Proteste und Streiks nach Zugkatastrophe in Griechenland
3. März 2023Die Proteste in Griechenland nehmen nach dem schweren Zugunglück, bei dem mindestens 57 Menschen ums Leben kamen, immer größere Dimensionen an. Den zweiten Tag in Folge traten die Eisenbahner landesweit in einen 24-stündigen Streik, wie ihre Gewerkschaft mitteilte. Bei der Streik-Ankündigung hatte der Gewerkschaftsverband der Eisenbahner die jahrelange Vernachlässigung des Schienennetzes durch die verschiedenen Regierungen angeprangert. "Leider wurden unsere ständigen Forderungen nach mehr unbefristetem Personal, besserer Ausbildung und vor allem der Einführung moderner Sicherheitstechnik einfach übergangen."
Auch die U-Bahn-Mitarbeiter in Athen schlossen sich dem Streik am Donnerstag an. Die Metros in der Hauptstadt standen still. Das U-Bahn-System leide unter "ähnlichen Problemen" wie das Eisenbahnnetz, so die Beschäftigten. "Unsere Gewerkschaft beklagt seit Jahren massive Kürzungen bei Ausstattung und Ersatzteilen sowie enorme Personalkürzungen."
Demonstrationen in Athen und Thessaloniki
Am Donnerstagabend gingen zudem einige tausend Menschen in Athen und Thessaloniki auf die Straßen und protestierten gegen den maroden Zustand der griechischen Bahnen. Allein in Thessaloniki versammelten sich etwa 2000 Demonstrierende. Nach Polizeiangaben wurden dabei Molotow-Cocktails und Steine geworfen, jedoch kehrte danach wieder Ruhe ein. Vor der Zentrale der Bahngesellschaft Hellenic Train in Athen protestierten rund 700 Menschen. Der Opfer gedachten sie mit einer Gedenkminute.
Die Regierung räumte staatliches Versagen ein. Verzögerungen bei der Modernisierung des griechischen Bahnnetzes seien auf "chronische" Probleme und "jahrzehntelanges Versagen" in der Verwaltung zurückzuführen, sagte Regierungssprecher Giannis Economou. Der neue Verkehrsminister Giorgos Gerapetritis - sein Vorgänger war wegen der Katastrophe zurückgetreten - kündigte eine selbstkritische Aufarbeitung des Unglücks an.
Konservative und linke Politiker werfen sich derzeit in hitzigen Talk-Shows gegenseitig Versagen vor. Die beiden großen Parteien - die Konservative Nea Dimokratia und die linke Syriza - hatten Griechenland in den vergangenen zehn Jahren abwechselnd regiert.
An diesem Freitag sollen nach Angaben der Feuerwehr die Bergungsarbeiten am Unglücksort in Mittelgriechenland beendet werden. Gerichtsmediziner versuchten weiter, Leichen mit Hilfe von DNA-Tests zu identifizieren, hieß es seitens der Polizei.
Zum Unglück kam es in der Nacht zum Mittwoch auf der Strecke zwischen Athen und Thessaloniki. Ein Intercity mit rund 350 Menschen an Bord war wegen einer falschen Weichenstellung auf ein Gleis geraten, auf dem ein Güterzug entgegenkam. Zwei Waggons wurden durch die Wucht des Zusammenpralls in der Nähe der Stadt Larissa zerquetscht, der Speisewagen ging in Flammen auf. Zahlreiche Menschen wurden in den entgleisten und ineinander verkeilten Wracks eingeschlossen.
Verantwortlicher Bahnmitarbeiter mit dreimonatiger Ausbildung
Der verantwortliche Bahnangestellte ist bereits wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt worden. Bei einer Verurteilung droht dem 59-Jährigen eine lebenslange Haft. Medienberichten zufolge soll der Mann wenig erfahren gewesen sein - laut dem Fernsehsender ERT hatte er den Posten erst vor gut einem Monat übernommen. Zuvor sei er im Bildungsministerium tätig gewesen, für seine neue Aufgabe habe er eine dreimonatige Ausbildung absolviert.
Die Polizei durchsuchte inzwischen auch den Bahnhof in Larissa. Die Beamten beschlagnahmten Audiodateien, Dokumente und andere Beweismittel. Aus Justizkreisen hieß es, die Ermittlungen zielten auch darauf ab, gegebenenfalls strafrechtliche Schritte gegen Mitglieder der Unternehmensleitung von Hellenic Train einzuleiten.
Laut der Lokführergewerkschaft OSE ist die Strecke zwischen Athen und Thessaloniki in einem sehr schlechten Zustand. Alle Signale würden manuell gesteuert, sagte Gewerkschaftschef Kostas Genidounias. In einem offenen Brief hatten Bahnmitarbeiter erst im Februar darauf hingewiesen, dass die Sicherheitssysteme unvollständig und schlecht gewartet seien. Im Zuge eines umfassenden Privatisierungsprogramms infolge der Finanzkrise hatte die italienische Staatsbahn Ferrovie di Stato (FS) die griechische Bahn 2017 übernommen.
sti/as (afp, dpa)