Putin am Pult?
30. März 2014
Der 60-Jährige ist unbestritten der einflussreichste russische Dirigent der Gegenwart und einer der wichtigsten Dirigenten unserer Zeit: Walery Gergiew leitet seit mehr als 20 Jahren erfolgreich das legendäre Mariinski-Theater in St. Petersburg. Nach Glasnost und Perestroika ging er nicht - wie viele seiner Kollegen - in den Westen, sondern machte das Theater hartnäckig zum renommiertesten Vertreter russischer Kultur, sein Orchester zu einem Spitzenorchester. Darüber hinaus ist Walery Gergiew derzeit noch Chefdirigent des London Symphony Orchestra, leitet das Philharmonische Orchester Rotterdam und das von Georg Solti gegründete World Orchestra for Peace.
Künstlerische Sonderstellung
"Walery Gergiew ist erste Wahl und steht für Aufbruch in jeder Hinsicht", so der Münchner Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers. Vor einem Jahr unterschrieb Gergiew als Nachfolger von Lorin Maazel den Fünf-Jahresvertrag mit der Stadt München. Der Kulturreferent lobt den zukünftigen Chefdirigenten des städtischen Orchesters, dessen "jugendliche Energie und Begeisterungsfähigkeit" sich auf die Münchner Philharmoniker und das Publikum aller Altersklassen auswirken werde: "Gergiew nimmt in der gesamten Musikwelt aufgrund seiner Ausstrahlung und musikalischen Vielfalt eine Sonderstellung ein."
Deshalb war Gergiew immer ein gern gesehener Gast auf allen großen Konzertbühnen, besonders mit den Höhepunkten des russischen Konzert-, Ballett- und Opernrepertoires. Bisher.
Politische Begeisterung
Walery Gergiew hat aus seiner Begeisterung für den russischen Präsidenten Wladimir Putin noch nie einen Hehl gemacht. "Er hält Putin für den einzigen Politiker, der Russland eine Zukunft geben kann", weiß die "Süddeutsche Zeitung" aus Gesprächen mit dem Künstler. In der westlichen Presse betont der Dirigent gerne, dass "sein Freund" Wladimir Putin im Vergleich zu Boris Jelzin "ein wirklicher Demokrat" sei. Dem Nachrichtensender CNN sagte er im Februar, viele Menschen täuschten sich in Wladimir Putin: "Er gehört zu einer sehr kleinen Gruppe von führenden Politikern dieser Welt, die sich für Kultur interessieren, die Kultur sehr wichtig finden."
Vor zwei Jahren engagierte Gergiew sich in Fernsehclips als Helfer Putins im Präsidentenwahlkampf. Dann verteidigte der russische Dirigent Putins repressive Gesetzgebung gegen Homosexuelle - und sorgt seitdem für Schlagzeilen. Schwulenverbände in London, Rotterdam, New York und München hatten vor seinen Auftritten protestiert, Gergiew wegen homophober Äußerungen angeprangert.
Maestros Erklärungsversuch
In einem Brief an Münchens Kulturreferenten schrieb der Dirigent nach einer Pressekonferenz: "Für die Stadt München gilt, dass jede Ausgrenzung, Benachteiligung oder Belästigung von Menschen aufgrund Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, Religion, Behinderung oder sexueller Identität unterbleibt. Verhaltensweisen, die diesen Grundsätzen widersprechen, werden nicht toleriert. Ich unterstütze diese Haltung der Stadt München voll und ganz. In meinem ganzen Berufsleben als Künstler habe ich überall auf der Welt nach diesen Grundsätzen gehandelt und werde es auch in Zukunft tun. Alle anderen Unterstellungen treffen mich sehr."
Stein des Anstoßes
Als Putins Streitkräfte die Krim besetzten und weltweite Aufregung und Proteste auslösten, veröffentlichte das russische Kultusministerium einen Öffentlichen Brief von vielen prominenten russischen Künstlern, die Putins Politik unterstützen:
"In den Tagen, in denen sich das Schicksal der Krim und unserer Landsleute entscheidet, können die Kulturschaffenden Russlands nicht gleichgültige, kaltherzige Beobachter sein. Unsere gemeinsame Geschichte und gemeinsamen Wurzeln, unsere Kultur und ihre geistigen Ursprünge, unsere Grundwerte und Sprache haben uns auf immer vereint. Wir wünschen, dass die Gemeinschaft unserer Völker und unserer Kulturen eine starke Zukunft hat. Deshalb erklären wir felsenfest, dass wir die Position des Präsidenten der Russischen Föderation zur Ukraine und der Krim unterstützen."
