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Quälende Gewissheit

21. Juli 2003

Der britische Premierminister Tony Blair und seine Regierung befinden sich nach dem Tod ihres Beraters und früheren Irak-Waffeninspekteurs David Kelly in der schwersten Krise ihrer sechsjährigen Amtszeit.

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Regierungsberater David Kelly wählte offenbar den FreitodBild: AP

Der 59-jährige Biowaffenexperte David Kelly war nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums die Hauptquelle für einen brisanten BBC-Bericht, wonach die britische Regierung ein Waffen-Dossier über die vom Irak ausgehende Gefahr aufbauschte. Die BBC bestätigte diese Angaben in einer Stellungnahme am Sonntag (20. Juli 2003).

Dem Druck nicht mehr standgehalten

In der Nähe von Oxford wurde am Freitag (18. Juli 2003) Kellys Leiche entdeckt. Die Polizei hatte nach Kelly gesucht, nachdem er von einem Spaziergang nicht mehr heimgekommen war. Nach Angaben der Ermittler verblutete der Mikrobiologe durch einen Schnitt am linken Handgelenk; neben ihm wurden ein Messer und eine leere Packung Schmerztabletten gefunden. Die Polizei geht zunächst davon aus, dass der 59-Jährige sich selbst getötet hat, weil es keine Anzeichen für Fremdeinwirkung gebe. Die Ermittlungen zum Tod sollen dem britischen Verteidungsministerium zufolge so bald wie möglich beginnen. "Angesichts der Wichtigkeit des Falls dürfte die Untersuchung eher Wochen als Monate dauern", sagte ein Sprecher des Ministeriums am Sonntag (20. juli 2003) in London. Der genaue Zeitplan liege aber in den Händen von Chefermittler Brian Hutton.

Gesprochen, aber nichts verraten

Kellys Freitod ist eine tragische Wende in der Affäre um das angeblich manipulierte Dossier über irakische Massenvernichtungswaffen. Kelly, der von 1994 bis 1997 für die UN-Mission UNSCOM im Irak nach solchen Waffen suchte, hatte eingeräumt, den BBC-Journalisten Andrew Gilligan getroffen zu haben. Gilligan ist der Autor des umstrittenen Berichts vom 29. Mai 2003, in dem es ohne Quellenangabe heißt, Tony Blairs Kommunikationschef Alastair Campbell habe für das Dossier Geheimdienstinformationen gefälscht. Er habe auf der Aussage bestanden, der Irak könne binnen 45 Minuten Massenvernichtungswaffen startbereit machen – und damit sei das britische Volk über die Gefahr in die Irre geführt worden.

Haus von Dr. David Kelly in Abingdon mit Polizist, England
Das Haus von Dr. David Kelly in Abingdon bei OxfordBild: AP

Kelly wurde auf teils rüde Art von einem Untersuchungsausschuss vernommen, erklärte aber, er sei nicht Gilligans Informant gewesen. Aber die BBC hat inzwischen eine anderslautende Erklärung veröffentlich. "Nachdem wir Dr. Kellys Familie informiert haben, können wir bestätigen, dass Dr. Kelly die Hauptquelle war", hieß es. Der Sender glaube, dass er die sachlichen Informationen des Regierungsmitarbeiters korrekt interpretiert und wiedergegeben habe. In einer Stellungnahme der Familie Kellys hieß es: "Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben Davids Leben unerträglich gemacht, und alle daran beteiligten sollten lange und tief darüber nachdenken."

Blair verspricht Untersuchung

Der Tod des angesehenen Wissenschaftlers stürzt die britische Regierung in eine tiefe Krise. Abgeordnete aus den eigenen Labour-Reihen, zum Beispiel Glenda Jackson, verlangten den Rücktritt von Tony Blair, der gerade Asien bereist. Oppositionsführer Ian Duncan Smith forderte den Premier auf, sofort nach Großbritannien zurückzukehren. Blair selber lobte den Ex-Waffeninspekteur als "feinen Diener der Gesellschaft, der für sein Land viel Gutes getan hat" und nannte seinen Tod eine "schreckliche Tragödie". Doch auf Fragen nach einem Rücktritt von Kommunikationschef Campbell oder Verteidigungsminister Geoff Hoon ging Blair nicht ein. Er kündigte eine "vollständige und unabhängige Untersuchung" an. (reh/arn)