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Reise in vermintes Gebiet

Mathias Bölinger14. Oktober 2015

Bundeskanzlerin Merkel will am Sonntag nach Istanbul reisen. Es soll um Flüchtlinge gehen, aber nach dem Anschlag von Ankara und vor den dortigen Wahlen sorgen Merkels Reisepläne auch für scharfe Kritik in Berlin.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Atatürk-Mauselum in Ankara (Bild: dpa)
Angela Merkel vor dem Atatürk-Mauselum in Ankara 2013Bild: picture-alliance/dpa

Wenn Regierungschefs in Staaten reisen, in denen gerade Wahlkampf herrscht, dann überlegen sie sich meistens genau, ob sie dort Kandidaten unerstützen wollen - oder eben auch unwillentlich unterstützen. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel am Sonntag in die Türkei reisen wird, bringt ihr deshalb harte Kritik der Opposition ein. Die Bundeskanzlerin betrete "vermintes Gebiet" und leiste Wahlkampfhilfe für Erdogan, warf die Grünen-Politikerin Claudia Roth der Bundeskanzlerin in einer Parlamentsdebatte vor. Sevim Dagdelen, Linken-Politikerin mit türkischen Wurzeln, forderte Merkel auf, nicht mit Erdogan zu sprechen. "Erdogan darf kein Partner mehr für diese Bundesregierung sein", sagte sie. Wenn Merkel sich mit dem "Despoten" treffe, zeige das, dass ihr "die Opfer von Ankara egal seien".

Genaugenommen steht Erdogan in Ankara gar nicht zur Wahl. Es sind Parlamentswahlen und der Staatspräsident ist laut Verfassung überparteilich. Allerdings hat der türkische Präsident durch sein Eingreifen in den Wahlkampf und durch die Eskalationspolitik gegenüber den Kurden diese Wahl auch zu einer Abstimmung über sich selbst gemacht. Eine Woche nach dem Anschlag in Ankara auf eine Friedensdemonstration ist die Lage besonders angespannt. Bei der Explosion wurden rund 100 Demonstranten getötet - hauptsächlich Anhänger der Opposition. Dass Merkel mit dem türkischen Präsidenten vor allem über eine Eindämmung des Flüchtlingsandrangs nach Europa sprechen will, ändert wenig an der Befürchtung, ihr Besuch könne von Erdogan als Wahlkampfhilfe instrumentalisiert werden.

"Vergiftetes Angebot"

Auch aus den Regierungsfraktionen kommen daher vorsichtige Töne. Am deutlichsten für Merkels Türkei-Besuch setzte sich der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl ein, der der Opposition vorwarf, die Art, wie diese mit dem türkischen Staatspräsidenten umgehe, schade deutschen Interessen. Der Christdemokrat Andreas Nick betonte, die Türkei bleibe "bei aller Kritik ein strategischer Partner". Doch sein Parteifreund, der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sprach wenig diplomatisch von einem "vergifteten Angebot" des türkischen Präsidenten, das die Bundeskanzlerin nicht annehmen dürfe. Erdogan erwarte für seine Kooperation in der Flüchtlingsfrage Zugeständnisse in Syrien und im Konflikt mit den Kurden. Der SPD-Politiker Niels Annen hält die Reise zwar für "ausdrücklich richtig", fordert aber, die Bundeskanzlerin müsse sich mit Vertretern der Opposition treffen, um den Anschein zu vermeiden, sie leiste Erdogan Wahlkampfhilfe. Ein solches Treffen ist bisher offenbar nicht geplant.

Auf viel Kritik von Opposition und SPD stieß eine Forderung des europäischen Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker. Er hatte im europäischen Parlament vorgeschlagen, die Türkei zu einem sicheren Drittstaat zu erklären. Auch Innenminister Thomas de Maizière hatte davon bereits gesprochen. Das würde bedeuten, dass Flüchtlinge, die über die Türkei nach Europa einreisen in vielen EU-Staaten grundsätzlich kein Recht auf Asyl haben. Der SPD-Politiker Dietmar Nietan nannte die Forderung "lächerlich". Die Grünen-Politikerin Inge Höger nannte die Reise "zynisch". Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte, der türkische Präsident sei "selbst eine personifizierte Fluchtursache."