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Protektionismus oder Notwehr?

Rolf Wenkel
28. Oktober 2016

Kurz vor seinem Besuch mit einer großen Delegation in Peking will Vizekanzler Gabriel die Regeln für chinesische Investoren verschärfen. Prompt kommt aus Peking der Vorwurf des Protektionismus.

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Sigmar Gabriel besucht China
Bild: Reuters/China Daily

Bedrohliche Entwicklung oder Chance auf Wachstum? Chinesische Unternehmen investieren seit Jahren verstärkt in deutsche Technologien und Marken. Im ersten Halbjahr 2016 registrierte die Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers (PwC) verglichen zum Vorjahreszeitraum einen signifikanten Anstieg der Transaktionsvolumina auf 3,4 Milliarden Euro von 737 Millionen Euro ersten Halbjahr 2015. Die Zahl der Fusionen und Übernahmen hat sich mit bislang 42 in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt.

Jahrelang hat das in Deutschland kaum jemanden beunruhigt. Denn chinesische Investoren gelten als das Gegenteil von Heuschrecken, die die Substanz  der Firmen aussaugen und dann gnadenlos fallen lassen. Eine Studie von PwC  kam 2012 zu einem überraschend positiven Ergebnis: "Die Zukunftsaussichten der deutschen Unternehmen verbessern sich nach der Übernahme durch einen chinesischen Investor in der Regel. In Deutschland können dadurch sogar neue Arbeitsplätze entstehen."

Doch diese Studie ist mittlerweile vier Jahre alt, und die Stimmung in Deutschland gegenüber chinesischen Direktinvestitionen scheint sich gewandelt zu haben. Plötzlich fällt auf, dass die Chinesen nicht nur nette Arbeitgeber sind, sondern sich gerne in Schlüsselbereichen der Hochtechnologie einkaufen.

Objekt der Begierde: Hidden Champions

Erst kaufte der chinesische Haushaltsgeräteproduzent Midea im Sommer den deutschen Roboterhersteller Kuka, jetzt stößt aber der Investor Grand Chip mit seinem 670-Millionen-Euro-Übernahmeangebot für den deutschen Spezialmaschinenbauer Aixtron auf ernste Hindernisse. Hatte das Wirtschaftsministerium den Deal mit den Chinesen zunächst als unbedenklich genehmigt, machen plötzlich Sorgen um die Weitergabe sensibler Rüstungstechnologie eine neue Prüfung notwendig.

"In Initiativen wie 'Made in China 2025' werden Pekings Ziele ganz offen formuliert", sagt Björn Conrad, Stellvertretender Direktor des Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin: "China will technologisch schnell aufholen und in zentralen Zukunftstechnologien die Marktführerschaft übernehmen. Um das zu verwirklichen, wird nicht nur im eigenen Land massiv in Forschung und Entwicklung investiert, sondern auch im Ausland das fehlende Knowhow eingekauft. Und in Deutschland gibt es ganz besonders viele interessante Hidden Champions in Hightech-Bereichen, deren Technologie China erwerben möchte."

Nach Überzeugung von MERICS-Direktor Conrad steckt aber noch mehr hinter der Strategie: Langfristig gehe es China darum, Kontrolle über die profitabelsten Knotenpunkte der globalen Fertigungsnetzwerke zu bekommen, gleichsam die Filetstücke der globalen Wertschöpfungskette. "Das ist an sich nicht überraschend oder verwerflich", so Conrad. Auch andere Länder versuchten, auf diese Weise im weltweiten Wettbewerb zu bestehen. Problematisch sei aber, dass China diese Bemühungen von staatlicher Seite steuert und massiv fördert. Mit Wettbewerb zwischen Unternehmen und Technologien habe das nichts mehr zu tun.

China Shanghai Kuka wird vom chinesischen Midea Konzern übernommen
Heißt nicht jeder gut: Kuka wird vom chinesischen Midea Konzern übernommen Bild: picture-alliance/dpa/Zhang Jinqiao

Knallharte Interessenpolitik

Vielmehr nutze hier ein staatlich dominiertes wirtschafts- und industriepolitisches System die Offenheit markwirtschaftlicher Ordnungen in Europa einseitig aus und verfolge damit eine knallharte nationale Interessenpolitik, ist Conrad überzeugt. "Wenn hochsubventionierte chinesische Unternehmen mit vergünstigten Finanzierungskonditionen und undurchsichtigen Eigentümerstrukturen auf globale Einkaufstour gehen, dann greifen die typischen Wettbewerbsverzerrungen in der chinesischen Wirtschaft auch auf ausländische Märkte über. Und das verkraften unsere Marktsysteme nicht ohne Schaden in der Substanz."

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der am kommenden Montag (31.10.2016) mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach China fliegt, sucht deshalb nach neuen Instrumenten, die dem Staat ein größeres Mitspracherecht bei Unternehmensverkäufen an Nicht-EU-Investoren einräumt. Künftig will er deshalb die Eingriffsmöglichkeiten europäischer Nationalstaaten gegen Investoren aus dem Ausland und darunter aus China generell erweitern lassen. Geführt wurde diese Diskussion in den vergangenen Jahren schon häufiger. Gabriel macht nun Ernst.

Nach Berlins Vorschlägen sollen auf EU-Ebene alle Fälle kritisch geprüft werden können, bei denen ausländische Investoren "Schlüsseltechnologien" übernehmen, die für den weiteren industriellen Fortschritt Europas wichtig sind. Firmenaufkäufe sollen verboten werden, wenn sich herausstellt, dass sie mit staatlichen Subventionen finanziert würden und den Wettbewerb verzerren. Problematisch sind auch Firmenaufkäufe, deren Investoren aus Ländern kommen, die selbst Übernahmen ihrer Unternehmen mit Verboten und Auflagen erschweren oder unmöglich machen.

Deutschland Firmensitz des Spezialmaschinenherstellers Aixtron
Neuer Stein des Anstoßes: Der Spezialmaschinenbauer AixtronBild: picture alliance/dpa/O. Berg

"Neuer Protektionismus?"

Letzteres trifft genau auf China zu. Denn die Regierung in Peking verbietet nach wie vor den vollständigen Erwerb chinesischer Firmen durch ausländische Investoren. Ausländische Firmen, die in China ein eigenes Unternehmen gründen wollen, dürfen das nur in einem Joint Venture, einem Gemeinschaftsunternehmen mit den Chinesen.

In China bezeichnet man Gabriels Pläne schlicht als "neuen Protektionismus". So schrieb das von der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua herausgegebene Wirtschaftsbulletin "Jingji Canka"": Chinas Auslandsinvestitionen, die sich stark auf Deutschland konzentrieren, seien dort in den "Brennpunkt" öffentlicher Diskussionen gerückt. Sie machten in lokalen Zeitungen Schlagzeilen und "entfachen protektionistische Gefühle."

Weiter beklagt das Blatt, dass chinesische Investitionen "aus protektionistischen Gründen" immer mehr Gegenwind verspürten. Seit Juli 2015 scheiterten elf große Übernahme-Projekte an behördlichen Verboten in den USA und Australien. Sie hätten einen Investitionswert von 38,9 Milliarden Dollar gehabt.

Ggenwind auch in Australien und den USA

Nun stelle Europa zwei Projekte auf den Prüfstand. Neben Aixtron steht die 43-Milliarden-Dollar-Übernahme des Schweizer Agrarchemie-Konzern Syngenta durch Chinas ChemChina-Gruppe in Frage. Die EU mache ihre Genehmigung von Antworten auf eine "große Menge" Fragen abhängig, schrieb China Daily. Staaten von Australien bis Deutschland diskutierten, ob chinesische Investitionen in ihre Hochtechnologie die eigene Wirtschaft schädigen.

Trotzdem: "2016 wird nach derzeitigem Stand ein Rekordjahr für chinesische Investitionen in Deutschland werden", sagt Martin Schwarzer von PwC in Deutschland. Angetrieben werde diese Entwicklung durch den anhaltenden Wachstumsdruck der chinesischen Wirtschaft. Dort seien die Genehmigungsprozesse für Investitionen im Ausland vereinfacht worden. Dies habe auch neue Investoren auf den Plan gerufen: Während in den vergangenen Jahren häufig der Branchenprimus als Käufer auftrat, gehen nun vermehrt auch chinesische Firmen aus der zweiten Reihe in Deutschland auf Einkaufstour.

Die bislang größte abgeschlossene Transaktion auf dem deutschen Markt war der Verkauf des niedersächsischen Waste to Energy-Unternehmens EEW an Beijing Enterprises für mehr als 1,4 Milliarden  Euro Anfang 2016. Allerdings, so glaubt die Zeitung "Business Herald" beobachtet zu haben, zieht die Regierung in Peking die Bremse langsam an. Denn sie vermutet hinter so mancher chinesischen Auslandsinvestition schlicht und ergreifend Kapitalflucht, um einer möglichen Abwertung des Yuan Renminbi zuvor zu kommen.