kommen kaum raus. Die wissen nicht - das haben wir auch oft bei Vernehmungen gemerkt - welche Jahreszeit ist oder welches Datum.

Die Armutsprostitution hat zugenommen, die Preise sind inflationär in den Keller gegangen, vor allem auf dem Straßenstrich. Es werden teilweise nur noch dreißig oder vierzig Euro für zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde bezahlt. Und wir stellen immer mehr Verlagerungen ins Internet fest. Also diese Anonymisierung der Frau, die praktisch nur noch als Ware gehandelt wird, die bestellt wird wie im Internet-Katalog. Und das führt natürlich auch dazu, dass die Polizei sich immer schwerer tut, hier Ermittlungsansätze zu finden.

Warum kommen die Frauen nach Deutschland, was erfahren Sie in den Vernehmungen?

Ganz viele osteuropäische Frauen kommen einfach dem wirtschaftlichen Druck gehorchend hierher. Viele wissen, dass sie sich hier prostituieren sollen, dass sie hier in einer Bar arbeiten sollen. Ihnen wird aber nicht gesagt, dass sie ihr ganzes Geld abgeben müssen. Sie wissen auch, was Prostitution teilweise mit einem selber macht, das können sie in Foren nachlesen. Aber am eigenen Leib zu erfahren, was es bedeutet, mit mehreren Männern täglich zu schlafen, das ist nochmal etwas ganz anderes. Und wenn sie dann einmal drin sind, gelingt es nur ganz wenigen, den Absprung zu schaffen. 

Bundesweite Razzia gegen Organisierte Kriminalität
Oft scheitert eine Verurteilung an der Bereitschaft der Frauen auszusagen Bild: picture-alliance/dpa/A. Vogel

Die meisten Frauen haben einen Zuhälter, dem sie ihr Geld abgeben müssen. Warum können sie denn nicht selbstständig arbeiten? 

Weil das für die Frauen aus Osteuropa allein schon wegen der Sprachbarriere nicht möglich ist, einfach hierher zu kommen und zu sagen: 'Ich will mich jetzt prostituieren'. Es gibt gewisse Mechanismen: wie muss sich eine Frau bewegen, was muss sie tun, wie muss sie die Freier ansprechen. Das müssen die Frauen wissen, das ist wie so eine Art Berufsausbildung. Wie sie sich zu verhalten haben, das wird ihnen von den Zuhältern, von den Gruppierungen, die hier im Milieu unterwegs sind, gesagt. Und dann funktioniert das auch. Aber freiwillig, selbstbestimmt hierher zu kommen und zu sagen, ich mache jetzt mein Geld in der Prostitution, das ist fast nicht möglich.

Wenn eine Frau sich prostituiert, dann macht sie das auch oft aus Liebe zum Partner, der ihr vorspielt: 'Ich  habe leider keinen Job, ich bin arbeitslos. Und du musst etwas dafür tun, um die gemeinsame Zukunft aufzubauen'. Das heißt, die Frau wird sich prostituieren aus Liebe. Sie wird auch am Anfang umgarnt. Sie kriegt eine Gucci-Tasche oder sonstige Geschenke, die Eindruck machen. Es werden große Autos gefahren. Es wird Macht demonstriert. Und erst, wenn die Frau merkt: 'Ich will das eigentlich nicht', dann wird der Druck größer - bis hin zu schweren Körperverletzungen und Drohungen, auch gegen die Familie der Frau. 

Was sind das für Gruppierungen, die da die Strippen ziehen?

Es sind sehr oft Rocker oder rockerähnliche Gruppierungen wie beispielsweise die Hells Angels oder United Tribuns. Es gibt aber auch oft Frauen, die hier von Verwandten zur Prostitution gebracht werden, teilweise sind es die eigenen Brüder, die sich hier dann als Zuhälter verdingen.

Wie schwierig ist es diese Netzwerke zu knacken?

Oft fehlt es an der Aussagebereitschaft der Frau, der das Unrecht angetan wurde. Weil die Frau natürlich genau weiß, wenn sie hier jetzt aussagt gegen ihren Zuhälter, gegen Bekannte, gegen die Machenschaften insgesamt, dann muss sie mit Repressalien rechnen. Das wissen die Täter natürlich auch ganz genau, weil es ein sehr persönlicher Bezug war, der dazu geführt hat, dass sich eine Frau prostituiert.

Es gibt immer wieder Frauen, die aussagen, Prostituierte, die zur Polizei gehen, meistens unmittelbar nach einer Misshandlung. Die Kunst ist dann aber, diese Frauen mit Hilfe von Frauen-Hilfsorganisationen zum Ausstieg aus der Prostitution zu bringen und ihnen eine neue Perspektive zu geben. Das erfordert viel Betreuung und ein Vertrauensverhältnis.

Und das klappt manchmal, und manchmal klappt es nicht. Dann gibt es auch keine Verurteilung, und dann geht das alles weiter.

Woher stammen die Frauen, die in Deutschland Sexarbeit machen?

In der Kriminalstatistik 2016 war es so, dass 85 Prozent der bekannt gewordenen Fälle aus Osteuropa kamen. Natürlich gibt es auch afrikanische Frauen, die über die Mittelmeer-Route nach Europa gekommen sind und von sogenannten Madams ausgebildet werden. Aber eine ganz große Rolle spielt Osteuropa, Bulgarien und Rumänien.

Wie alt sind die Frauen im Schnitt?

So jung wie möglich. Verboten ist in Deutschland Prostitution unter 18 Jahren. Leider, sage ich als Ermittler in diesem Bereich, leider hat es die Politik nicht geschafft, auch in den neuen Prostitutionsschutzgesetz, die Altersgrenze auf über 21 hochzusetzen. Das empfinde ich persönlich als ganz großes Versäumnis. 

Denken Sie, dass die Prostitution ein Phänomen ist, das man irgendwie eindämmen kann?

Ich denke, es muss nicht das Ziel sein, die Prostitution in Deutschland zu verbieten. Sondern man sollte einfach sagen: Das Geld, das die Frauen erarbeiten, soll auch bei den Frauen bleiben. Also ehrliche Arbeit und ehrlicher Lohn letztendlich dann auch dort, wo er erarbeitet wird.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn  Sie an den entsprechenden Etablissements vorbeifahren?

Schade, dass es das in Deutschland gibt. Aber Deutschland ist ein reiches Land, und die Frauen gehen natürlich dorthin, wo das Geld ist.

Wolfgang Fink ist Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Seit zehn Jahren ermittelt er im Bereich Organisierte Kriminalität und Menschenhandel.

Das Interview führten Esther Felden und Naomi Conrad.