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Radikalisierung im Knast

Ben Knight / ft25. März 2016

Einige der Terroristen von Paris und Brüssel wurden im Gefängnis radikalisiert. Auch in Deutschland kennt man dieses Problem, aber die Politik interessiert sich bislang kaum dafür.

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Gefängnisfenster, Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

"Gefängnisse sind eine ganz massive Brutstätte für Radikale" - der EU-Anti-Terror-Beauftragte Gilles de Kerchove hat es klar benannt. Und das schon im Januar 2015, nach den Attentaten auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen Supermarkt mit jüdischen Lebensmitteln in Paris. Nur ein Jahr und zwei schwere Terroranschläge später kehrt das Muster zurück: Auch Ibrahim und Khalid El-Bakraoui, die Brüssel-Attentäter, hatten Gefängnisaufenthalte hinter sich, wenn auch für Straftaten, die nicht mit Terror in Verbindung standen.

Die Gefahren, die ein Gefängnisaufenthalt mit sich bringt, sind schon länger bekannt. Auch in Deutschland sitzen derzeit radikale Islamisten ein, etwa die Täter des vereitelten Anschlags auf den Bonner Hauptbahnhof von 2012. Sie könnten theoretisch andere radikalisieren.

"Herr Imam, wer nicht betet, muss getötet werden"

Deutschland reagiert nur zaghaft auf das Problem. Thomas Kutschaty, Justizminister von Nordrhein-Westfalen, war peinlich berührt, als der Westdeutsche Rundfunk ihm am Donnerstag vorwarf, dass der "Fünf-Jahres-Plan" der Landesregierung nicht vorankommt. Und tatsächlich: Eigentlich war geplant, deutlich mehr Imame als Seelsorger in die Gefängnisse des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes zu schicken. Passiert ist hier aber wenig, die Zahl ging zuletzt sogar zurück.

Husamuddin Martin Meyer, Foto: Horst Galuschka
Husamuddin Meyer fordert mehr Imame als SeelsorgerBild: picture-alliance/dpa/Horst Galuschka

Imam Husamuddin Meyer hält das für ein großes Versäumnis. Als Seelsorger in hessischen Gefängnissen hat er vieles gesehen und gehört, was ihn aufschrecken ließ. "Her Imam, " sagten da manche, "ich habe gehört, wenn jemand nicht betet, muss er getötet werden". Oder auch: "Der IS ist doch wirklich ein islamischer Staat, oder?". Meyer ist überzeugt, dass hier Imame gefragt sind, um gegenzusteuern. Sie seien das beste Gegenmittel für die islamistische Radikalisierung. "Sie erfüllen ja eine Doppelfunktion: Sie können sowohl sachliche Gegenargumente anbringen, als auch Seelsorge betreiben", sagt er der DW. "Wenn ein Imam sagt, dass etwas falsch ist, dann ist schon viel gewonnen." Die innere Unzufriedenheit, die bei vielen potentiellen Gefährdern vorherrscht, könne ein Imam erkennen und ihr durch seelsorgerische Arbeit entgegensteuern.

Das Problem: Meyer wird gerade mal 15 Stunden pro Woche eingesetzt. Die Arbeit in einem Wiesbadener Gefängnis teilt er sich mit gerade mal drei anderen Imamen. Dabei müssen sie mehr als hundert Insassen betreuen. Bezahlt wird er pro Stunde. Dabei findet er, dass sich jedes Gefängnis pro hundert Insassen mindestens einen Imam in Vollzeit leisten sollte. "Erst dann ist es doch möglich, auf jeden Einzelnen angemessen einzugehen. Die christlichen Gefängnisgeistlichen arbeiten Vollzeit, haben aber viel weniger Insassen, um die sie sich kümmern müssen." Erst langsam verbessere sich die Situation - auch aufgrund der Terroranschläge.

Auch säkulare Programme gefragt

Auch viele säkulare Programme sollen in deutschen Gefängnissen zur Prävention beitragen - allerdings nur in manchen Bundesländern. Initiiert werden sie von privaten, nicht gewinnorientierten Organisationen wie dem "Violence Prevention Network" (VPM) von Thomas Mücke. Er findet nicht unbedingt, dass Imame bei der De-Radikalisierung mithelfen müssen. Das Netzwerk arbeitet vor allem mit Pädagogen, Sozialarbeitern und Psychologen zusammen. Oft betreuen sie die Insassen auch über die Dauer der Haftzeit hinaus. "Klar können auch Imame zur Prävention beitragen, aber eigentlich ist das nicht ihr Job", so Mücke.

Thomas Mücke, Mitbegründer und Geschäftsführer des Violation Prevention Networks, Foto: VPN
Thomas Mücke, Geschäftsführer des "Violation Prevention Networks"Bild: VPN/Klages

Netzwerke wie das VPM können allerdings auch nur dann etwas ausrichten, wenn sie Verträge mit Bundesländern unterzeichnet haben. Im Moment arbeitet das VPM in fünf Ländern: Hessen, Niedersachsen, Berlin, Bayern und Baden-Württemberg. "Das ist genau das Problem. Wir fordern seit Jahren ein De-Radikalisierungsprogramm auf Bundesebene", so Mücke. Stattdessen hätten sich die Innen- und Justizminister der Länder die Verantwortung für das Problem seit drei Jahren hin- und hergeschoben.

Jetzt könnte sich etwas ändern. Die Sprecherin eines Landesjustizministeriums sagte der DW, dass die De-Radikalisierung auf der Agenda der nächsten Versammlungen stünde. "Naja", sagt Thomas Mücke wenig zuversichtlich. "Diese Debatte verfolge ich jetzt seit sieben Jahren."