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Einsam auf dem Mount Everest

19. August 2020

Vor 40 Jahren erreichte Reinhold Messner im Alleingang den Gipfel des Everest, ein Meilenstein im Himalaya-Bergsteigen. Die aktuelle Entwicklung am Everest sieht Messner kritisch - obwohl es dort 2020 wieder einsam war.

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Nordseite des Mount Everest
Bild: DW/S.Nestler

August 1980, mitten im Monsun, einer Zeit, in der Bergsteiger den Mount Everest normalerweise wegen der vielen Niederschläge meiden. Mit seiner damaligen Freundin, der Kanadierin Nena Holguin, ist Reinhold Messner nach Tibet gereist, um auf der Nordseite des Everest ein weiteres ehrgeiziges Projekt in die Tat umzusetzen. Nachdem der Südtiroler 1978 mit dem Österreicher Peter Habeler den höchsten Berg der Erde - über die nepalesische Südseite - erstmals ohne Flaschensauerstoff bestiegen hat, will er es jetzt alleine schaffen.

Am Nachmittag des 20. August 1980, am dritten Tag seines Aufstiegs, erreicht er den höchsten Punkt auf 8850 Metern. Mehr kriechend als gehend. "Ich war so fertig wie nie zuvor und auch danach nicht mehr", erinnert sich Messner vier Jahrzehnte später im DW-Interview. "Ich war am Gipfel so kaputt, dass ich mich nur noch in den Schnee fallen ließ und vor mich hindämmerte. Zum Glück hatte ich nach einer Stunde Schnaufen - mehr war es nicht - die Kraft, aufzustehen und wieder abzusteigen."

Bergsteiger Reinhold Messner 1980
Reinhold Messner bei einem Everest-Vortrag im Jahr 1980Bild: Imago Images/ZUMA/Keystone

Als Messner einen Tag nach seinem Gipfelerfolg ins vorgeschobene Basislager auf rund 6400 Metern zurückkehrt, erkennt ihn seine Freundin kaum wieder. "Es scheint, als stiege ein Betrunkener vom Col [Bergsattel - Anm. d. Redaktion] herab und nicht derselbe Mann, der vor vier Tagen fortgegangen ist", schreibt Holguin in ihr Tagebuch. "Er sieht mich mit Tränen in den Augen an. Sein Gesicht ist gelb, die Lippen sind aufgesprungen und zerfranst."

Physisch und psychisch am Anschlag

Ausgerechnet am Gipfeltag - Messner hatte Zelt, Rucksack und Proviant an seinem letzten Biwakplatz auf 8220 Metern zurückgelassen - war das Wetter umgeschlagen: Nebel war aufgezogen, dazu hatte es leicht zu schneien begonnen. "Ich hatte plötzlich Angst, ich würde die Orientierung verlieren", sagt Messner. "Wenn ich meine Spur, die nur wenig in den Firnschnee einbrach, beim Heruntergehen nicht wiedergefunden hätte, wäre ich da oben verloren gewesen. Ich habe mich also bemüht, ein wenig schneller zu steigen."

Das habe wegen des geringen Sauerstoffpartialdrucks aber nicht funktioniert. Im Gipfelbereich des Everest wird der Sauerstoff nur noch mit einem Drittel des Drucks in die Lunge gepresst wie auf Meereshöhe. "Da war also zum einen die Sorge, dass es gefährlich wird", so der inzwischen 75 Jahre alte Südtiroler, "zum anderen die dünne Luft, die mich gebremst, gebremst, gebremst hat". Und, nicht zu vergessen, die psychische Belastung des Solisten am Berg: "Da geht es vor allem um die Nicht-Möglichkeit, die Sorgen und Ängste zu teilen. Das ist schwierig zu ertragen, weil wir Menschen nicht fürs Alleinsein gemacht sind."

