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Rammstein: Schutz vor sexuellen Übergriffen bei Konzerten

7. Juni 2023

Im Zuge der Rammstein-Vorwürfe fordern Politiker bessere Schutzkonzepte für Fans. Damit rennen sie offene Türen ein, denn viele Konzertveranstalter setzen seit Jahren auf Sicherheit.

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Eine Frau sitzt in einer Zuschauermenge auf Schultern und hält ein Getränk hoch.
Alle sollen sich auf Festivals sicher fühlen - dafür gibt es KonzepteBild: Daniel Reinhardt/dpa/picture alliance

Die Europe Stadium Tour von Rammstein wird überschattet von den Vorwürfen gegen Sänger Till Lindemann wegen angeblicher sexueller Übergriffe. Ab Mittwoch (7.6.2023) gibt die Band in München im Olympiastadion vier ausverkaufte Konzerte. In Berlin sind im Juli drei weitere Auftritte geplant. Von einer Absage der Konzerte oder gar einem Stop der Tour ist bisher nicht die Rede, solange die Staatsanwaltschaft nicht offiziell gegen Rammstein ermittelt.

Inzwischen hat sich die Politik eingeschaltet und fordert ein erhöhtes Sicherheitskonzept für die Münchener Rammstein-Konzerte sowie für weitere Großveranstaltungen. Schutzkonzepte bei Konzerten und Festivals gibt es bereits seit Jahren, denn sexuelle Übergriffe bei Großevents, wo sehr viele Menschen auf engstem Raum zusammenkommen, sind nichts Neues.

Rammstein live in Odense, Dänemark, Totale von einer Bühne mit Rauch und Flammen.
Die Rammstein-Tour läuft vorerst weiterBild: Sebastian Dammark/Gonzales Photo/picture alliance

2017 erlangte das schwedische Bråvalla Festival traurige Berühmtheit: Zahlreiche sexuelle Übergriffe wurden angezeigt - davon drei Vergewaltigungen. Eine 15-Jährige soll sogar in der Zuschauermenge misshandelt worden sein. Im Jahr davor waren fünf Vergewaltigungen angezeigt worden.

Ein schwedisches Festival brachte alles ins Rollen

Ob es tatsächlich "nur" die gemeldeten Vergewaltigungen waren, ist gar nicht sicher. Denn trotz eines immer stärker werdenden weiblichen Selbstbewusstseins - getragen von der #MeToo-Bewegung - trauen sich viele Frauen aus Scham immer noch nicht, die Täter anzuzeigen. Der Konzertveranstalter FKP Scorpio zog damals erste Konsequenzen: Das Bråvalla Festival fand nach diesen Vorfällen nie mehr statt.

Zwei lachende Frauen in Bikinioberteilen werden in einer riesigen Zuschauermenge auf Schultern getragen
Knappe Oberteile sind keine EinladungBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Seitdem aber wird das Problem von der Branche ernst genommen. Als Reaktion auf die Vorfälle in Schweden führte man so genannte Dunkelzifferstudien durch, mit denen man die Zahl tatsächlich begangener Übergriffe genauer eindämmen konnte. So hat 2018 das britische Meinungsforschungsinstitut YouGov mehr als 1000 weibliche und männliche Festivalbesucher zu ihren Erfahrungen befragt. Heraus kam, dass ein Fünftel aller Besucher, egal welchen Geschlechts, schon einmal belästigt wurden. Bei Frauen unter 40 Jahren waren es sogar 43 Prozent. Lediglich zwei Prozent der Betroffenen haben den Vorfall der Polizei gemeldet. Viele haben Angst davor, dass man ihnen nicht glaubt, dass sie nicht ernst genommen werden oder dass der Vorfall heruntergespielt wird.

Sichere Räume und Codewörter

Das Glastonbury Festival, das größte Festival in England mit über 200.000 Besucherinnen und Besuchern, bietet seit 2016 eine Frauen-Sektion vor den Bühnen an. Die Organisatoren beschreiben diese Schutzzone als "intersektionellen, queeren, transsexuellen und behindertengerechten Raum". Es ist offen für Menschen, die sich als Frauen identifizieren, und wird ausschließlich von ihnen betrieben. Diese "Sisterhood" wird gut genutzt.

Dicht gedrängte Zuschauer bei Rock am Ring 2022.
Auch im dicht gedrängten Publikum hat niemand das Recht "zuzugreifen"Bild: Christoph Hardt/Panama Pictures/picture alliance

2017 hat sich das Hamburger Unternehmen FKP Scorpio, einer der größten Festival-Veranstalter in Europa, einen simplen, aber wirksamen Mechanismus ausgedacht: Betroffene können sich mit dem Codewort "Panama" an das Festival-Personal wenden. Das können Standbetreiber, Sanitäter, Polizisten oder Securities sein. Wird das Wort oder der Satz "Wo geht's nach Panama?" ausgesprochen, wird die Person sofort, ohne dass sie Gründe nennen muss, aus der Situation befreit und in eine geschützte Zone gebracht. Auch dort bleibt es den Betroffenen überlassen, ob sie eine Straftat anzeigen wollen oder nicht.

"Wo geht's nach Panama?"

Alle von FKP Scorpio veranstalteten Festivals wie das "Hurricane", "Southside", "Deichbrand" oder "M'era Luna" nutzen den "Panama"-Code. Beim Kölner Reggae-Festival "Summerjam" heißt das Codewort "Edelgard". Auch "Angel Shot" oder "Luisa" sind inzwischen geläufig. Das System "Panama" hat Schule gemacht und wird inzwischen auf vielen Großveranstaltungen, in Clubs oder auch bei großen Fußballspielen genutzt.

Zwei Frauen lassen sich von der Menschenmenge auf Händen tragen.
Crowdsurfing sollte für Frauen genauso sicher sein wie für MännerBild: Jens Niering/picture alliance

Damit sich die Fans noch sicherer fühlen, setzen viele Veranstalter auf so genannte "Awareness Teams" oder "A-Teams". Sie bewegen sich gut erkennbar auf dem gesamten Veranstaltungsgelände, um den Fans Denkanstöße zu Sexismus, Homophobie und Rassismus zu geben. Und sie sind natürlich auch direkte Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, wenn es Probleme gibt.

Viel weibliche Präsenz kann auch ein Schutz sein

Das Wacken Open Air (WOA) setzt auf eine ausgeprägte weibliche Präsenz beim Sicherheitsteam. Fast die Hälfte des Personals ist weiblich - bis hin zur Security-Chefin Heidrun Vogler. Vogler glaubt, dass die Männer bei einer großen weiblichen Präsenz gerade in diesem Bereich mehr Hemmungen haben, sich aufzuspielen. In einem Interview mit der Frauenzeitschrift "Emma" erklärt sie dies an einem Beispiel: "Am Ende des Tages wird das Feld vor den Bühnen geräumt. Da sind ungefähr 60 Prozent Männer und 40 Prozent Frauen im Einsatz, die angetrunkene Männer und Frauen dazu auffordern, das Festivalgelände zu verlassen. Die Männer hören eher auf eine Frau, die sagt: 'Komm, morgen ist doch auch noch ein Tag!' Das finden die dann Klasse, dass da eine Frau als Security arbeitet und dann gehen die."

Wacken Open Air: Vor einer großen Bühne stehen Zehntausende und hören einem Konzert zu.
Zum WOA 2019 kamen etwa 75.000 Metalheads, 2022 waren es sogar über 83.000 Bild: Jacobs/Fotostand/picture alliance

Sowieso sei in Wacken alles sehr harmonisch, sagt nicht nur Heidrun Vogler. Metalheads wird nachgesagt, sie seien die freundlichsten Menschen der Welt. Während beim WOA manche Metal-Bands auf den Bühnen brachiale Shows mit spritzendem Kunstblut veranstalten, geht es im Publikum friedlich zu. Man ist hilfsbereit und achtet aufeinander. Sollte es trotzdem zu sexuellen Übergriffen kommen, stehen Helferinnen und Helfer bereit - und natürlich ist "Panama" auch unter Wacken-Fans ein Begriff.

"Das ist nicht Metal"

Es geht aber auch ganz anders: 2017 hat eine Frau in Wacken einen alkoholisierten Besucher, nachdem der übergriffig wurde, so sehr verprügelt, dass er ins Sanitätszelt musste.

Straftaten wie sexuelle Übergriffe stören das Bild von Freiheit, fröhlichem Miteinander und Flucht aus dem Alltag. Denn bei einem Festival sollen doch (eigentlich) alle gleich sein und einfach mal die "Sau rauslassen" - was heißt: viel Alkohol, wenig Schlaf, Feiern, Bier und Grillwurst zum Frühstück, fünf Tage nicht duschen, verrückte Sachen tun.

Die Grenzen sind jedoch eindeutig dann erreicht, wenn man - bei aller Feierlaune - anderen Menschen Leid zufügt. In Wacken heißt das: "Das ist nicht Metal".

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Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online