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Kritik an Rating-Agenturen

Martin Schrader22. Juli 2008

Rating-Agenturen wie Moody's und S&P spielen in der Finanzwelt eine große Rolle. Ihre Risiko-Analysen konnten bisher über Wohl und Wehe eines Unternehmens entscheiden. Doch nun müssen sie selbst ums Überleben fürchten.

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Rating-Agenturen-Grafik: DW / Peter Steinmetz
Nicht immer angemessen vergeben: die Topnote AAA für exzellente BonitätBild: DW

Bereits ein Vierteljahr vor dem Ausbruch der weltweiten Finanzmarktkrise wird die Analystin einer US-Rating-Agentur deutlich: In einer E-Mail an einen Kollegen schreibt sie über ein Finanzprodukt, dessen Risiko sie bewerten soll: "Das könnte von Kühen strukturiert sein, und wir würden es bewerten." Das Finanzprodukt, um das es ging, basierte auf minderwertig abgesicherten (so genannten subprime) Hypotheken. Der Handel mit solchen vermeintlich sicheren Investments führte später zur Finanzmarktkrise.

Solche und andere Details der Arbeitsweise von Rating-Agenturen bringt ein 37-seitiger Untersuchungsbericht der US-Börsenaufsicht SEC an den Tag. Die Behörde nahm zwischen August 2007 und Juli 2008 drei der wichtigsten Rating-Agenturen unter die Lupe: Fitch Ratings, Moody's Investor Services und Standard & Poor's. Mehr als 50 Mitarbeiter der SEC arbeiteten an diesem Bericht, um die Rolle der drei Agenturen in der Finanzmarktkrise zu beleuchten. Die Bilanz der SEC ist eine Art "Angriff auf das Geschäftsmodell von Rating-Agenturen", wie der Finanzmarkt-Experte und Fondsmanager Conrad Mattern aus München im Gespräch mit DW-WORLD meint.

Böses Erwachen

Das Vertrauen in die Unabhängigkeit dieser Rating-Agenturen ist auf den Finanzmärkten weltweit von immenser Bedeutung: Nicht nur Unternehmen, auch Länder, Bundesländer und Städte, die sich auf den internationalen Finanzmärkten Geld leihen, werden von diesen Agenturen benotet - genauer: ihre Kreditwürdigkeit wird beurteilt. Das Spiel ist einfach: je besser die Note ist, desto günstiger sind die Kreditkonditionen auf dem Markt. Die Noten der Agenturen zahlen sich also in klingender Münze aus.

Wer jemals an die Objektivität der Rating-Analysten geglaubt hatte, erlebt mit dem SEC-Bericht ein böses Erwachen. Denn die Mängelliste ist lang und erschreckend. Die SEC ordnet in ihrem Bericht die Kritikpunkte zwar nicht einzelnen Agenturen zu. Doch das scheint auch nicht nötig, denn die Schwächen betreffen zumeist alle drei Unternehmen gleichermaßen.

Interessenkonflikte

Alle drei Agenturen verwenden zum Beispiel das gleiche Gebühren-Modell. Demnach zahlt der Auftraggeber einer Analyse auch die Gebühren an die Agentur. Dieses Modell erzeugt nach Darstellung der SEC bei den Agenturen einen Interessenskonflikt: Einerseits wollen sie ihren Umsatz durch ihre Ratings steigern, andererseits könnten sie ihr Geschäft gefährden, indem sie einem Kunden eine schlechte Note verpassen.

Die Agenturen sind zwar gehalten, solche Interessenskonflikte durch interne Maßnahmen zu verhindern. So sollen beispielsweise Analysten auf keinen Fall mit Auftraggebern in Kontakt kommen oder gar mit diesen Gebühren für ihre Analysen verhandeln. Diese internen Mauern scheinen jedoch dem SEC-Bericht zufolge so löchrig zu sein wie ein Schweizer Käse. Es habe mehrere Hinweise darauf gegeben, dass Analysten in Gebühren-Kalkulationen für Kunden einbezogen wurden. Und es seien in den Agenturen "keinerlei interne Anstrengungen unternommen worden, Analysten von E-Mails oder anderen Informationen abzuschirmen", in denen Gebühren für Kunden festgelegt wurden. Einige hätten sich bei ihren Bewertungen sogar Sorgen gemacht, dass eine negative Bewertung schlechte Auswirkungen auf den Umsatz des eigenen Unternehmens haben könnte.

