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"Schmerzensgeld-Offerte relativ großzügig"

Dagmar Breitenbach21. Juli 2015

Im Streit um Schmerzensgeld nach der Germanwings-Katastrophe erwarten viele Angehörige ein besseres Angebot der Lufthansa. Die DW sprach mit dem Reiserechtsexperten Paul Degott über Schuld, Schaden und Geld.

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Überführung der Germanwings Opfer
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kusch

Im Streit um Schmerzensgeld nach der Germanwings-Katastrophe erwarten viele Angehörige ein besseres Angebot der Lufthansa. Die DW sprach mit dem Reiserechtsexperten Paul Degott über Schuld, Schaden und Geld.

Deutsche Welle: Inwiefern steht den Angehörigen bei einem Unglück wie dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen Schmerzensgeld zu?

Paul Degott: Schmerzensgeld wird für immateriellen Schaden gezahlt, den man nicht wie Sachschaden berechnen kann - der ist zunächst gedacht für die eigentlichen Opfer, die hier aber keine Ansprüche mehr anmelden können, weil sie verstorben sind.

Bei den Hinterbliebenen geht es darum, dass sie nicht nur trauern, sondern vielleicht über eine längere Zeit psychologische Betreuung brauchen, längere Zeit an diesem Verlust schwer tragen. Wenn dies ärztlicherseits festgestellt wird, kann man einen zusätzlichen Schmerzensgeldanspruch für die Angehörigen aufbauen.

Wie wird das beziffert, wie tatsächlich ausgerechnet?

Berechnen kann man immateriellen Schaden nicht. Das ist eine Bewertungsfrage, die das Gericht zu entscheiden hat. Es gibt natürlich Urteile und Präzedenzentscheidungen in ähnlichen Fällen.

Die Lufthansa bietet 25.000 Euro Schmerzensgeld an. In anderen Ländern werden ganz andere Summen zugesprochen. Wie sieht das in Europa aus?

In Europa gibt es teilweise feste Sätze, eine Art Katalog, den das Gericht dann sozusagen abarbeiten kann. Das gibt es in Deutschland nicht.

Im Vordergrund der Diskussion hier stehen immer die USA. In den USA werden für aus unserer Sicht geringfügige Körperverletzungen gigantische Schmerzensgelder in Millionenhöhe gezahlt. Man verbrennt sich am heißen Kaffe irgendwo, macht den Verkäufer haftbar und bekommt dann dafür 20 Millionen Dollar Schmerzensgeld - das ist für europäische Verhältnisse völlig unvorstellbar.

Paul Degott (Foto: privat)
Reiserechtsexperte Paul DegottBild: privat

In den USA gibt es das eigentliche Schmerzensgeld und zusätzlich die "punitive damages", eine Art Geldstrafe gegen den Schädiger, weil der besonders unachtsam mit bestimmten Dingen umgegangen ist. Den Aspekt dieser "punitive damages" gibt es im deutschen Recht überhaupt nicht. Dann gibt es in den USA noch das "case law", das heisst, die Entscheidungen von Obergericht und höchstem Gericht sind zwingend von Untergerichten zu beachten - das alles gibt es hier in Deutschland nicht, hier muss jedes Gericht den Sachverhalt selbst bewerten und entscheiden, wie hoch es Schmerzensgeld zuspricht oder eben nicht.

Im Germanwings-Fall geht es nicht nur um Schmerzensgeld, sondern auch um die materiellen Ansprüche. Das ist ja sehr individuell. Wie wird das gelöst?

Wenn ein Verschulden festgestellt wird, was man hier wohl annehmen muss, gibt es vom Sachschaden her keine Grenze, aber der Sachschaden muss als Schaden nachgewiesen werden. Es ist nicht - wie beim Schmerzensgeld - ein immaterieller Schaden, der irgendwie geschätzt wird. Da wird wirklich nach Rechnung und Belegen nachgerechnet.

Wenn der Verstorbene, der in diesem Flugzeug war, zum Beispiel der einzige Ernährer der Familie mit zwei kleinen Kindern war, dann hat die Ehefrau Unterhaltsansprüche und die Kinder bis zum Ende ihrer Ausbildung, alles auf der Basis des aktuellen Gehalts des Verstobenen. Vermutliche Gehaltssteigerungen werden mit einbezogen. Da kommt man schnell auf Millionenbeträge, aber bezogen auf einen ganz konkreten Schaden, nicht auf Schmerzensgeld. Man muss seinen Anspruch vor Gericht nachvollziehbar beziffern.

Vor dem Hintergrund finde ich die Zahlungen, die jetzt im Raum stehen, eigentlich relativ großzügig. Wenn die Lufthansa 25.000 Euro Schmerzensgeld anbietet, zusätzlich zu schon gezahlten 50.000 und noch ausstehenden 10.000, dann sind wir schon bei 85.000 für jeden Hinterbliebenen.

Paul Degott ist Reiserechtsanwalt in Hannover.