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Renzi fordert Wachstum

Bernd Riegert2. Juli 2014

Mit Temperament, Charme und Leidenschaft trumpfte der neue EU-Ratspräsident der nächsten sechs Monate auf. Matteo Renzi, Italiens jugendlicher Premier, wurde aber nie wirklich konkret.

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Italiens Premier Matteo Renzi im Europoäischen Parlament 02.07.2014 (Foto: REUTERS/Vincent Kessler)
Bild: Reuters

Selbstbewusst ist er, und das ließ er die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg auch gleich zu Beginn der sechs Monate währenden Ratspräsidentschaft spüren. Italiens Premierminister Matteo Renzi kam zu spät zu seiner Antrittsrede ins Hohe Haus. Und als er dann kam, verteilte er erst einmal Küsschen links und rechts an italienische Abgeordnete. Umringt von ungewöhnlich vielen Fotografen konnten die Abgeordneten Matteo Renzi fast nicht sehen, bis Parlamentspräsident Martin Schulz für Ordnung sorgte. Der Sozialdemokrat Matteo Renzi wies in seiner Rede gleich darauf hin, dass er als Sieger aus den Europawahlen Ende Mai hervorgegangen ist. "Italien ist mutig und stolz und ein großes Land." Er wolle nicht als Bittsteller auftreten, fügte Renzi lächelnd hinzu. Seine Regierungspartei bekam 40 Prozent der Stimmen.

Europa: Ein müdes "Selfie"

Renzi schob einen großen Stapel Papier von sich. Das seien die üblichen politischen Programme, die die Ratspräsidenten vorlegen. Das wolle er jetzt nicht alles vortragen, sondern einfach zu Protokoll geben.

Matteo Renzi sprach lieber frei und mit Leidenschaft über sein Bild von Europa. Der Kontinent wirke müde und ausgelaugt nach der Wirtschaftskrise, Europa brauche neuen Mut und neues Selbstbewusstsein, sagte Renzi. "Wenn wir von uns selbst ein Selfie machen würden, würden wir ein müdes europäisches Gesicht sehen. Ja, sogar Langeweile. Das ist unverständlich. Denn unsere Zeit bietet alle Chancen."

Italiens Premier Matteo Renzi im Europoäischen Parlament mit Martin Schulz 02.07.2014 (Foto: REUTERS/Jean-Marc Loos)
Strahlende Parteifreunde: Renzi (li.) und Parlamentspräsident Schulz (SPD)Bild: Reuters

Wachstum und nicht zu viel Stabilität

Italien werde nicht mehr niedergedrückt und kleinlaut alles hinnehmen wie in den letzten Jahren, die von Wirtschaftskrise und Finanzfragen geprägt waren, machte der Ministerpräsident klar. Dabei werde Italien die Probleme, die in Italien entstanden sind, auch selber lösen und Reformen durchführen, versicherte der Regierungschef. "Wir wissen, dass wir uns selber helfen müssen." Seine Forderung vom letzten EU-Gipfel, die Verschuldungskriterien im Stabilitäts- und Wachstumspakt flexibler handzuhaben, wiederholte Renzi nicht.

Italien kämpft mit schwachem Wirtschaftswachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Die neue Regierung hat erste, zaghafte Reformen angepackt. Sie sollen eher mit neuen Schulden als mit Einsparungen finanziert werden. Italien will während der nächsten sechs Monate nicht so sehr die Stabilität als das Wachstum in der europäischen Finanzpolitik in den Vordergrund stellen. "Wir wollen die Regeln nicht ändern", sagte Renzi, "aber das Wachstum muss Vorrang haben, nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa." Konkrete Maßnahmen nannte der neue Ratspräsident nicht.

Keine neue Schulden fordern deutsche Konservative

Der neue Vorsitzende der konservativen Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), mahnte Renzi, Italien und Europa dürften die Lektionen, die in der Wirtschaftskrise gelernt wurden, nicht über Bord werfen. "Schulden schaffen keine Zukunft, Schulden zerstören Zukunft", sagte Weber in der Debatte. Die Forderungen nach mehr Flexibilität seien der falsche Weg, auch wenn sie jetzt von großen Mitgliedsstaaten vorgebracht würden. "Sie haben einen Schuldenstand von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts", hielt Weber dem italienischen Ministerpräsidenten vor. "Sie wollen doch ihren Kindern Chancen und nicht nur Schulden hinterlassen." Deshalb sei auch mehr Zeit für Reformen nicht unbedingt eine Lösung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegt, wird das ähnlich sehen.

Manfred Weber, CSU-Europaabgeordneter (Foto: Michael Vogl dpa/lby)
Skeptisch: Manfred Weber, Fraktionschef der KonservativenBild: picture-alliance/dpa

Neue Migrationspolitik

Matteo Renzi will sich neben der Finanzpolitik auch den Migrations- und Flüchtlingsfragen widmen. Italien habe eine der längsten Grenze der Europäischen Union. Deshalb brauche man eine neue Partnerschaft mit Afrika, aus dem viele Flüchtlinge kommen.

Es gehe nicht nur um eine Kontrolle der Grenze, sondern um einen völlig neuen Ansatz bei der Einwanderungspolitik. Europa müsse bei Missständen seine Stimme erheben, auch wenn zum Beispiel Christen in Afrika wegen ihres Glaubens verfolgt würden. Europa müsse auf die Rufe nach Freiheit aus der Ukraine und östlichen Partnerstaaten antworten. Die Lebensbedingungen der Palästinenser müssten verbessert werden. Man müsse Israel an seine Verantwortung dafür erinnern, forderte Renzi.

Flüchtlinge in Pozzallo, Italien (Foto: REUTERS/Antonio Parrinello)
Flüchtlinge auf Sizilien: Italien will Partnerschaft mit AfrikaBild: Reuters

Zukunft, und zwar sofort

Der 39 Jahre alte Ministerpräsident sagte, er gehöre zu einer neuen Generation von Politikern in Europa. Die müsse die Vorteile Europas erst wieder entdecken. "Als der Maastricht-Vertrag 1992 abgeschlossen wurde, war ich noch nicht einmal volljährig", sagte Renzi. Italien sei überzeugt, dass Europa seine Seele wiederfinden müsse. Das sei die Herausforderung seiner Generation. "Wir blicken nicht in die Vergangenheit, die Krise, sondern wir beginnen heute sofort mit der Zukunft."

Manfred Weber, der Chef der Konservativen, sagte dazu, die Botschaften und Versprechen höre er wohl. Er hoffe, dass das Parlament nach sechs Monaten italienischer Ratspräsidentschaft eine positive Bilanz ziehen könne.