Der späte Debütant: Ton Koopman
10. Februar 2010Deutschlands Spitzenensemble ist für dieses Konzert auf eine kleine Gruppe von etwa 30 Instrumentalisten reduziert. Doch die Verve, mit der Ton Koopman, der internationale Stardirigent für Alte Musik dirigiert, reicht für ganze Hundertschaften. So unvermittelt hebt er die Hände, um den Einsatz für Johann Sebastian Bachs dritte Orchestersuite in D-Dur zu geben, dass die Musik die Zuhörer mit aller Wucht und Intensität des Barock trifft.
Engagierter Verfechter der Authentizität
Wie ein Gummiball hüpft der Niederlände vor dem Orchester auf und ab und reißt Musiker wie Publikum mit seiner jugendlichen Energie mit. Bachs Musik ist für ihn nicht getragen-majestätisch sondern geprägt von einem Aufbruchsgeist, der sich in jedem Ton mitteilt. Ton Koopman ist ein engagierter Vertreter der historischen Aufführungspraxis. 1979 gründete er sein eigenes Ensemble, das Amsterdam Baroque Orchestera, 1992 den Amsterdam Baroque Choir. Doch immer wieder steht er auch am Pult moderner Sinfonieorchester. Mit den Berliner Philharmonikern arbeitet Koopman zum ersten Mal. Für den Barockmusik-Spezialisten sind nicht die Instrumente entscheidend, bekennt er, ihm geht es vor allem um die Art des Musizierens: "Wenn ich mit modernen Instrumenten spiele und dirigiere, dann versuche ich auch, meine Vorstellung vom Klang des Werks umzusetzen. Da finde ich die Instrumente weniger wichtig als die Ästhetik. Das kann man auch mit modernen Instrumenten machen."
Universum Bach
Sein eigenes Erweckungserlebnis, das ihn für die Barockmusik entflammte, liegt lange zurück. Der 1944 in Zwolle geborene Koopman sang im Knabenchor und saß schon früh auf der Orgelbank. Die Musik von Johann Sebastian Bach ist für ihn ein Universum, das er immer wieder neu auslotet. Er hat alle Bachkantaten und Orgelkonzerte aufgenommen und führt seine Musik immer wieder mit großer Begeisterung auf – als Solist am Cembalo oder an der Orgel ebenso wie als Dirigent mit einem Orchester. Auf ein Lieblingswerk will er sich nicht festlegen, aber es gäbe bei Bach nichts, was nicht schöne Musik sei, betont der 65jährige Musiker: "Dass man als kleiner Mensch diese Musik spielen darf, dass man Freude dabei hat, dass einem auch Tränen bei dieser Musik kommen, das ist wunderbar."
Entdeckungen mit Buxtehude
Neben der Gesamteinspielung der Bach-Werke gehört Ton Koopmans neuestes Großprojekt dem großen Bach-Inspirator Dietrich Buxtehude. Seine Musik sei es wert, wiederentdeckt zu werden, sowohl die Orgel- und Cembalowerke, wie auch die Kantaten und die Kammermusik. In diesem Jahr will er die Gesamtaufnahmen, die unter dem von ihm gegründeten Label "Antoine Marchand" erscheinen, abschließen. Koopman, der zugleich Präsident der Internationalen Buxtehude-Gesellschaft ist, will sich dafür einsetzen, dass auch die Musik des Lübecker Komponisten wieder öfter in Konzertprogrammen auftaucht. Ausschlaggebend sei bei diesem Barockkomponisten jedoch die Qualität der Interpretation: "Buxtehude ist schwer zu intonieren", sagt Koopman, "Bach und Mozart kann man auch auf Straßenorgeln spielen, das bleibt, aber Couperin, Buxtehude und Schütz gehen dabei kaputt."
Grenzen der historischen Aufführungspraxis
Für Ton Koopman ist die Balance zwischen solistischen Auftritten als Cembalist und Organist und dem Dirigieren wichtig. Immer wieder schafft er sich dafür Freiräume und nimmt die Gelegenheit für ein Recital wahr. Viele seiner Kollegen aus der Alte-Musik-Szene wie Nikolaus Harnoncourt oder René Jacobs sind mit der historischen Aufführungspraxis bis weit ins 19. Jahrhundert vorgestoßen. Doch Koopman will nicht so weit gehen, er bleibt seiner Leidenschaft für die Barockmusik treu: "Es gibt genug Dirigenten, die diese Musik lieben. Ich höre sie nie. Man muss auch ehrlich sein. Wenn man mich fragt, ob ich Bruckner machen will, dann antworte ich, es gibt viele Kollegen, die das besser machen als ich."
Ab 2011 wird Ton Koopman drei Jahre lang als "artist in residence" mit dem Cleveland-Orchestra arbeiten. Auf dem Programm steht die Johannes-Passion von Bach, aber auch Berlioz’ Symphonie Phantastique möchte das amerikanische Ensemble mit ihm erarbeiten. Ob er so weit gehen will, ist er noch nicht sicher. Seinen Spielraum als Barock-Spezialist empfindet er als groß. Das Credo des Holländers: "Man kann auch innerhalb der Begrenzung auf eine Epoche viele Freiheiten ausprobieren, es gibt nicht nur eine Wahrheit. Barockmusik, das ist für mich Musik von heute."
Autorin: Sigrid Hoff
Redaktion: Gudrun Stegen