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Rechte Revolutionäre

5. Juni 2021

In Deutschland begeistern sich Rechte für einen faschistischen Umsturz. An der Spitze stehen das "Institut für Staatspolitik" und der Verleger Götz Kubitschek. Der Einfluss des Netzwerks reicht bis tief in die AfD.

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Deutschland Demonstration gegen Flüchtlinge in Cottbus | Götz Kubitschek
Kubitschek vernetzt mit seinem Verlag, der Zeitschrift "Sezession" und dem "Institut für Staatspolitik" die "Neue Rechte"Bild: Patrick Pleul/ZB/dpa/picture alliance

Der Funke zündete bei Götz Kubitschek im Jahr 1990. Deutschland war gerade erst wiedervereinigt. Viele rechte Kreise träumten von einem neuen nationalen Selbstbewusstsein. Kubitschek war 20 Jahre alt und als Soldat bei der Bundeswehr. Da bekam er über einen Kameraden einen Essay des Autors Armin Mohler in die Hand: "Der faschistische Stil". Jahre später beschreibt Kubitschek in seiner eigenen Zeitschrift "Sezession", wie Mohler ihn damals für die antidemokratischen Theorien der sogenannten "Konservativen Revolution" entflammte: "Plötzlich war die Sprache der nach 1945 in Rechtfertigungszwang gedrängten Rechten wieder bewaffnet: Von festem Fundament aus ließ sich die eigene Position bestimmen."

Verlag Antaios in Schnellroda, Sachsen-Anhalt
Zwei Mal im Jahr treffen sich Burschenschaftler, Mitglieder der "Identitären Bewegung" und Protagonisten der "Neuen Rechten" in Schnellroda bei den sogenannten "Akademien"Bild: Hans Pfeifer/DW

Seitdem kämpft Kubitschek seinen Kampf gegen das moderne Deutschland. Gegen gesellschaftliche Vielfalt und Toleranz. Gegen die gesellschaftliche Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus. Gegen Einwanderung und Flüchtlinge. Und gegen die vermeintliche Dekadenz der Demokratie. Er hat dazu gemeinsam mit seiner Ehefrau Ellen Kositza im Dorf Schnellroda in Sachsen-Anhalt ein rechtes Netzwerk aufgebaut. Dazu gehören das "Institut für Staatspolitik", ein Verlag, eine Zeitschrift, eigene Kanäle in den sozialen Medien und die Verflechtung mit zahlreichen anderen Vereinen und Gruppierungen. Von hier aus soll die Szene mit den antidemokratischen Visionen deutscher Denker und Schriftsteller versorgt werden: Armin Mohler, Ernst Jünger, Carl Schmitt oder Oswald Spengler. Sie alle sind Apologeten einer völkisch-nationalistischen Gesellschaft, die sich gegen die angebliche Dekadenz der Moderne und der Demokratie abschottet.

Die Erzählung vom "Großen Austausch"

Auftrieb bekommt Schnellroda vor allem durch die Flüchtlingspolitik Angela Merkels im Jahr 2015. In der Ankunft hunderttausender Kinder, Frauen und Männer, vor allem aus Syrien und dem Irak, sieht Kubitschek eine Verschwörung zu einem "Großen Austausch". Dabei fabuliert er - ohne Beweise - von einem Plan, die deutsche Bevölkerung gegen Fremde auszutauschen. Um die Deutschen auszulöschen zugunsten einer multikulturellen globalen Weltordnung. Gerade im Osten Deutschlands verfängt der rassistische Hass. Fast täglich kommt es damals zu aufgeheizten Demonstrationen und rassistischen Übergriffen. Auf einer der flüchtlingsfeindlichen Kundgebungen im Jahr 2016 wirbt Kubitschek in Dresden unter dem Jubel hunderter Anhänger für seine Vision einer möglichst homogenen Gesellschaft: "Deutschland bleibt nur dann Deutschland, wenn es die Deutschen sind, die seinen Lauf prägen werden. "

Deutschland Merkel Selfie mit Anas Modamani
Die offene Flüchtlingspolitik Angela Merkels wurde vor allem von rechts heftig kritisiertBild: Getty Images/S. Gallup

Er macht deutlich, dass er die Verfassungsdefinition der deutschen Staatsbürgerschaft, wonach Deutscher ganz einfach ist, wer den deutschen Pass hat, nicht akzeptiert: "Und diese Deutschen und ihr schönes Land kann man nicht einfach basteln oder umbauen." Kubitschek beschwört die vermeintliche Homogenität der Deutschen im 20. Jahrhundert. Wobei er nicht erwähnt, dass diese Homogenität auch eine Folge des entfesselten Terrors der Nazi-Zeit war, der eine beispiellose Vernichtung aller zu Feinden erklärten Bürgerinnen und Bürgern umsetzte.

Antidemokratische Traditionen

Götz Kubitschek wirbt mit seinem Netzwerk für eine "Konservative Revolution". Diese antiliberale Ideologie entstand im Deutschland der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Damals richtete sie sich gegen die verhasste Demokratie der Weimarer Republik. Kubitschek überführt sie ins 21. Jahrhundert und richtet sie gegen die verhasste freiheitlich-demokratische Grundordnung der heutigen Bundesrepublik. In seiner Zeitschrift "Sezession" nennt er sie verächtlich ein System, "von dem man behaupten kann, daß es seine Okkupation durch Interessengruppen zulasse, für die Parteien einen grandiosen Selbstbedienungsladen aufgebaut habe". Der Historiker Volker Weiß fasst die "Konservative Revolution" als radikal nationalistische und soldatisch-heroische Ideologie zusammen, die statt an Wahlen und Parlamente an eine zur Führung berufene Elite glaubt.

In den sogenannten "Akademien" des "Instituts für Staatspolitik" verbreitet Kubitschek die Schriften der rechten Revolutionäre. Die Veranstaltungen begreifen sich als akademische Einrichtungen. Wissenschaftler dagegen halten das für einen Etikettenschwindel. "Eine tatsächliche akademische Auseinandersetzung findet dort nicht statt", sagt Historiker Volker Weiß der Deutschen Welle. "Es ist eine deutlich zweckgeleitete Form der Theoriebildung oder eigentlich Theoriefindung, die dort stattfindet. Eine akademische Auseinandersetzung würde eine viel größere Pluralität und eine andere Form der Reflexion bedeuten."

Verlag Antaios in Schnellroda, Sachsen-Anhalt
Auch der Verlag Antaios gehört zu Kubitscheks Zentrum in SchnellrodaBild: Hans Pfeifer/DW

Stattdessen sind die "Akademien" eher Agitationsplattformen, auf denen Kubitschek sein Publikum für einen vermeintlich bevorstehenden Bürgerkrieg intellektuell munitionieren will. Und die Munition soll scharf sein: "Wenn wir Deutsche zu zivilisiert für die Notwendigkeiten des Vorbürgerkriegs bleiben, ist die Auseinandersetzung bereits entschieden: 'Nur Barbaren können sich verteidigen', sagt Nietzsche." So zitiert Kubitschek im Jahr 2007 in seinem Buch "Provokationen". 

Meister der Selbstverharmlosung

Mit solchen Provokationen und geschickter Selbstvermarktung hat Kubitschek es geschafft, über seinen überschaubaren Kreis von Anhängern hinaus wahrgenommen zu werden. Sein intellektuelles Auftreten paart er gerne mit aristokratischer Vulgarität. In ihren selbstproduzierten Videos für die sozialen Medien benutzen seine Frau Ellen Kositza und er gern und häufig Kraftausdrücke, reden sich gegenseitig aber mit dem förmlichen "Sie" an. Und die lächelnde Lust, das Wort "Faschismus" auszusprechen, trifft man im Land des Holocaust nicht allzu häufig.

Kubitschek ist gegenüber den Medien ein Meister der Selbstverharmlosung. Er hat sie zu einer rechten Strategie gemacht und sie in seiner Zeitschrift "Sezession" beschrieben. Journalisten und politischen Gegnern gegenüber kehrt er bewusst seine "harmlose" Seite hervor. Seine veröffentlichten Reden und Schriften, aus denen in diesem Artikel zitiert wird, sind aufschlussreicher und aussagekräftiger.