Zu den Unterzeichnern des kurzen Briefes gehören auch viele Musiker, etwa der Pianist Denis Matsuew, Geiger und Dirigent Wladimir Spiwakow, Bratscher Juri Bashmet, Starsopranistin Chibla Gerzmawa, oder Opernlegende Elena Obraszowa. Und: Dirigent Walery Gergiew.
Echo in den Medien
"In London gaben Konzertbesucher ihre Karten für ein Ende März geplantes Konzert zurück", meldet der Bayerische Rundfunk. Und auf der Facebook-Seite des London Symphony Orchestra war zu lesen: "Unter den derzeitigen politischen Umständen können wir unmöglich dem Konzert von Walery Gergiew und Denis Matsuew beiwohnen". "Hatte Gergiew eine andere Wahl?", fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). "Er verdankt seine sehr steile und schnelle Karriere gewiss zuallererst sich selbst, seinem explosiven Können, seinem genialen Feuerkopf. Aber er hat die Tatsache, dass er sich eine einzigartige Machtposition im Reich der Musik ausbauen konnte, eindeutig Zar Putin zu danken."
Putin habe ihm das Mariinski-Theater für eine halbe Milliarde Euro erneuert, erweitert und, schreibt die FAZ, zur "Gergiew-Music-City" umbauen lassen. Jetzt habe sich Gergiew für Putins Machtpolitik auf der Krim stark gemacht.
"Andere wichtige Persönlichkeiten des russischen Musiklebens, wie der zukünftige Bolschoi-Generalmusikdirektor Tugan Sokhiew, taten das aber eben nicht", meint die russische DW-Musikkorrespondentin Anastassia Boutsko.
Erste Zweifel
Manche deutsche Medienvertreter stellen die Frage, ob Walery Gergiew als zukünftiger Chef der Münchner Philharmoniker noch tragbar sei. Bei der Entscheidung des Münchner Stadtrats vor einem Jahr stimmten 99 Prozent der Abgeordneten noch für Gergiew. Inzwischen habe sich die Stimmung im Rathaus gewandelt, meldet der Bayerische Rundfunk.
"Wer die völkerrechtswidrige Politik Putins unterstützt, kann in München nicht Dirigent werden", meint Florian Roth, Fraktionsvorsitzender der Münchner Grünen, und findet, Gergiew müsse sich erklären. "Herr Gergiew wäre hier nicht nur ein Künstler, sondern als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker auch Repräsentant der Stadt", sagte er der DW. "Da muss man schon vorsichtig sein mit politischen Äußerungen."
Russisches Unverständnis
Tatjana Lukina leitet in München den Deutsch-Russischen Kulturverein MIR und kann die Diskussion um Gergiew nicht nachvollziehen. Gegenüber der DW sagte sie: "Man soll einen Künstler nach seinem Talent beurteilen, nicht nach seinen politischen Äußerungen, und schon gar nicht in einer demokratischen Gesellschaft. Ein Künstler ist auch dann groß, wenn er sich stetig auf der Suche nach der Wahrheit befindet. Und das ist Gergiew. Er darf sich nicht irren, aber er darf auch nicht unehrlich sein." Als multikulturelle und weltoffene Stadt solle München stolz sein, einen ehrlichen und genialen Künstler vom Format eines Walery Gergiew zu haben, meint Tatjana Lukina. "Er hat niemandem wehgetan. Ich finde es nicht richtig, was da gemacht wird!"
Bayerische Zurückhaltung
Gergiew als Andersdenkenden einfach auf die Straße zu setzen, sei für den Münchner Stadtrat der falsche Weg, findet auch die "Süddeutsche Zeitung". Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers bleibt zurückhaltend: "Ich will die persönlichen politischen Ansichten Gergiews derzeit nicht kommentieren", sagte er der Deutschen Welle.
Am 27. März gab allerdings das Kulturreferat der Stadt München bekannt, dass der Philharmonische Rat sich einvernehmlich verständigt hätte, den Kulturreferenten der Landeshauptstadt München, Dr. Hans-Georg Küppers, und den Intendanten der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, zu bitten, mit Gergiew bei seinen nächsten Aufenthalten in München ein Gespräch zu führen. Ziel sei es, "ihm die aktuelle Diskussion über seine Äußerungen darzustellen und ihn für die daraus resultierende Situation des Orchesters zu sensibilisieren."