Punkt für Punkt zum Meisterwerk
4. Juli 2010Roy Lichtenstein pfiff aufs Original. Er kopierte Bildmotive aus Katalogen, Postern oder von Kalenderblättern. Punkt für Punkt für Punkt malte er in seiner berühmten Rastertechnik 1963 das Picasso-Gemälde "Frauen von Algier" nach. Besser gesagt: nur einen Ausschnitt des berühmten kubistischen Bildes. Ironisch nannte er es dann: "Frau von Algier". Von weitem schaut es erstaunlicherweise wie ein echter Picasso aus, erst bei näherem Hinsehen, entpuppt es sich als echter Lichtenstein.
Cézanne, Picasso, Mondrian
Unter einem Meisterwerk machte es Roy Lichtenstein nicht. Benday-Dots, benannt nach dem Maler Benjamin Day, der als erster beim Druckprozess aus kleinen farbig gedruckten Punkten Flächen herstellte, nennen sich die Lichtensteinschen Rasterpunkte. Mit ihnen nahm er sich die Heroen der Kunstgeschichte vor. Allen voran Pablo Picasso, Henri Matisse, Piet Mondrian oder auch Salvador Dalí. Seine Annäherung schwankt zwischen Wertschätzung und Demontage. Genau wie bei seinen Comic-Bildern kombinierte Lichtenstein die Rasterpunkte mit plakativer Farbe und schwarzen Konturen. Anfangs malte er die Punkte noch per Hand, später dann verwendete er Schablonen.
Bis in die 1970er Jahre zitierte Lichtenstein eins-zu-eins einzelne Kunstwerke. "Die Badenden" von Paul Cézanne oder "Der Tanz" von Henri Matisse sind als Vorlagen klar zu erkennen. Später bezog er sich auf populäre Kunstrichtungen: Kubismus, Futurismus oder Surrealismus. Und obwohl sich das Recycling kunsthistorischer Versatzstücke durch die gesamte Schaffenszeit zieht, die meisten Gemälde, die vom 2. Juli bis 3. Oktober im Museum Ludwig in Köln zu sehen sind, sind sogar Kunstkennern unbekannt. "In keiner Ausstellung lag bislang der Fokus auf diesem Strang, der gleichermaßen wie die Comics einen der wesentlichen Aspekte seines Gesamtwerks ausmachte. Es ist der zentrale Leitfaden durch das ganze Werk.", sagt Kurator Stephan Diederich.
Perfekter Handwerker
Viele Schlüsselwerke kommen aus großen Museen wie dem MoMa in New York oder der Lichtenstein-Stiftung. "Girl with Tear" ist eine Mischung aus Comic-Strip und Surrealismus. Das Motiv zitiert den Fotografen Man Ray oder den surrealistischen Maler Renè Magritte: ein Auge, aus dem eine Träne fließt. Daraus wächst wie ein Wasserstrahl lustig eine blonde Haarsträhne. Lichtenstein ergründete Meisterwerke der Kunstgeschichte, machte sie massentauglich, und versuchte dabei, sich selbst als Urheber rauszuhalten.
Das Erstaunliche: Roy Lichtenstein blieb bis zu seinem Tod vor 13 Jahren durch und durch ein klassischer Maler. Seine Gemälde entstanden nie schnell und mechanisch. Er bereite sie akribisch vor: er suchte ein Motiv, er fertigte Skizzen an, die projizierte er mit dem Diaprojektor auf die Leinwand bis er schließlich Schablonen anfertigte. Seine Liebe zur Malerei kommt in der berühmten "Brushstroke"-Serie zum Ausdruck. Ins Gigantische aufgeblähte Pinselstriche – mit Rastertechnik auf Leinwand gemalt. Einerseits eine Hommage an die geniale Geste des Künstlers, andererseits Ausdruck eines tiefen Zweifels an derselben.
Die Ausstellung passt hervorragend nach Köln. Das nach dem Großsammler Peter Ludwig benannte Museum Ludwig verfügt nicht nur über eine bedeutende Pop Art-Sammlung, sondern besitzt auch zahlreiche Schlüsselwerke von Roy Lichtenstein. Darunter einige Lichtenstein-Ikonen: wie "M-Maybe" - das Porträt einer blonden Frau, die auf ihren Freund wartet. In Köln lässt sich der bekannte Lichtenstein wieder- und der unbekannte Lichtenstein neu entdecken.
Autorin: Sabine Oelze
Redaktion: Marlis Schaum