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Putins Stellvertreterkrieg in Syrien

Fiona Clark / kk11. Oktober 2015

Vor wenigen Tagen feierte der russische Präsident seinen 63. Geburtstag. Der Syrien-Einsatz seiner Luftwaffe mutet an wie ein Geschenk, das er sich selbst macht. Wird Putin sich daran verheben? Von Fiona Clark, Moskau.

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Russland - Syrien: Luftschläge mit russischen Kampfflugzeugen (Foto: picture alliance/AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Kots

Kaum hatten russische Kriegsschiffe gut zwei Dutzend Marschflugkörper vom Kaspischen Meer in Richtung Syrien abgefeuert, über eine Distanz von rund 1500 Kilometern, brach Wladimir Putin zu einem Eishockey-Match mit Stars der Nationalliga auf. Wenig überraschend erzielte der russische Staatschef gleich mehrere Treffer - eine schöne Art, seine Geburtstagsfeier abzurunden.

Doch worüber sonst könnte sich ein Mann freuen, der sich bereits die Krim und möglicherweise einen Teil der Ukraine einverleibt hat? Vielleicht über die Möglichkeit, die aus russischer Sicht allzu dominante Position der USA im Nahen Osten zu korrigieren. Mit einem eigenen Nahost-Bündnis, bestehend aus dem Iran, dem Irak, der Hisbollah sowie einer Reihe weiterer Partner, die allesamt bei den USA und deren Verbündeten - etwa Saudi-Arabien und den Golfstaaten - nicht gut gelitten sind.

Die Ironie daran: Ausgerechnet Saudi-Arabien und die Golfstaaten verursachen Russland derzeit ökonomisch heftige Kopfschmerzen. Sie produzieren derart viel Öl, dass der Preis pro Fass auf deutlich unter 45 Euro gesunken ist. Das russische Haushaltsbudget ging aber von einem Ölpreis von rund 90 Euro pro Fass aus. Zwar wurde es inzwischen nach unten korrigiert. Dennoch befindet sich die Wirtschaft in einer Rezession. Der Wert des Rubels ist in den Keller gefallen.

Wladimir Putin spielt Eishockey (Foto: picture alliance/AP)
Bild: picture-alliance/AP/A. Nikolsky

Riskante Politik

Welch besseren Weg gibt es, in einer solchen Situation auf sich aufmerksam zu machen, als Raketen in einen fremden Krieg abzuwerfen? Selbst wenn man erklärt, die syrische Regierung habe einen dazu aufgefordert. Jedenfalls lässt sich nicht leugnen, dass die russischen Luftangriffe in Syrien in den USA und den NATO-Staaten erhebliche Schockwellen ausgelöst haben.

Zwar behauptet Russland, es sei in Syrien, um den "Islamischen Staat" (IS) endgültig zu zerstören. Die USA warnen allerdings: Die Strategie, jeden zu eliminieren, der "wie ein Terrorist aussieht" oder "kämpft", sei zum Scheitern verurteilt.

Großbritannien erklärte, es werde 100 Soldaten in die baltischen Staaten entsenden, um so die Nerven zu beruhigen, die angesichts von möglicherweise mehr russischem Expansionismus "à la Ukraine" blank liegen.

Derweil hat die NATO auf das wiederholte "zufällige" Eindringen russischer Flugzeuge in türkischen Luftraum mit der Warnung reagiert, das Bündnis sei bereit, seine Mitgliedsstaaten zu verteidigen. Die Türkei rät Russland, seine Piloten vorsichtiger fliegen zu lassen, denn die Türkei als Freund und Verbündeten zu verlieren, wäre ein erheblicher Verlust.

Machtdemonstration

Ob Putin das beeindruckt? Während politische Analysten noch über die Taktik des russischen Staatschefs nachsinnen, hat dieser die Falken in Washington in helle Aufregung versetzt. Sie verlangen, Amerika müsse der russischen Unverschämtheit sofort entgegentreten.

Einrussischer Kampfjet in Latakia, 07.10.2015 (Foto: TASS)
Mit aller Kraft für Assad: russischer Kampfjet im syrischen LatakiaBild: picture-alliance/dpa/ITAR-TASS

Ihre Rhetorik ist vertraut: Die US-amerikanische Außenpolitik werde "international gedemütigt" und wenn man nun nicht Stärke zeige, akzeptiere man, dass Putins waghalsige Politik der gewaltsamen Landnahme ein weiteres Mal über die "schwachen" Demokraten triumphiere.

Tatsächlich mag das Putin Anlass geben, sich ins Fäustchen zu lachen. Aber ebenso wäre es denkbar, dass er sich verhoben hat.

Putin versichert, er befreie die Welt von einem Schrecken, der viel größer sei als jener, der von Assad ausgehe, und Assad werde Platz machen, wenn die Zeit gekommen sei. Der Westen sieht das anders: Assad sei schlimmer als jede Terrorgruppe und müsse durch befreundete Rebellen ausgetauscht werden.

Putin hält dagegen, das seit fast fünf Jahren anhaltende Bemühen des Westens, Assad loszuwerden, habe erst jene Flüchtlingskrise ausgelöst, der sich Europa jetzt gegenüber sieht. Die US-Strategie, "befreundeten" Rebellen beizustehen, sei in Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten wiederholt gescheitert. Und nicht nur das: Die befreundeten Rebellen hätten die ihnen übergebenen Waffen auch an Al-Kaida weitergereicht - warum also nicht etwas neues ausprobieren?

Könnte dieser Schuss nach hinten losgehen? Während Putin versichert, die russische Operation dauere nur wenige Monate, fliegen die USA und ihre Verbündeten bereits seit einem Jahr Luftangriffe. Russland läuft Gefahr, in einen langen und ausufernden Kampf hineingezogen zu werden.

Der Krieg und das Öl

Und während der tschetschenische Führer Ramsan Kadyrow darauf drängt, seine Truppen nach Syrien zu schicken, um den IS am Boden zu bekämpfen, könnten die Luftschläge bei den 15 bis 20 Millionen russischen Muslimen weniger gut ankommen. (Kadyrow behauptet, die Terroristen würden um ihr Leben rennen, sobald sie hörten, dass die Tschetschenen kämen. Vielleicht hat er vergessen, dass etliche der IS-Kämpfer ebenfalls aus Tschetschenien stammen.)

Zwar verkündet Putin mit Unschuldsmiene seine allerbesten Absichten - es scheint aber, als hörten nur sehr wenige zu. Vielleicht ist ihm das egal. Denn ein anhaltender Konflikt käme ihm womöglich sehr gelegen - schließlich gibt es nichts Besseres für den Ölpreis als einen anständigen Krieg.

Fiona Clark ist australische Journalistin mit Sitz in Russland.