Schnellroda als AfD-Nachwuchsförderung

Nun könnte man Götz Kubitschek und sein "Institut" als rechtes Schmuddelprojekt mit überschaubarer Wirkung am extrem rechten Rand ablegen, wenn da nicht die AfD wäre. Die Partei hat es innerhalb weniger Jahre geschafft, sich politisch in Deutschland zu etablieren. Im Bundestag ist sie die größte Oppositionspartei. Und bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt könnte sie am 6. Juni 2021 sogar zur stärksten Kraft aufsteigen. Die AfD hat sich im Laufe weniger Jahre außerdem so weit radikalisiert, dass sie an der Schwelle zum rechtsextremen Beobachtungsfall für den deutschen Inlandsgeheimdienst steht.

 Deutschland | Landtagswahl in Sachsen-Anhalt | Plakate der AfD mit Landeschef Oliver Kirchner in Magdeburg
Die AfD liefert sich in den Umfragen kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDUBild: Jan Huebner/imago Images

Führende Köpfe des besonders radikalen Parteiflügels sind eng mit Kubitschek und seinem Netzwerk verbunden. Und fast die gesamte Parteielite hat schon in Schnellroda vorgesprochen: zum Beispiel der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland oder der vermeintlich gemäßigte Co-Parteivorsitzende Jörg Meuthen. Und auch die Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl im September, Alice Weidel. Sie sagte hier im Sommer 2019 bei einer der "Akademien": "Es ist ganz wichtig, dass wir unseren Nachwuchs fördern. Und der Nachwuchs sitzt eben hier." Ein Besuch in Schnellroda verspricht AfD-Spitzenpolitikern den nötigen Stallgeruch in der rechten Szene. 

Obwohl das "Institut für Staatspolitik" inzwischen als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall nachrichtendienstlich überwacht wird, scheut die AfD nicht den öffentlichen Schulterschluss. Der stellvertretende Landesvorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, bekennt sich freimütig zu Schnellroda und der antidemokratischen Traditionspflege rund um Armin Mohler. "Dieses verdrängte Denken, das wird dort gepflegt. Und daher rührt die hohe Bedeutung dieses Instituts für die AfD. Weil wir, die AfD, nehmen ja diese Tradition auf", sagt er der Deutschen Welle.

Warnung vor einem Ende der offenen Gesellschaft

Historiker und Rechtsextremismusexperten sehen diese Tradition vor allem als eines: antidemokratisch und antiliberal. David Begrich vom Verein Miteinander - Netzwerk für Weltoffenheit und Demokratie, warnt vor den Auswirkungen, sollten diese Visionen in reale Politik umgesetzt werden, zum Beispiel nach einem Wahlsieg der AfD in Sachsen-Anhalt. "Das würde bedeuten, dass wenn die AfD an der Macht beteiligt wäre, beispielsweise die Rechte von gesellschaftlichen Minderheiten herabsinken würden auf den Status von Duldung, dass die kulturelle Diversität in der Gesellschaft abnehmen würde. Also, der Charakter einer offenen Gesellschaft, in der Pluralität und das kontroverse Prinzip gelten, würden infrage gestellt."

Deutschland Bundestag Generaldebatte zum Bundeshaushalt
AfD-Politikerin Alice Weidel: Nachwuchsförderung auch durch das "Institut für Staatspolitik"Bild: Tobias Schwarz/AFP/Getty Images

Götz Kubitschek, das "Institut für Staatspolitik" und die AfD sprechen bislang für eine Minderheit der Deutschen. Aber angesichts der Radikalität ihrer Forderungen und Parolen haben sie es weit gebracht. Zumal sie keine wirklich neuen und eigenen Gedanken zum politischen Diskurs beitragen, wie der Historiker Volker Weiß anmerkt: "Das sind aufgearbeitete Konzepte, die jetzt eigentlich schon die zweite und dritte Runde drehen. Das sind Epigonen von Epigonen." Weiß sieht Kubitschek und das "Institut für Staatspolitik" daher auch nicht als Avantgarde, sondern als Nachhut. Eine dumpfe Nachhut, die an das mörderischste Kapitel der deutschen Geschichte anknüpft.

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Hans Pfeifer Autor und Reporter