Bergsteiger Reinhold Messner hockt auf dem Gipfel des Mount Everest
Messner 1978 auf dem Gipfel des Everest - bei der ersten Besteigung des Bergs ohne AtemmaskeBild: picture-alliance/dpa/R. Messner

Messners Soloaufstieg am Everest - im Monsun, ohne Atemmaske und auf einer teilweise neuen Route - wurde als Meilenstein des Himalaja-Bergsteigens gefeiert. "Mein Nanga-Parbat-Alleingang [im Sommer 1978 - Anm. d. Red.] war wichtiger", findet Messner, "weil es der erste Schritt in diese Dimension war, einen Achttausender ganz alleine zu packen." Das Everest-Solo sei lediglich der Schlusspunkt seiner Entwicklung als Höhenbergsteiger gewesen. Danach habe er zum "Sprint" angesetzt, alle 14 Achttausender zu besteigen. 1986 war Messner der erste Mensch, dem dies gelang, an allen Achttausendern verzichtete er auf Flaschensauerstoff.

Wenige Alleingänge

Vergleichbare Versuche, den Mount Everest wie Messner im Alleingang, am einsamen Berg zu besteigen, gab es nur wenige. Keiner von ihnen war von Erfolg gekrönt. So kehrte Jost Kobusch im vergangenen Winter auf dem Everest-Westgrat in einer Höhe von rund 7400 Metern um. "Es ist leicht, die größte Abenteuergeschichte aller Zeiten anzukündigen, aber a priori schon zu wissen, dass es nur zu einem lächerlichen Versuch kommt", wettert Messner gegen den 28 Jahre alten Deutschen. Messner ist dafür bekannt, dass nur wenige Profi-Bergsteiger vor seinem Urteil bestehen. Kobusch habe es an der nötigen Vorbereitung und vor allem Erfahrung gefehlt, um bei einem Everest-Alleingang im Winter zu bestehen, sagt der Südtiroler. "Er hat keine oder wenig Ahnung, von dem, was er da eigentlich macht." 

Bergsteiger Jost Kobusch in Nepal
Jost Kobusch erreichte bei seinem Everest-Soloversuch im Februar 2020 eine Höhe von knapp 7400 MeternBild: picture-alliance/dpa/Daniel Hug/Jost Kobusch

Dass es bisher nur wenige Solo-Versuche am höchsten Berg der Erde gegeben hat, liegt auch daran, dass sich das Bergsteigen dort in den vergangenen vier Jahrzehnten grundlegend geändert hat. Bis Anfang der 1980er-Jahre kamen nur die besten Alpinisten der Welt zum Everest, um neue, schwierige Routen zu erschließen. Inzwischen ist der Mount Everest ein kommerzialisierter Berg, mehr als 10.000-mal bestiegen. Einige Profi-Bergsteiger seien ebenfalls alleine aufgestiegen, sagt Messner, allerdings auf der für die zahlenden Kunden der kommerziellen Expeditionen vorbereiteten Normalroute: "Auf der Piste, vor ihnen 50, hinter ihnen 100 Leute. Das ist kein Alleingang."

Wenig los wegen Corona-Pandemie

Im Corona-Jahr 2020 allerdings war der Mount Everest fast so einsam wie zurzeit von Messners Solo vor 40 Jahren. Auf der chinesisch-tibetischen Nordseite durfte nur eine einzige chinesische Expedition aufsteigen, auf der nepalesischen Südseite blieb der Berg wegen der Pandemie komplett gesperrt. Reinhold Messner glaubt nicht, dass dies einen nachhaltigen Effekt auf das Bergsteigen am Everest haben wird.

Nepal Bergsteiger sterben am Mount Everest
Stau am Everest-Gipfelgrat im Frühjahr 2019Bild: picture-alliance/dpa/Nimsdai Project Possible/N. Purja

"Die Sherpas brauchen diese Arbeit, weil sie damit ihr Geld verdienen. Und die Regierung streicht die Gebühren für die Besteigungsgenehmigungen ein", sagt der weltweit bekannteste Bergsteiger der Gegenwart. "Der Druck wird wachsen, ebenso die Nachfrage bei den Reiseveranstaltern, den Everest buchen zu können. Und damit wird auch das Angebot wieder größer werden. Die Annehmlichkeiten im Basislager und weiter oben werden zunehmen. Damit ist es für immer mehr Menschen möglich, auf das Dach der Welt zu steigen."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter