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PolitikTürkei

Türkei-Wahl: Wer folgt auf Erdogan?

10. April 2023

Mitte Mai wählen die Türken einen neuen Staatspräsidenten. Der langjährige Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan muss um seine Wiederwahl bangen. Drei Kandidaten fordern ihn am 14. Mai heraus. Ein Überblick.

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Ein Kombobild von den türkischen Präsidentschaftskandidaten: Muharrem Ince, Recep Tayyip Erdogan, Kemal Kilicdaroglu, Sinan Ogan
Muharrem Ince, Recep Tayyip Erdogan, Kemal Kilicdaroglu, Sinan Ogan

Recep Tayyip Erdogan

Präsident Erdogan gilt heute als Zentrum der politischen Entscheidungsfindung in der Türkei. Von 1994 bis 1998 Bürgermeister von Istanbul, stieg der Politiker zum mächtigen Staatspräsidenten auf, der die Geschicke des Landes lenkt. Der 69-jährige Politiker regiert die Türkei seit 2002, als er als Gründer der gemäßigt islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) an die Macht kam. Bis 2014 war er Ministerpräsident, wechselte dann ins Präsidentenamt und baute dessen Stellung im türkischen Institutionengefüge massiv aus. Diese Machtfülle ließ Erdogan 2017 per Referendum in der Verfassung verankern. Er kontrolliert nun Politik, Verwaltung und Justiz wie kein anderer türkischer Staatenlenker in den vergangenen 100 Jahren. Bereits 2012 kritisierte er das Konzept der Gewaltenteilung als "Hindernis".

Aufgrund der Wirtschaftskrise und der zunehmenden Einschränkung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in den letzten Jahren steht er politisch unter Druck. Seine Partei bildet derzeit ein Bündnis mit der ultranationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP).

Recep Tayyip Erdogan unterschreibt Dekret zum vorgezogenen Wahltermin
Sein gutes Recht: Erdogan unterschreibt Dekret zum neuen WahlterminBild: Burhan Ozbilici/AP Photo/picture alliance

Kemal Kılıçdaroğlu

Kılıçdaroğlu galt nie als natürlicher Hoffnungsträger der Opposition, konnte sich aber schließlich durchsetzen.Er ist der gemeinsame Kandidat des Oppositionsbündnisses "Sechsertisch".

Der 74-jährige Politiker gilt als Anti-Korruptions-Bürokrat, einer seiner Spitznamen lautet "Demokratischer Onkel". Seit 2007 ist er Vorsitzender der kemalistisch-laizistisch orientierten Republikanischen Volkspartei (CHP).

Das größte Versprechen von Kılıçdaroğlu und seinem "Sechs-Parteien-Tisch" ist es, die Türkei wieder in ein "gestärktes parlamentarisches System" zu verwandeln - also Erdogans verfassungsrechtliche Schritte zur Ausweitung seiner Herrschaft so weit wie möglich rückgängig zu machen: parlamentarische Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Medienfreiheit sollen zügig wiederhergestellt und die Gewaltenteilung wieder geachtet werden. Gegenüber der DW kündigte er kürzlich an, dass er als Präsident den Strafbestand der "Präsidentenbeleidigung" abschaffen würde - eine strafrechtliche Klausel, die es Erdogan bis heute ermöglichte, zahlreiche Menschen vor Gericht zu zitieren.

Kilicdaroglu wird im Wahlkampf auch von den populären Bürgermeistern Istanbuls und Ankaras, Ekrem Imamoglu und Mansur Yavas, unterstützt. Imamoglu und Yavas sollen im Fall eines Wahlsieges Kılıçdaroğlu zu "Stellvertretenden Präsidenten" ernannt werden.

Mansur Yavas, Kemal Kilicdaroglu und Ekrem Imamoglu
Zwei erfolgreiche Bürgermeister sollen Kilicdaroglus Chance erhöhenBild: Evrim Aydin/AA/picture alliance

Laut vieler einflussreichen kurdischen Politiker werden die Kurden, die schätzungsweise 15-20 Prozent der gesamten Wählerschaft in der Türkei darstellen, Kılıçdaroğlu unterstützen.

Muharrem Ince

Zwei weitere Politiker kandidieren für das Amt des Staatspräsidenten, genießen jedoch keine große Popularität in der Bevölkerung: Ihre Kandidaturen wurden in der türkischen Gesellschaft heftig kritisiert. Es galt von Anfang an als sicher, dass die Opposition mit einem gemeinsamen Kandidaten gegen Erdogan antreten würde. Durch die Bündelung der Stimmen gegen ihn sollten die Chancen auf einen Wahlsieg erhöht werden. Zwei Politiker haben sich trotzdem als Kandidaten aufstellen lasen.

Der 58-jährige Muharrem Ince war bereits 2018 Präsidentschaftskandidat, damals für die CHP. Er verlor gegen Erdogan, obwohl er stolze 30 Prozent der Stimmen erzielte.

Daraufhin trat er aus der CHP aus und gründete seine eigene kleine Partei, die "Heimatpartei" (Memleket Partisi). Er wirft der CHP vor, ihn vor fünf Jahren nicht ausreichend unterstützt zu haben. Viele CHP-Anhänger fordern ihn auf, nicht zu kandidieren. Doch Verhandlungen zwischen ihm und Kilicdaroglu haben bisher nicht dazu geführt, dass er seine Kandidatur zurückzieht.

Zu Inces Wahlversprechen gehört unter anderem die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Medienfreiheit, was nach seinen eigenen Worten auch zu einer Stärkung der türkischen Wirtschaft und des Tourismus führen soll.

Eine Wechselstube in Istanbul und eine Moschee im Hintergrund
Die türkische Wirtschaft befindet sich in einer der schwersten Krisen ihrer GeschichteBild: Dilara Senkaya/REUTERS

Sinan Ogan

Ein weiterer Kandidat mit Ressentiments ist Sinan Ogan. Ogan ist der große Außenseiter der Wahl. Er wird von einem Bündnis ultranationalistischer Kleinstparteien unterstützt.

Im Jahr 2011 zog er mit der MHP ins Parlament ein, als diese noch nicht Mehrheitsbeschaffer der AKP, sondern in der Opposition war. Er wurde 2015 aus seiner Partei ausgeschlossen, was nach einem Gerichtsverfahren aber rückgängig gemacht wurde. 2017 wurde Ogan erneut ausgeschlossen. Sein Verhalten habe "der Einheit der Partei schweren Schaden zugefügt". Die Partei warf ihm "schwere Disziplinlosigkeit gegenüber dem Parteivorsitzenden" vor. Obwohl er damals als möglicher Nachfolger für den Parteivorsitz galt, hat er heute keine realistische Chance auf das Präsidentenamt mehr.

Seine außenpolitische Linie scheint klar: So verspricht er, den Unabhängigkeitstag Griechenlands nicht mehr zu feiern. Als Ultranationalist betont er, dass die Türkei den Turkstaaten besondere Aufmerksamkeit schenken müsse.

Sieg in Gefahr?

Dass wenige Stimmen den Wahlsieg kosten können, haben die Türken schon einmal erlebt: 1994 war Erdogan einer von mehreren Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters von Istanbul. Während die vier Kandidaten der nicht-islamistischen Parteien 22, 20, 15 und 12 Prozent der Stimmen erhielten, entfielen auf Erdogan 25 Prozent aller Stimmen, was zum Wahlsieg reichte. Auch 2023 geht in Oppositionskreisen die Angst um, dass die Uneinigkeit der Oppositionzu einem knappen Sieg Erdogans führen könnte. 

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.