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Politik

"Rechtsterrorismus ist wachsende Gefahr"

2. Oktober 2018

Nach der Festnahme von sechs verdächtigen Rechtsterroristen warnt der Experte Florian Hartleb im DW-Interview davor, die Gefahr von Anschlägen und Attentaten aus dem rechten Spektrum zu unterschätzen.

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1. Mai - Chemnitz
Bild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Deutsche Welle: Was ist die "Revolution Chemnitz" für eine Gruppe, und wie gefährlich ist sie?

Florian Hartleb: Die Gruppe wurde im Frühstadium entdeckt. Es gab keinen wirklichen terroristischen Anschlag. Es gab Übergriffe und eine Aktion. Das Ganze sollte Teil einer symbolischen Aktion sein, der für den Terrorismus typisch ist, dass man beispielsweise den Tag der deutschen Einheit wählt. Es ist auch bekannt, dass einige Anführer eine Vergangenheit in der rechtsextremistischen Szene haben.

Geht es der Gruppe wirklich um nichts Geringeres als einen politischen Umsturz?

Es ist nicht untypisch, dass Terroristen eine soziale Revolution ausrufen. Das kennen wir auch aus den 70er und 80er Jahren von der Rote-Armee-Fraktion (linksterroristische Gruppe, die zu dieser Zeit in der Bundesrepublik aktiv war, d. Red.). Außerdem ist Rechtsterrorismus auch aufgrund der polarisierenden Flüchtlingsthematik eine wachsende Gefahr. Die Gefahr sieht man auch durch die stark angewachsene Reichsbürgerszene und dass man durchaus zu terroristischen Akten greifen kann, wenn beispielsweise Übergriffe auf Polizisten erfolgen.

Die "Revolution Chemnitz" hat sich offenbar erst vor kurzem aus verschiedenen Gruppen zusammengefunden. War das spontan, oder steckt da eine wirkliche Organisation, vielleicht sogar eine straffe Führung dahinter?

Vieles muss erst untersucht werden. Aber klar ist, ist, dass die Ereignisse in Chemnitz der Auslöser waren, dass man jetzt los schlägt.

Ein großangelegter Anschlag ist vereitelt worden. Glauben Sie, dass die Ermittlungsbehörden nach den NSU-Vorfällen besser arbeiten?

Florian Hartleb
Florian Hartleb: Chemnitz war der AuslöserBild: Herkki Merila

Es gibt ein grundsätzliches Problem mit dem Rechtsterrorismus. Viele Taten werden auch nicht als Rechtsterrorismus gedeutet oder von den Behörden unterschätzt. Die "Revolution Chemnitz" ist schon die dritte rechtsterroristische Gruppe in Sachsen, die aufgeflogen ist. Deswegen kann ich auch nicht verstehen, dass der sächsische Innenminister Roland Wöller sagt, man habe alles im Griff, weil man eine Gruppe frühzeitig enttarnt habe.

Wie definieren Sie Rechtsterrorismus im Unterschied zu einzelnen Anschlägen?

Rechtsterrorismus hat in jedem Fall eine politische Botschaft. Es werden ethnische Minderheiten als Opfer ausgewählt und es steht eine klare Erlösungsabsicht dahinter wie "Ich möchte gerne mein Vaterland befreien". Die Chemnitzer Gruppe ruft sogar eine Revolution aus. 

Ist das jetzt die Spitze eines sehr viel größeren Eisbergs?

Es geht um die Frage, die sich auch beim "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) stellt, ob es ein Umfeld an Sympathisanten gab, die davon wussten, und inwiefern es einen Zusammenhang mit der Kameradschaftsszene und der rechtsextremistischen Szene in Sachsen gibt. Man muss aufgrund der Flüchtlingsdiskussion und der Dramatik der Ereignisse in Chemnitz und Köthen auch fragen, ob sich hier nicht Menschen entscheiden, von den Worten zu den Waffen zu greifen und terroristische Akte auf Flüchtlinge oder Immigranten zu verüben. Je länger wir diesen polarisierenden Diskurs über die Flüchtlingspolitik haben, desto wahrscheinlicher ist, dass sich solche rechtsterroristischen Gruppen bilden.

Der Politikwissenschaftler und Autor Florian Hartleb beschäftigt sich besonders mit Rechtsextremismus und Populismus. Am 4. Oktober erscheint sein neues Buch "Einsame Wölfe - der neue Terrorismus rechter Einzeltäter".

Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik