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Queere Künstler zwischen Berlin und Istanbul

Jan Tomes ad
15. März 2017

Während das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei zurzeit sehr angespannt ist, zeigt das Schwule Museum in Berlin wie eng die Beziehungen zwischen beiden Ländern tatsächlich ist, wie schwul, lesbisch und queer.

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Ausstellung ğ – das weiche g im Schwulen Museum
Bild: Schwules Museum

Eine Ausstellung im Schwulen Museum in Berlin zeigt aktuell Arbeiten von zwölf Künstlern, die den queeren Dialog zwischen der Türkei und Deutschland suchen. Die Ausstellung "ğ - das weiche g" scheut auch keine politischen Themen. Trotz der spärlichen Räumlichkeiten hat das Museum einen großzügigen Raum für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. Sie ermöglicht Einblicke in einen Teil der türkischen Kultur, der einem sonst eher verwehrt bleibt. 

Queere Verbindung zwischen Berlin und Istanbul

"Wir haben die Ausstellung nach dem Buchstaben ğ benannt, weil dieser Buchstabe 1928 im türkischen Alphabet auftauchte, nachdem die ursprünglich persisch-arabische Schrift durch lateinische Buchstaben ersetzt wurde", erklärt einer der beiden Kuratoren der Ausstellung, Emre Busse, der DW. "Es ist eine Metapher. Deutsche und andere Nicht-Türken wissen normalerweise nicht, wie man den Buchstaben ausspricht. Also sprechen sie türkische Namen, die diesen Buchstaben beinhalten, falsch aus. In diesem Akt sehen wir eine queere Möglichkeit, die uns eine neue Identität verschafft", fügt er hinzu. Die Ausstellung mit dem Untertitel "Queere Formen migrieren" zeigt, wie Deutschland direkt und indirekt mitgeholfen hat, die türkische schwul-lesbische-Community zu formen.

Ausstellung ğ – das weiche g im Schwulen Museum
In dieser Arbeit von Erinç Seymen trifft eine queere Bilderwelt auf Symbole politischen Widerstands und staatlicher UnterdrückungBild: Schwules Museum

Die meisten der Künstler, die nun im Schwulen Museum ausstellen, wurden in der Türkei geboren und sind später nach Deutschland migriert, so auch Emre Busse. Er wurde in Istanbul geboren und machte vor zwei Jahren an der Bauhaus Universität in Weimar seinen Abschluss. Danach zog er nach Berlin und begann, als Filmemacher und Kurator zu arbeiten. Die Ausstellung präsentiert außerdem Exponate einer kurdischen Künstlerin und von Künstlern aus Singapur und den Niederlanden.

Ritt durch queere Kunst: von Drag Queens bis Sextoys

Mit ihren großen, haselnussbraunen Augen, ihren künstlichen Wimpern, ihren scharf definierten Augenbrauen und ihrem strahlenden Lächeln, lenkt die berühmte Drag Queen Fatma Souad alle Aufmerksamkeit auf sich. Das Porträt von Cihangir Gümüştürkmen zeigt sie in einem roten Kleid mit goldener Halskette.

Ausstellung ğ – das weiche g im Schwulen Museum
Eine Allegorie für lesbischen Sex von Nilbar GüresBild: CHROMA Istanbul

Vor dem Porträt sind ein Schuh und ein Dildo auf einem Spitzendeckchen platziert – es ist eine Allegorie für lesbischen Sex von Nilbar Güreş.

Ein großer Teil der Ausstellung widmet sich offensiv der Sexualität und Erotik. Aber sie zeigt auch einige Kunstwerke, die zurückhaltender daher kommen, darunter die Klanginstallation von Ming Wong, die die persönliche Geschichte seines Musiklehrers zum Thema hat.

Die unausgesprochene Position der Türkei

Busse gibt zu, dass es für ihn in der Türkei zur Zeit nicht leicht wäre, eine Ausstellung zu machen, in der sich eine Hängematte mit Lederriemen direkt neben abstrakten Fotos von schwitzigen Fußböden befindet. "Gegen die LGBT-Community wird zwar nicht offiziell Politik gemacht, aber im letzten Jahr wurde zum Beispiel die CSD-Parade abgesagt. Die Behörden gaben an, dass das Datum sich mit dem Ramadan überlappen würde, und dass es nicht angemessen sei, während des islamischen Fastenmonats Sexualität darzustellen. Ich frage mich, was in den nächsten Jahren passieren wird", fügt er hinzu.

"Ich beobachte, wie viele meiner queeren Freunde dieser Tage aus der Türkei fliehen. Die staatliche Unterdrückung wird härter, aber zumindest ist das jetzt endlich mal offensichtlich." Damit deutet er an, dass jegliche Abweichung von der Heteronormativität, also einer Gesellschaft in der Männer ausschließlich Frauen und Frauen ausschließlich Männer begehren, in seinem Heimatland immer noch strafbar ist.

"Es geht jetzt erstmal ums Überleben"

Über die Wahlkampfveranstaltungen türkischer Politiker in Europa ist Busse alles andere als glücklich. "Redefreiheit ist das eine. Aber ich glaube, dass sich hier der Faschismus ausbreitet. Das muss aufhören. Wir sehen, dass die Demokratie in der Türkei nicht mehr funktioniert. Ich habe meinen Glauben an die Wahlen verloren", sagt er. "Was zur Zeit passiert, und zwar nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland und anderen Ländern, ist der Aufstieg des Rechtsextremismus. Diese chaotische Atmosphäre macht es für Menschen – ob sie nun queer sind oder nicht – unmöglich, sich auf ihr Leben zu konzentrieren. Es geht jetzt erstmal ums Überleben. Aber wenn das dein Lebensinhalt wird, dann wird das Leben ziemlich anstrengend."

Das Schwule Museum Berlin zeigt noch bis 29. Mai 2017 die Ausstellung "ğ - das weiche g".