Nach der Krise: Lust auf Natur
18. Mai 2020Camping liegt im Trend. Zelt- und Caravanplätze melden aktuell einen deutlichen Anstieg bei den Vorbuchungen. Das Statistische Bundesamt teilt dazu auch mit, dass 2019 etwa 35,8 Millionen Übernachtungen auf Luftmatratzen oder in Wohnwagen registriert wurden. Nachfrage seit Jahren stetig steigend. Die Corona-Folgen haben diese Entwicklung verstärkt:
"Das Bewusstsein, vorerst nicht mehr in die Ferne reisen zu können beziehungsweise unter Beeinträchtigung der eigenen Gesundheit, erlaubt jedem einzelnen den Raum zum Nachdenken", sagt Christian Buer der DW. Der Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Heilbronn beobachtet "neue Erkenntnisse des Erlebens der eigenen neuen Ruhe, die auch in der Natur im Umfeld genossen werden kann."
Buer ist überzeugt: "Der nachhaltige Tourismus wird gewinnen". Wer sich als Gastgeber stärker auf die Natur besinne, erfülle die neuen Bedürfnisse der Reisenden nach mehr Abenteuer und weniger Anspruchsdenken. Klare Verlierer seien dagegen Fernreise- und Kreuzfahrten-Anbieter.
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Auch Tobias Ehlen, Professor für Wirtschaftsrecht im Fachbereich Touristik an der Hochschule Worms, geht gegenüber der DW davon aus, "dass die breite Diskussion über den CO2-Ausstoß und Klimawandel vor Beginn der Pandemie Anlass sein wird, das Reiseverhalten zu ändern. Reisen werden exklusiver und mit größerem Genuss wahrgenommen".
Norwegen wirbt für Grünes Reisen
Skandinavien ist traditionell Reiseziel für Naturfans und Individualisten ohne Anspruch auf´s Rundum-sorglos-Paket. Norwegens offizielle Reiseseite visitnorway wirbt in diesen Wochen für "Grünes Reisen". Das staatliche Tourismusamt regt die Anreise mit Schiffen an, die mit umweltfreundlichem Treibstoff betrieben werden, sobald die Grenzen öffnen. Im Land geht es mit Bus, Bahn oder E-Auto weiter. Norwegen hat mehr als 10.000 Ladestationen für Elektroautos aufgestellt.
Eine davon steht vor dem Hornsjö-Hotel. Die Herberge oberhalb der Olympiastadt Lillehammer hat schon manche Krise durchgemacht.
Nach der Insolvenz: Vom Luxushotel zur Vintage-Herberge
"Der Niedergang der Hotelbranche begann Anfang der 1980er mit der Offshore-Ölförderung“, sagt der langjährige Hotelmitarbeiter Jan Björke. "Die Norweger nutzen Energie aus Wasser- und Windkraft. Das Öl wird exportiert und hat die Staatskassen gefüllt. Und seit den 1980ern werden Hütten gebaut." Der Trend zum Wochenendhaus in den Bergen, an Seen und am Meer dauert an. Hotels werden fast ausschließlich von Ausländern gebucht.
Als die Stiftung One World Institute den Gebäudekomplex 1995 übernahm, musste neues Inventar her. "Wir wussten, dass sich Luxushotels in Norwegen alle fünf bis acht Jahre neu einrichten. Es hat uns Überwindung gekostet, aber in der Not schrieben wir alle an", erzählt Björke lächelnd.
Die Resonanz sei überwältigend gewesen. Jetzt leuchten die Sitzmöbel in beruhigendem grün-türkis. Das ganze Mobiliar, Vorhangstoffe, Matratzen wurden gespendet. Manches Stück hat einen Kratzer. "Das ist halt Vintage", lacht Jan Björke, dessen nächstes Ziel es ist, durch Permakultur autark zu werden. Eines der Gebäude steht leer. Dort soll eine Aquaponik-Anlage entstehen, in der Fische und Gemüse gedeihen.
Spreewald statt Dubai
176 Millionen Euro erwirtschaftete Jasmin Taylor 2015, war Marktführer für Reisen in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Ägypten. Zwei Jahre später musste die Reiseveranstalterin Insolvenz anmelden. "Ich habe bewusst Ruhe und Natur gesucht, habe mich auf das Wesentliche reduziert, mich sortiert und mich schließlich auf meine Stärken besonnen", beschreibt Taylor ihren Prozess in der Krise. Die Berlinerin mit iranischen Wurzeln und Studium in den USA hat nun mit Seelandhaus eine Firma gegründet, die Urlaub in Naturnähe, Abenteuer in harmonischer Umgebung ermöglicht.
Das Haus, das sie im Spreewald erwarb, hat eine Vergangenheit als Kinderheim und Flüchtlingsunterkunft. Auf dem 57.000 Quadratmeter großen Grundstück im UNESCO-Biosphärenreservat entsteht eine Rückzugsoase. 23 Hütten auf dem Riesengelände zwischen Bäumen - puristischer Einrichtung aus hochwertigen Materialien, Kamin und Feuerstelle auf der Terrasse. "Drinnen gibt es alles, was man braucht, sehr reduziert", verrät Taylor. "Und draußen besteht die Möglichkeit, die Kraft der Natur, von Wald und See zu absorbieren." Serviert werden regionale Produkte, Kräuter und Gemüse aus eigenem Anbau.
Professor Ortwin Renn vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam glaubt, die Lehren aus der Corona-Krise liegen in der nachhaltigen Krisenbewältigung. Der Umweltsoziologe gründet seine These auf die unfreiwillige Selbstgenügsamkeit, sollte diese Tugend freiwillig fortgeführt werden. "Wenn die Krise um das Coronavirus länger anhält, können sich neue Routinen ausbilden, die sich im Verlauf der Krisenbewältigung Stück für Stück verselbständigt haben."
Wegen Corona: Freie Fahrt für Radfahrer
Brüssel macht es vor: Wegen der schmalen Straßen und zur Einhaltung der Abstandsregeln gestattet die Brüsseler Stadtverwaltung Fußgängern und Radfahrern die gesamte Breite der Innenstadtstraßen zu nutzen. Die Regel gilt zunächst für drei Monate. In Deutschland ist es Radfahrern seit April innerorts unbefristet erlaubt, nebeneinander zu fahren. Autofahrer müssen mindestens 1,50 Meter Abstand halten und die Geschwindigkeit entsprechend drosseln. Seit Ende April 2020 drohen Rasern auch höhere Bußgelder und rascher Fahrverbote. Die Regeln könnten dauerhaft zu einem entschleunigten Lebensstil beitragen.
Corona-Krise als Chance für neuen, nachhaltigen Tourismus
Dirk Glaesser, Direktor für Nachhaltige Entwicklung des Tourismus der Welttourismusorganisation UNWTO, hat Bücher zum Krisenmanagement im Tourismus verfasst. Er sagt, damit negative Ereignisse überhaupt wahrgenommen werden und eine Wirkung haben, müssen sie entweder direkt erlebt oder kommuniziert werden.
Die Corona-Krise hat einige positive Auswirkungen auf die Umwelt, wie Bilder sauberer Kanäle in Venedig oder die kurzfristige Ausweitung von Fahrradwegen zeigen. Diese Einflüsse und Maßnahmen können der Strategie UNWTO Tourismus 2030 entgegenkommen. Sie ist darauf ausgerichtet, Umweltressourcen optimal zu nutzen und die biologische Vielfalt zu erhalten.
"Upcycling" und "Sharing economy"
Oliver Winter liegt da mit seinem Konzept richtig: Als Student mit wenig wenig Geld und Reiselust hatte er die Idee, Gleichgesinnten Möglichkeiten zu bieten, in großen Städten günstig und zentral zu übernachten. Mittlerweile führt der Chef der a&o Hostels mit 39 Häusern in 23 Städten Europas die weltweit größte Hostelkette: "35 Häuser sind Bestandsimmobilien, zum Teil umgebaut mit Maßnahmen, die die höchste Energieeffizienzklasse A erfüllen."
Die Einrichtungen bestehen aus gebrauchten Materialien: "Upcycling" ist von Beginn an Grundlage unseres Businessmodells gewesen sowie auch Sharing economy." Reisende teilen sich ein Zimmer. Das reduziert den Übernachtungspreis.
Inhouse-Kräuterzucht, Blumenwiesen für Insekten, konsequente Mülltrennung, Verzicht auf Einweg-Zahnputzbecher und Plastikstrohhalme - Maßnahmen zum schonenden Umgang mit Wasser-Ressourcen hat Winter etabliert.
Der Strom wird aus 100 Prozent erneuerbaren Energiequellen generiert, die Firmenflotte fährt hybrid. "So fallen pro Übernachtung insgesamt deutlich unter sieben Kilogramm CO2 an, das ist mehr als dreimal weniger als in einem vergleichbaren Budget-Hotel", sagt Oliver Winter.
Zur Überwindung der Virenkrise hat er günstig Notfallbetten zur Verfügung gestellt - für Polizei, Gesundheitswesen und Hilfsorganisationen wie Frauenhäuser und Obdachlosenhilfen. 18.000 Übernachtungen konnte der Hostelbetreiber so verbuchen. Dennoch machte er damit nur zehn Prozent des Umsatzes gegenüber dem Vorjahreszeitraum.