Rebellin der Modewelt: Vivienne Westwood wird 80
8. April 2021London, Anfang der 1970er. In der King's Road 430 lebt ein Pärchen namens Malcolm McLaren und Vivienne Westwood. In ihrem schwarz gestrichenen, abgeranzten Laden mit dem Namen "Let it Rock" steht eine Musikbox. Sie verkaufen abgefahrene Klamotten, bestickte Samtanzüge, Röhrenhosen und lange Jackets. Die Musik und die Mode der Hippiebewegung geht ihnen auf die Nerven: Der Rock'n'Roll ist aus der Musik verschwunden, die Musikindustrie hat alles übernommen, die Glaubwürdigkeit der revoltierenden Jugend ist weg. Die einzigen "echten" Revoluzzer sind die "Teddy Boys", deren Bewegung ein gesellschaftliches Statement gegen die "Upper Class" ist: "Seht her, hier ist ist die 'working class' und nimmt euch eure Mode weg!"
Vom Rockabilly zum Fetisch zum Punk
Das gefällt Westwood und McLaren. Der Laden in der King's Road läuft und wird immer wieder umbenannt - "Too fast to live, too young to die", dann "Sex" und später "Seditonaries"; Vivienne und Malcolm entwerfen immer verrücktere Klamotten und entfernen sich dabei immer weiter vom Teddy-Look. "Gummikleidung für das Büro" ist nun angesagt. Der Laden wird umdekoriert, an den Wänden hängen Gummi, Ketten und Vorhängeschlösser - ein solcher Fetischschuppen ist einzigartig in jener Zeit. Und dann bekommen die Klamotten plötzlich Löcher, Reißverschlüsse und Sicherheitsnadeln an den unmöglichsten Stellen. Vivienne und Malcolm haben immer verrücktere Ideen, sie verwenden auch Hühnerknochen, Rasierklingen und sogar Fahrradketten. Hundehalsbänder werden zu Schmuck stilisiert, auf die Stoffe grelle Farben, obszöne Sprüche und Graffittis appliziert.
Provokation als Mode
Als McLaren die Punkband Sex Pistols managt, schneidert sie das Bühnenoutfit der Band - und hat seitdem ihren Ruf weg: "Queen of Punk". Die Musik der Sex Pistols, von Clash, The Damned und vielen weiteren Punkbands erobert gegen Ende der 1970er-Jahre eine Generation von Jugendlichen, die gerade gar nicht wissen, wo es lang gehen soll. Der Punk knallt mitten rein in diese Ratlosigkeit und gibt den Jugendlichen eine Vision: nämlich gar keine zu haben. "No Future" ist das Motto. Die Musik und die Kleidung sind ein Aufschrei gegen das Establishment, reine Provokation.
Plötzlich interessieren sich etablierte Designer wie Gaultier und Versace für diese schrille Punkmode aus London und verarbeiten Punkelemente in ihren eigenen Kreationen. Es dauert nicht lange, und schon bekommt man Kleidung mit Ketten und Sicherheitsnadeln in jeder Boutique - weltweit. Der Punk ist im Mainstream gelandet. Für Vivienne Westwood ein Grund, sich davon zu verabschieden und woanders zu provozieren. Mit ihrer eigenen Kollektion "Pirates" (1981) erobert sie mit Models in Piratenkostümen die Laufstege. Ihren Eintritt in den Modezirkus hat sie damit in der Tasche, eine steile Karriere beginnt - heute gehört sie zu den wichtigsten Modedesignern der Gegenwart. Das hätte sie wohl nicht gedacht, als sie damals, Anfang der 1970er, in einem ranzigen Laden in der King's Street 430 anfing, die ersten Löcher in Netzstrumpfhosen zu reißen.
Modeschöpferin mit klarem Statement
Das politische Statement war und ist immer ein fester Bestandteil ihrer Mode. Die Aktivistin, die am 8. April 80 Jahre alt wird, nutzt jede Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf ihre sozial-politischen Anliegen zu richten: So saß sie vergangenes Jahr in schrillem, gelbem Outfit in einem überdimensionalen Vogelkäfig vor dem Gerichtsgebäude in London. Es war ihr Protest für die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange - und er sorgte damals für großes Aufsehen.
Seit langem engagiert sich die britische Modeschöpferin für Menschenrechte, Frieden, Tierschutz und gegen den Klimawandel. So rief Westwood am Ende ihrer Modeshow für Frühjahr/Sommer 2013 unter einem Banner zur "Climate Revolution" auf. 2015 ließ sie sich in einem weißen Panzer zum Privathaus des damaligen britischen Premierministers David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnung durch Fracking zu protestieren. Im selben Jahr setzte sie auf ihrer Red-Label-Show mit einem "Yes"-Batch ein klares Zeichen ihrer Unterstützung für das schottische Unabhängigkeitsreferendum.
Westwoods Label gilt als Vorreiter in Sachen nachhaltiger Mode - sie verzichtet auf echte Pelze und plädiert für weniger Konsum in der Modewelt. Ihr Motto: "Buy less, choose well, make it last." So setzt die Modeschöpferin auf nachhaltige Materialen und arbeitet mit vielen kleinen, unabhängigen Unternehmen zusammen.
Der Brexit und die Modebranche
In Folge des Brexits hat die britische Modebranche mit den neuen Regeln besonders stark zu kämpfen: Im Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU ist zwar grundsätzlich zollfreier Handel vereinbart worden, doch dies gilt nur für Waren, die auch in diesen Ländern produziert werden. In der Modebranche kommen die Rohstoffe meist aus Asien. Wenn also EU-Kunden bei einem Modelabel in Großbritannien Kleidung bestellen, werden teilweise Zollgebühren fällig.Vivienne Westwood hat daher die britische Regierung in einem offenen Brief aufgefordert, den Sektor stärker zu unterstützen.
Auch wenn sie sich vom Punk entfernt hat, ihm ganz den Rücken gekehrt, hat sie bis heute nicht. Die Britin ist ihren Prinzipien treu geblieben: Die Auseinandersetzung mit dem Establishment war und ist ihr Lebensmotto.
Dies ist eine aktualisierte Fassung eines Artikels von 2016 zum 75. Geburtstag der Designerin.