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Rechtsruck in Ungarn

Keno Verseck30. Januar 2013

Der ungarische Premier Viktor Orbán besucht Brüssel. Noch hält sich die Kritik an seinem Rechtsaußen-Kurs im Heimatland auf europäischer Ebene in Grenzen.

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Demonstration von rechtsextremen Jobbik-Anhängern in Budapest(Foto: EPA/ZOLTAN MATHE)
Bild: picture-alliance/dpa

In der Vergangenheit hatte Viktor Orbán die EU-Hauptstadt als "das neue Moskau" bezeichnet, das Ungarn "kolonisieren" wolle. Nun stand in Brüssel die ungarische Wirtschaftspolitik auf der Agenda, von Ressortminister György Matolcsy stolz als "unorthodox" bezeichnet. Unter anderem hatte die EU-Kommission bereits vor Orbáns Besuch in Brüssel am 30. Januar bemängelt , dass Ungarn sein Haushaltsdefizit mit dieser Politik nicht dauerhaft unter drei Prozent halten kann, deshalb läuft seit längerem ein Defizitverfahren gegen das Land.

Orbán will nun erreichen, dass dieses Verfahren eingestellt wird – ansonsten droht der Entzug von EU-Fördermitteln und Ungarns laufende Geldbeschaffung an den Finanzmärkten verteuert sich.

Der ungarische Premier Vikor Orban vor ungarischen Fahnen (Foto:MTI, Zsolt Czegledi/AP/dapd)
Viktor OrbánBild: AP

Kult um autoritären Herrscher Horthy

Neben den "unorthodoxen" Wirtschaftsmaßnahmen hat Ungarn auch durch seine politische Situation auf sich aufmerksam gemacht: Vor allem durch den Rechtsaußen-Kurs von Orbán und seiner regierenden Partei Fidesz ("Bund Junger Demokraten"). Der erinnert in vielerlei Hinsicht an das Programm der rechtsextremen ungarischen Partei Jobbik ("Rechtere/Bessere"): Begleitet von nationalistischer Rhetorik wurden im Sommer 2010 Vertreter des Internationalen Währungsfonds aus dem Land geworfen. Zudem wurde die Zahlung von Sozialhilfe an den Zwang zu gemeinnütziger Arbeit und Ordnungskontrollen in Wohnungen geknüpft. Das findet auch den Beifall von rechtsextremen Jobbik-Politikern: die Restriktionen seien vor allem eine Maßnahme gegen "arbeitsscheue und kriminelle Zigeuner". Außerdem stärkte das Parlament die Rechte paramilitärischer Bürgerwehren und führte das Recht auf bewaffneten Selbstschutz ein.

Auch der neue Kult um Miklós Horthy, den autoritären ungarischen Herrscher der Zwischenkriegszeit, ist von der rechtsextremen Jobbik-Partei inspiriert. Inzwischen beteiligen sich Fidesz-Politiker an der Aufstellung von Statuen und Gedenktafeln für den Reichsverweser Miklós Horthy, der mitverantwortlich für den Holocaust an den ungarischen Juden war.

Kritik von Reporter ohne Grenzen

Ganz besonders zeigt sich der Rechtsaußen-Kurs von Orbán und seiner Regierungsmehrheit in der öffentlichen Rhetorik. Kaum eine Woche vergeht mehr, in der Fidesz-Politiker oder prominente Parteisympathisanten nicht in irgendeiner Weise rechtsextreme Positionen vertreten. Anfang Januar beispielsweise hatte der Fidesz-Mitbegründer und Orbán-Freund Zsolt Bayer in dem Fidesz-nahen Rechtsaußen-Blatt Magyar Hírlap über Roma geschrieben: "Ein bedeutender Teil der Zigeuner ist nicht geeignet, unter Menschen zu leben. Sie sind Tiere. Diese Tiere sollen nicht sein dürfen. In keiner Weise. Das muss gelöst werden – sofort und egal, wie." Der Kommentar hatte landes- und europaweit Empörung ausgelöst. Doch Orbáns Partei entgegnete nur, Bayer vertrete "seine eigene Meinung". Ein Fidesz-Politiker sagte sogar, wer gegen den Artikel protestiere, "stellt sich auf die Seite von Mördern" - womit er die Roma meint.

Ein großer Teil der Medien wurde ebenfalls auf die nationalistisch-populistische Regierungslinie eingeschworen. Journalisten im öffentlich-rechtlichen Bereich sind gesetzlich verpflichtet, in ihrer Arbeit die "nationale Identität" und den "nationalen Zusammenhalt" zu fördern. In ihrem neuesten Bericht kritisiert die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG), dass die Selbstzensur in Ungarn stark zugenommen habe. Im aktuellen ROG-Ranking ist Ungarn um 16 Plätze auf Rang 56 zurückgefallen.

In Brüssel wurde Orbáns Rechtsaußen-Kurs bisher öffentlich kaum zur Kenntnis genommen. Auch bei seinem aktuellen Besuch gab es keine Kritik an dieser Politik. Vor allem Orbáns politische Freunde aus der "Europäischen Volkspartei" (EVP) vermeiden es meistens, sich kritisch über den ungarischen Premier zu äußern: "Nach meinem Kenntnisstand distanzieren sich Viktor Orbán und Fidesz vom Antisemitismus und Rechtsextremismus", lässt etwa Hans-Gert Pöttering auf Anfrage schriftlich wissen. Einige wenige EVP-Mitglieder werden jedoch inzwischen deutlicher. So etwa zeigte sich die EU-Kommissarin für Justiz und Grundrechte Viviane Reding entsetzt über den Fall des Publizisten Zsolt Bayer und seine menschenverachtenden Äußerungen über Roma.

Proteste gegen sogenannte "Judenliste"

Noch vor wenigen Wochen hatte die Regierungspartei Fidesz den Eindruck erweckt, als wolle sie sich klar von Rassenhass und Antisemitismus abgrenzen. Der Anlass war die "Judenlisten-Forderung" der Jobbik-Partei Ende November 2012. Damals hatte ein Abgeordneter der rechtsextremen Jobbik-Partei im Parlament verlangt, die "in Ungarn lebenden Juden in Listen zu erfassen" und zu prüfen, "welche Juden, insbesondere im Parlament und in der Regierung" ein "Sicherheitsrisiko" für Ungarn darstellten. Daraufhin hatte der Fidesz-Fraktionschef Antal Rogán Anfang Dezember auf einer Großdemonstration gegen Jobbik eine Rede gehalten und den Antisemitismus in Ungarn scharf verurteilt.

Porträt des ungarischen Schriftstellers György Dalos
Der ungarische Schriftsteller György DalosBild: picture-alliance / APA/picturedesk.com

Doch dann kam die Affäre um den Artikel von Zsolt Bayer - und Fidesz saß sie aus. Beobachter bezweifeln deshalb, dass die Partei und vor allem der Regierungschef Viktor Orbán es ernst meinen mit der Abgrenzung vom Rechtsextremismus. "Unsere Untersuchungen zeigen zum Beispiel, dass 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung gegen Roma eingestellt sind", sagt der ungarische Soziologe Pál Tamás. "Gegen diese unter vielen Wählern verbreitete Stimmung werden Orbán und seine Partei keine eindeutige Position beziehen."

Ähnlich sieht es auch der Schriftsteller György Dalos: "Wenn Orbán sich wirklich vom Rechtsextremismus abgrenzen will, dann müsste er das zusammen mit allen demokratischen Kräften der Opposition machen", sagt Dalos. "Alle zusammen müssten zum Beispiel eine Erklärung abgeben, dass man die Jobbik-Partei als undemokratische Partei betrachtet. Aber Orbán hat in den letzten drei Jahren im Parlament nicht einmal eine Tasse Kaffee zusammen mit Oppositionspolitikern getrunken. Er hat Angst vor einer solchen Erklärung, denn er weiß nicht, wann er die rechten Wähler noch einmal braucht."