In einer Rating-Agentur sei deutlich geworden, dass die Analysten indirekt Verantwortung trugen für den Marktanteil ihres Unternehmens. Nahm dieser im Vergleich zu den Kontrahenten ab, wurde diskutiert, ob eine Änderung der Bewertungsmethoden Marktanteile zurück erobern könnte.

"Wir schaffen ein großes Monster"

Schon aufgrund ihrer Personalausstattung sind die Agenturen dem SEC-Bericht zufolge nicht zu soliden Analysen in der Lage. Gemessen am Recherche-Aufwand, den eine zuverlässige Analyse erfordert, verfügen sie über zu wenig Mitarbeiter. Das Problem habe sich noch vergrößert, als der Subprime-Markt zwischen 2002 und 2006 an Volumen zunahm. In dieser Zeit wurden Finanzinstrumente, die auf diesem Markt kursierten, von den Rating-Agenturen offensichtlich immer schlampiger analysiert und anschließend bewertet.

Ein Analyst erkannte dieses Problem frühzeitig. Er berichtete seinem Vorgesetzten am 15. Dezember 2006 in einer E-Mail von seiner Sorge, dass die Rating-Agenturen mit ihrem Verhalten ein "großes Monster" zum Leben erweckten: den CDO-Markt. Die Abkürzung steht für "collateralized debt obligations". Sie bezeichnet Anleihen, die mit minderwertigen Hypotheken verknüpft sind. "Wir wollen hoffen", schrieb der Analyst in seiner Mail, "dass wir alle reich und pensioniert sind, wenn dieses Kartenhaus zusammenbricht."

Auch andere Bereiche betroffen

Nach Einschätzung der SEC-Kontrolleure gibt es auch in Agentur-Abteilungen jenseits des Subprime-Bereichs Personalengpässe, die eine solide Risikobewertung erschweren. Auch dort seien Ratings vergeben worden, obwohl bei Analysen Fragen auftauchten, die unbeantwortet blieben. Ein Analyst aus einer Immobilien-Abteilung meinte in einer Mail: "(Das Personalproblem) macht es uns natürlich schwer, einen Gegenwert abzuliefern, der unsere Gebühren rechtfertigt." Ein anderer Manager schreibt: "Unser Personal-Modell setzt voraus, dass Analysten mehr als 60 Wochenstunden arbeiten … Die Analysten arbeiten noch mehr als das, und wir verheizen sie damit."

Die Fed reagiert

"Eine Rating-Agentur ist immer nur so erfolgreich, wie sie eigenes Vertrauen geschaffen hat", erläutert Mattern, der auch Lehrbeauftragter an der Munich School of Management der Universität München ist. "Durch diesen Bericht ist das Vertrauen in die Agenturen vollkommen unterminiert worden. Somit laufen die Agenturen im Moment Gefahr, sich selbst abzuschaffen." Man könne das auch daran sehen, dass die US-Notenbank bereits bekannt gegeben habe, dass sie ab sofort nicht mehr darauf bestehe, immer nur "geratete" Anleihen in ihren Bestand zu nehmen. Es reicht nun aus, wenn die Unternehmen oder Banken, die bei der Fed Finanzinstrumente einreichen, nachweisen können, dass sie eigene Modelle zur Bewertung haben. "Das ist ein Frontalangriff auf das Modell der Rating-Agenturen", sagt Mattern.

Künftig würden die Rating-Agenturen wohl für mehr Transparenz beim Entstehen ihrer Urteile sorgen, hofft Mattern. Zudem würden große Finanzdienstleister wohl dazu übergehen, eigene Bewertungen einzuführen. Und schließlich, so prognostiziert Mattern, wird vielleicht auch eins der Rating-Unternehmen demnächst ganz von der Bildfläche verschwinden.