Protest im Libanon: Die Folgen der Explosion
9. August 2020Explosionen: Was ist passiert?
In der libanesischen Hauptstadt Beirut hat am Dienstag (04.08.2020) eine gewaltige Explosion mehr als 150 Menschen getötet und mehr als 6000 verletzt. Viele Gebäude wurden zerstört, etwa ein Zehntel der Einwohner 2,3-Millionen-Stadt ist obdachlos geworden. Die libanesische Regierung ging nach ersten Schätzungen von einem Sachschaden in einer Größenordnung von drei bis fünf Milliarden US-Dollar aus. Andere Schätzungen gehen gar von zehn bis 15 Milliarden Dollar aus.
Die genaue Ursache der Explosionen ist noch nicht klar. Auch wenn der Präsident einen Anschlag für möglich hält, gilt ein Unfall als wahrscheinlicher. Als sicher gilt, dass rund 2750 Tonnen hochexplosiven Ammoniumnitrats detoniert sind, das im Hafen gelagert wurde.
Der Stoff ist wird sowohl zur Herstellung von Düngemittel als auch von Sprengstoff benutzt. Das Ammoniumnitrat soll seit bereits rund sechs Jahren ohne spezifische Sicherungsvorkehrungen im Hafen gelagert haben. Libanons Außenminister Scharbil Wihbi erklärte bereits am Donnerstag: "Vorläufige Berichte deuten darauf hin, dass eine falsche Handhabe von explosiven Produkten dahintersteckt. Eine sehr schwere Fahrlässigkeit, die seit sechs Jahren andauert." Die Regierung soll seit langem von der Gefahr gewusst haben und damit, zumindest indirekt, für die Explosionen mitverantwortlich sein. Daraufhin haben sich im Libanon heftige Proteste formiert.
Proteste: Friedlich?
Seit Freitag demonstrieren Tausende Menschen in Beirut gegen die Regierung. "Rache, Rache bis zum Sturz des Regimes", skandierten sie. Einige Demonstranten schwenkten Schlingen, im Zentrum der Hauptstadt wurde ein hölzerner Galgen errichtet. Aufrufe in Sozialen Medien werden mit dem Hashtag #HangThem (#HängtSie) versehen.
Bei Protesten am Samstag warfen wütende Demonstranten mit Steinen und versuchten Absperrungen zu durchbrechen. Die Polizei setzte Tränengas gegen sie ein. Zeitweilig brachten die Demonstranten das Energie- und Handelsministerium unter ihre Kontrolle, genauso wie das Außenministerium, das sie zum "Hauptquartier der Revolution" machen wollten. Zudem stürmten sie den Sitz des libanesischen Bankenverbands und legten dort Feuer.
Später konnte die Armee die Gebäude räumen. Bei den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei sind nach Angaben des libanesischen Roten Kreuz mehr als 230 Menschen verletzt worden. Ein Polizist ist ums Leben gekommen.
Generelle Lage: Mehr als Explosionen?
Die gewaltigen Explosionen sind nur der aktuelle Auslöser der Proteste gegen die Regierung. Der Libanon steckt bereits seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise. Ein Drittel der Bevölkerung ist arbeitslos. Zudem lastet die Versorgung der 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge auf der Wirtschaft des Sechs-Millionen-Einwohner-Landes.
In der Bevölkerung hat sich über viele Jahre Frust und Wut gegen die Regierung angestaut. Bereits im Oktober 2019 breiteten sich Proteste schnell im ganzen Land aus - und das obwohl sie dezentral und von Menschen unterschiedlicher Schichten, Religionen und Konfessionen organisiert wurden. Die gemeinsame Forderung: Die Regierung muss weg.
Die Demonstranten werfen den Regierungsmitgliedern, egal welchen politischen oder religiösen Spektrums, vor, sich nur selbst zu bereichern und nichts für das Land und die Bevölkerung zu tun. Die Regierung gilt als korrupt und inkompetent. Die Bevölkerung des Landes am Mittelmeer mit Grenzen zu Syrien und Israel wünscht sich bessere Lebensbedingungen und fordert bereits seit einiger Zeit Neuwahlen.
"Wir rufen das gesamte gepeinigte libanesische Volk auf, auf die Straßen zu gehen und die Verfolgung der Korrupten einzufordern", rief der ehemalige Offizier Sami Rammah über Megaphon von den Stufen des besetzten Außenministeriums. Der Protest richte sich nicht gegen bestimmte Personen, sondern gegen "ein System, das das Land zerstört hat. In den Explosionen sehen die Demonstranten die Unfähigkeit der Regierung bestätigt, die trotz Wissens um den gefährlichen Stoff seit Jahren nichts unternommen habe.
Regierung: Neuwahlen?
Noch am Abend nach den Protesten am Samstag hatte Regierungschef Hassan Diab in einer Fernsehansprache erklärt, nur durch Neuwahlen könne die Krise überwunden werden. Er werde seinem Kabinett am Montag vorgezogene Neuwahlen vorschlagen. Diese Ankündigung konnte die Menschen allerdings nicht besänftigen. Sie fordern, dass die gesamte politische Elite abtritt.
Bereits fünf Parlamentsabgeordnete haben den Umgang der Regierung mit der Katastrophe zum Anlass genommen, ihre Mandate niederzulegen. Am Sonntag hat Informationsministerin Manal Abdel Samad als erstes Mitglied der Regierung seit den Explosionen ihren Rücktritt eingereicht. Als Grund nannte sie die Explosionen und deren Folgen: "Ich bitte die Libanesen um Entschuldigung. Wir sind ihren Erwartungen nicht gerecht geworden", sagte sie in einer am Sonntag im Fernsehen übertragenen Erklärung.
Am Sonntagabend schied auch der Umweltminister aus dem Kabinett aus. "Angesichts der enormen Katastrophe habe ich beschlossen, meinen Rücktritt von der Regierung einzureichen", teilte Demianos Kattar in einer Erklärung mit. Die Regierung habe bei einer Reihe von Reformmöglichkeiten versagt.
Einen Tag vor den Explosionen hatte bereits Außenminister Nassif Hitti seinen Rücktritt eingereicht. Als Grund hatte er die seiner Meinung nach schwache Leistung der Regierung angegeben, die es nicht schaffe, das Land aus seiner schweren wirtschaftlichen und politischen Krise zu führen. Nachfolger ist Scharbil Wihbi, bisheriger diplomatischer Berater von Libanons Präsidenten Michel Aoun.
Hilfe: Wann und von wem?
Am Sonntagnachmittag hat eine internationale Geberkonferenz über Hilfen für den Libanon beraten. Die Videokonferenz mit Vertretern von rund 30 Staaten und Organisationen war von den Vereinten Nationen und Frankreich initiiert worden.
Kurz vor der Konferenz hatte Deutschlands Außenminister Heiko Maas bereits ein Soforthilfepaket in Höhe von zehn Millionen Euro angekündigt. "Die Menschen in Beirut brauchen unsere Hilfe, und sie brauchen Anlass zur Hoffnung", sagte er der Bild am Sonntag. Das Deutsche Rote Kreuz hatte bereits am Samstag ein Flugzeug mit 43 Tonnen Hilfsgütern im Wert von 1,5 Millionen Euro nach Beirut geschickt. Es hatte unter anderem Erste-Hilfe-Sets, Decken, Werkzeug, Küchenutensilien und Hygienepakete an Bord.
Frankreich hat eine Luftbrücke eingerichtet, um sowohl Helfer als auch Hilfsgüter ins Land zu bringen. Zudem hat es zwei Schiffe, darunter ein Kriegsschiff, in Richtung Libanon geschickt, die unter anderem Nahrungsmittel transportieren. Die EU hatte bereits kurz nach den Explosionen 33 Millionen Euro an Hilfsgelder für den Libanon bereitgestellt. Am Sonntag hat die EU dann weitere 30 Millionen Euro zugesagt.