Reden über Adenauer und Israel
4. Oktober 2002Knapp vierzehn Tage nach dem in Deutschland kaum noch beachteten 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Wiedergutmachungsabkommens zwischen Deutschland und Israel am 10. September 1952 in Luxemburg wurden die damaligen Ereignisse jetzt zum Thema der 20. Rhöndorfer Gespräche: "Konrad Adenauer, Israel und das Judentum“. Unweit des ehemaligen Wohnsitzes Adenauers trafen sich Wissenschaftler und Zeitzeugen aus Deutschland, Israel, Frankreich und den USA, um jene Epoche etwas mehr aufzuhellen.
Ein neues Bild Adenauers oder auch Nachkriegsdeutschlands kam dabei nicht heraus. So diskutierte man darüber, ob Adenauer mit seinem Angebot, Israel und den Juden zu helfen, aus moralischer Verpflichtung oder eher aus realpolitischer Taktik gehandelt habe.
Schwarzweiß-Malerei
Der ehemalige Bundestagspräsident und CDU-Vorsitzende, Rainer Barzel warnte vor einer solchen Schwarzweiß-Malerei. “Wer das zu trennen versucht, kennt Adenauer nicht", so Barzel. Alles, was der frühere CDU-Politiker gemacht habe - der Aufbau der Bundesrepublik Deutschland, die Aussöhnung mit Frankreich, das Bündnis mit den USA, die Gegnerschaft gegen den Kommunismus – sei das eine wie das andere gewesen. Adenauer habe die Aussöhnung mit den Juden erreichen wollen. "Das waren die schlimmsten Feinde der Nazis gewesen, die haben sie versucht auszurotten. Zu wenige sind überhaupt übrig geblieben, meinte er immer", erinnerte Barzel. "Und da wollte er helfen, soweit man kann.“
Besonders populär waren solche Ansichten im Nachkriegsdeutschland nicht gerade, denn damals gab es noch keine Aufarbeitung der Vergangenheit. Damals war diese auch noch nicht in vollem Umfang bekannt und die Deutschen wollten in ihrer breiten Mehrheit nichts davon hören. Asher Ben-Natan, der 1965 erster israelischer Botschafter in Deutschland werden sollte, frischte das Gedenken an die ersten Jahre nach dem Krieg auf: “Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war es das Bemühen der Bürger und der Öffentlichkeit in Deutschland, zu verdrängen, zu vergessen, sich nicht zu erinnern und nicht erinnert zu werden, dass das geschehen ist. Das war nicht ein Thema, das populär war in Deutschland.“
Schlimmer als "Unrecht"
Adenauer habe deswegen wohl auch erst im November 1951 zum erstenmal im Bundestag von Judenverfolgung und Judenvernichtung gesprochen. In den ersten Jahren habe er dagegen meist lediglich von „dem Unrecht“ gesprochen, das man den Juden angetan habe.
Besonders unverständlich – bis heute – sei aber gewesen, dass Adenauer sich einige Belastete der Nazizeit geholt und zu engen Mitarbeiter wie auch Ministern gemacht habe. Die Fälle Globke, Oberländer oder Seebohm seien nur die bekanntesten gewesen. Weder die Wissenschaft noch die Zeitzeugen konnten eine gute Erklärung hierfür geben. Außer vielleicht, dass man im Nachkriegsdeutschland notgedrungen auf Personen mit solch einer Vita zurückgreifen musste. Als er ehemalige Wehrmachtsoffiziere in die Bundeswehr aufnahm, soll Adenauer gesagt haben: "Soll ich etwa Abiturienten in die NATO schicken?“ Auch die Ernennung eines ehemaligen Wehrmachtsoffiziers – Rolf Pauls - zum ersten deutschen Botschafter in Israel sei auf einiges Unverständnis gestoßen. Hier jedenfalls habe sich bald herausgestellt, dass man den wohl Fähigsten ausgewählt hatte.
Unbekannte Wahrheit
Rainer Barzel ist überzeugt, dass Deutschland nicht nur Adenauer einiges verdankt, sondern auch Israel. Weil es dem Wiedergutmachungsabkommen zugestimmt und damit Deutschland den Weg zurück in die Staaten- und Völkergemeinschaft ermöglicht habe. Aber er will das nicht verstanden sehen als Bestätigung der These vom politischen Opportunismus.
So ist ein klares Bild Adenauers und seines Verhältnisses zu Israel und den Juden nicht entstanden bei den 20. Rhöndorfer Gesprächen. Zu diesem Schluss kommt auch Salomon Korn, Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland: “Es gibt kein wahres Bild. Die Zeitzeugen berichten etwas anderes als die Historiker. Was eigentlich ganz natürlich ist bei der Komplexität der Wirklichkeit. Die Zeitzeugen sehen das aus der Froschperspektive ihres eigenen Erlebens, die Historiker aus große Distanz, aber die eigentlich wirklich – mittlere – Distanz, die man einnehmen müsste, die gibt es nicht. Es gibt meine Wahrheit, es gibt Deine Wahrheit und es gibt DIE Wahrheit. Und die kennt keiner“.