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Politik

Rechtsextremismus: Die Angst der Muslime

13. Oktober 2019

Der Angriff auf die Synagoge von Halle hat auch die deutschen Muslime schockiert. Deren Zentralrat erklärt sich mit der jüdischen Gemeinde solidarisch. Auch seine Mitglieder berichten von zunehmender Aggressivität.

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Pro NRW Mahnwache vor der Mülheimer Fatih-Moschee
Bild: picture-alliance/Revierfoto

Wachsende Sorge bei Muslimen

Nein, der versuchte Anschlag auf die Synagoge von Halle kam nicht überraschend. Man habe so etwas seit längerem erwartet, sagt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime. Der Anschlag, der sich gegen eine jüdische Gemeinde der Stadt Halle richtete, hätte auch die muslimische Gemeinde der Stadt treffen können. Beide, Juden und Muslime, stünden gleichermaßen im Focus der Täter. Daher unterstütze man einander. Er habe der jüdischen Gemeinde Halle einen Solidaritätsbesuch abgestattet, sagt Mazyek.

Seit langem erlebten die Mitglieder der im Zentralrat zusammengeschlossenen Gemeinden Angriffe auf ihre Gotteshäuser. "Allein die muslimische Gemeinde in Halle zum Beispiel ist seit Jahren Ziel von Anschlägen. Es wurden Scheiben eingeschlagen, es gab Nazi-Schmierereien. Bei den letzten beiden Anschlägen wurde aus einem Luftgewehr auf die Gläubigen geschossen."

Es habe eine stille atmosphärische Veränderung stattgefunden, resümiert der Vorsitzende des Zentralrats die Lage. Es sei ein Umfeld entstanden, das Täter dazu ermutige, nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln. "Es verhält sich genau so, wie es einige der rechtsextremen Terroristen - wie etwa der von Christchurch - in ihren Manifesten beschreiben. Ihre Texte bewegten Nachahmer, es ihnen gleich zu tun. Deswegen ist das eine Katastrophe mit einer gewissen Ansage. Das ist das Schockierende."

Hohe Zahl islamfeindlicher Straftaten

Im Jahr 2018 wurden laut Bundesinnenministerium insgesamt 910 Straftaten mit islamfeindlichem Hintergrund erfasst. Das ist ein leichter Rückgang im Vergleich zum Jahr 2017, in dessen Verlauf 1075 entsprechende Straftaten registriert wurden. Dafür stiegen allerdings die Angriffe auf Personen. So wurden im Jahr 2018 bei islamfeindlichen Übergriffen 40 Menschen verletzt, während es im Jahr zuvor 32 waren.

Der Zentralrat der Muslime geht einem Bericht der "Neuen Osnabrücker Zeitung" zufolge davon aus, dass in der Statistik längst nicht alle Delikte erfasst seien und diese die tatsächlichen Verhältnisse nur teilweise abbilde. Vielmehr gebe es ein erhebliches Dunkelfeld, da Betroffene häufig darauf verzichteten, eine Anzeige zu erstatten. Manche Straftaten würden bei Polizei und Staatsanwaltschaft zudem nicht richtig eingeordnet.

Deutschland Karlsruhe | Attentäter von Anschlag auf Synagoge in Halle
Wehrhafter Rechtsstaat: Der Attentäter vor Halle auf dem Weg zum Ermittlungsrichter in KarlsruheBild: Reuters/R. Orlowski

Islamfeindlichkeit auch in der Mitte der Gesellschaft

Forschungen des an der Universität Erfurt lehrenden Islamwissenschaftlers Kai Hafez zufolge sind mehr als 50 Prozent der Deutschen anfällig für Islamfeindlichkeit. In einigen Regionen Deutschlands, so etwa in Thüringen und Sachsen, steige sie auf bis zu 70 Prozent und mehr. Starke Vorbehalte gegen den Islam existierten in Deutschland nicht nur an den Rändern der Gesellschaft, sondern seien weit in deren Mitte vorgedrungen.

Auch Birte Weiß, Mitglied im Vorstand des Antidiskriminierungsverbandes Deutschland, beobachtet steigende Vorbehalte gegenüber Muslimen. Oft handele es sich um schlichte Ressentiments, etwa "muslimisch, männlich gleich aggressiv", sagte sie der Zeitung "Handelsblatt". Der antimuslimische Rassismus im Alltag wachse, so Weiß. Es würden etwa Schüler wiederholt aufgefordert, zum "Islamischen Staat" Stellung zu beziehen, weil sie sich damit nach Meinung ihrer Mitschüler als Muslime auskennen würden.

Gestiegener Alltagsrassismus

Insbesondere der Alltagsrassismus habe zugenommen, sagt Aiman Mazyek im DW-Interview. "Anspucken und böse Blicke sind noch die eher harmlosen Erfahrungen. Wir erleben aber auf offener Straße auch ganz offen ausgetragene verbale und physische Gewalt. "Die Hemmschwelle sei gesunken, rassistische Verunglimpfungen und Beschimpfungen hätten enorm zugenommen.

Inzwischen habe sich das Klima so sehr verändert, dass diejenigen, die womöglich schon immer Vorbehalte oder Abneigung gegen Muslime gehabt hätten, das ganz offen artikulierten. "Früher trauten sie sich das nicht, aber jetzt tun sie es." Das gelte für Muslime und Juden gleichermaßen wie generell auch für Menschen, die anders aussähen als die Mehrheitsgesellschaft. "Betroffenen sind alle anders oder fremd aussehenden Menschen."

Nach Angriff in Halle/Saale - Synagoge Döner-Laden Einschussloch
Tödlicher Fremdenhass: Der Attentäter von Halle tötete auch einen Kunden eines Dönerladens in der StadtBild: picture-alliance/AP/J. Meyer

Einige Mitglieder der im Zentralrat der Muslime zusammengeschlossenen Verbände hätten aus der Aggression bereits Konsequenzen gezogen, so Mazyek weiter. "In unserer Gemeinde haben besonders Kinder und Frauen Angst, in die Moschee zu gehen. Sie gehen mit einem mulmigen Gefühl zum Freitagsgebet. Andere fänden überhaupt nicht mehr den Weg in die Gemeinden, da sie sich schlicht fürchteten oder verunsichert seien.

"Das darf in einem Rechtsstaat und einem freiheitlichen offenen Land, wie wir es sind und in dem die allermeisten meisten Menschen auch so handeln und denken, nicht sein. Deswegen ist der Anschlag gegen die Synagoge in Halle auch eine Zäsur."

Was ließe sich gegen den Rechtsextremismus tun? Mazyek denkt etwa an die Einberufung eines Beauftragten gegen Muslimfeindlichkeit. "Zudem müssen wir verstärkt den Dialog üben und zugleich in Sicherheit investieren. Wer Rechtsradikalismus bekämpfen will, muss endlich ohne wenn und aber Muslimfeindlichkeit bekämpfen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika