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KonflikteNiger

Putsch im Niger: Die letzte Bastion im Sahel wankt

27. Juli 2023

Im Vergleich zu seinen Nachbarn galt Niger bislang als Stabilitätsanker. Doch die jüngsten Ereignisse in dem Sahel-Land erschüttern dieses Bild - nicht zuletzt auch auf der internationalen Bühne.

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Niger Protest in Niamey
Anhänger der Putschisten - wie zuvor bereits in Mali ist die nächste russische Flagge nicht weitBild: AFP

Aus der Ferne betrachtet wirkte Niger lange wie die letzte Bastion der Stabilität im Sahel: 2021 glückte noch ein demokratischer Machtwechsel an der Staatsspitze, während in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso in rascher Folge die Armeen vier Mal putschten. Ein Putschversuch in den Tagen der Amtsübernahme blieb erfolglos.

Doch nun ist auch der Anschein von Stabilität im Niger dahin: Mitglieder der Präsidentengarde setzten Staatsoberhaupt Mohamed Bazoum fest. Ein Militärsprecher erklärte den Präsidenten im Staatsfernsehen für abgesetzt und die Institutionen der siebten Republik für aufgelöst.

Bazoum selbst will das offenbar nicht hinnehmen: "Alle hart erkämpften Errungenschaften werden gewahrt", schrieb er auf Twitter. Dafür würden alle demokratie- und freiheitsliebenden Nigrer sorgen. Außenminister Hassoumi Massoudou sprach lediglich von einem "Putschversuch": Die Armee stehe nicht als Ganzes dahinter, sagte er dem Sender France 24.

Inzwischen hat sich das Militärkommando der Armee jedoch hinter die putschenden Einheiten gestellt. Damit soll offenbar eine Frontenbildung vermieden werden, die schlimmstenfalls zu einem Krieg wie im Sudan führen könnte.

Wie groß war die Unzufriedenheit mit Präsident Mohamed Bazoum?

"Der Präsident hat den Fehler begangen, den Sicherheitsapparat nicht sofort unter seine Kontrolle zu bringen. Er hat sich nicht die Zeit genommen, diesem Sicherheitsapparat seinen eigenen Stempel aufzudrücken", sagte Seidick Abba, Journalist aus Niger, im Gespräch mit der DW.

ARCHIV Porträtfoto von Nigers Präsident Mohamed Bazoum
Präsident Mohamed Bazoum im März in seinem Palast - nun hat seine eigene Garde ihn offenbar festgesetztBild: Boureima Hama/AFP/AP/dpa/picture allaince

Bazoum war bei seinem Wahlsieg im Februar 2021 auch von seinem Vorgänger und Parteifreund Mahamadou Issoufou unterstützt worden, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte. Der Journalist und Analyst Moussa Aksar sagte im DW-Gespräch, Bazoum werde als "perfekte Kopie" seines Vorgängers wahrgenommen, zum Leidwesen vieler Nigrer: "Die Regierung hat sich nicht geändert. Sie hat den Kampf gegen die Korruption versprochen. Aber Mitglieder der Regierungspartei, die strafbare Handlungen begangen haben, wurden nicht behelligt."

Schon seit Issoufous Amtszeiten erhöhte die regierende Nigrische Partei für Demokratie und Sozialismus (PNDS) den Druck auf die Opposition. Bounty Diallo, Sozialwissenschaftler an der Universität Abdou Moumouni in Niamey, warf ihr im DW-Interview fehlende demokratische Kultur vor: "Anstatt eine funktionierende Opposition zuzulassen, versuchen sie, eine Einheitspartei zu schaffen." Das führe letztlich zu Frustrationen.

Wie ist die Stimmung in der Hauptstadt Niamey?

DW-Korrespondent Gazali Abdou hat sich in der Hauptstadt Niamey umgehört. Ein Mann sagte, das Militär und auch er selbst seien "nicht immer zufrieden mit Präsident Bazoum. Für mich ist es also besser, es zu versuchen, und dann werden wir sehen, was mit dem neuen Machthaber passiert."

"Wir wollen keinen Putsch" - mit diesem Transparent liefen Anhänger von Mohamed Bazoum am Mittwoch durch Niamey
"Wir wollen keinen Putsch" - mit diesem Transparent liefen Anhänger von Mohamed Bazoum am Mittwoch durch NiameyBild: Sam Mednick/AP Photo/picture alliance

Andere drückten Sorgen vor einem Putsch und dessen möglichen Folgen aus. Eine Frau sagte: "Es ist ein Rückschritt für unsere Demokratie, denn ein Staatsstreich ist schlecht für ein Land. Wir appellieren daher an die ECOWAS (die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, d. Red.) und die internationale Gemeinschaft, etwas zu unternehmen."

Als sich der Putschversuch am Mittwoch abzeichnete, hatten Anhänger von Präsident Bazoum bereits eine Kundgebung zu dessen Unterstützung abgehalten. Am Tag darauf verwüsteten Anhänger der Putschisten die Parteizentrale der PNDS.

Anhänger der Putschisten steckten sind auf der Straße nahe der PNDS-Parteizentrale zwischen schwarzen Rauchsäulen und Autos zu sehen
Anhänger der Putschisten steckten nahe der PNDS-Parteizentrale unter anderem Autos in BrandBild: AFP

Wie beliebt Bazoum in der Bevölkerung tatsächlich ist, ist schwer zu sagen. Neben seiner eigenen Regierungsbilanz nennt der Journalist und Analyst Aksar noch einen weiteren Faktor, der seinen Rückhalt einschränken dürfte: "Es gibt auch den Einfluss der sozialen Medien, vor allem im Hinblick auf das, was in Burkina Faso oder Mali passiert. Dort ist eine antifranzösische Stimmung zu beobachten, die die Gesellschaft vergiftet - auch die des Niger." Die in Mali herrschende Militärjunta vollzieht eine Abwendung von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und hin zu Russland - offenbar auch unterstützt durch pro-russische Propaganda in sozialen Medien.

Was bedeuten die Ereignisse für die Region?

Bazoum hingegen galt als verlässlicher Partner des Westens, unter dem Niger noch eine gewichtigere Rolle zukommen sollte: Wenn der internationale Militäreinsatz in Mali in fünf Monaten endet, bleibt Niger als einziger Standort für westliche Truppen übrig, die einen völligen Kollaps der Sicherheit im Sahel verhindern sollen. Seit Jahren intensivieren islamistische Terrorgruppen ihre Aktivitäten in der gesamten Sahelzone und verüben immer wieder blutige Anschläge - auch im Niger. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Entwicklungsministerin Svenja Schulze signalisierten nach dem Putsch ihre Unterstützung für Bazoum und forderten die Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung.

Pistorius und Schulze besuchen Sahelregion
Sicherheit und Entwicklung: Die Bundesregierung, hier Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Verteidigungsminister Boris Pistorius, baute große Teile ihrer Sahel-Politik auf einem stabilen Niger aufBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Frankreich hat seine letzten Truppen bereits im vergangenen Jahr von Mali nach Niger verlegt - der Schritt steht der Bundeswehr noch bevor, und hierfür war das Drehkreuz in Niger bislang fest eingeplant.

"Jetzt ist die Illusion dahin, dass Niger ein sehr stabiles Land ist, das andere Länder der Sahelzone stabilisieren könnte", sagt Ulf Laessing, Leiter des Sahel-Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung im malischen Bamako. "Von dem Putsch profitieren werden dschihadistische Gruppen, die im Dreiländereck mit Mali und Burkina Faso aktiv sind, nämlich der Islamische Staat und JNIM."

In Niger bilden die Bundeswehr und ihre Partner bereits seit 2018 Soldaten aus - derzeit befindet sich eine EU-Mission im Aufbau. Der Putsch könnte diese Projekte in einem anderen Licht erscheinen lassen: Nach Angaben des "Spiegel"-Journalisten Matthias Gebauer soll mindestens einer der Beteiligten von der deutschen Ausbildung profitiert haben.

Der nigerianische Analyst Gimba Kakanda erwartet, dass internationale Partner nun ihr Engagement in Niger zurückfahren werden. Er rechnet mit Sanktionen und einer Verringerung der Entwicklungshilfe: "Das dürfte die Regierung zum Verzweifeln bringen, und zu einem harten Regime gegenüber der eigenen Bevölkerung. Und das lenkt sie vom größeren Kampf ab, nämlich dem Krieg gegen den Terror", sagte Kakanda im DW-Interview. Das könne die Region weiter destabilisieren.

 

Mitarbeit: Nafissa Amadou, Josephine Mahachi, Eric Topona, Gazali Abdou (Niamey)