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"Besuch ist symbolisch zu betrachten"

Volker Wagener10. November 2014

Ein historischer Besuch: Albaniens Ministerpräsident Edi Rama trifft seinen Amtskollegen Aleksandar Vucic in Belgrad. Beide Staaten wollen in die EU, doch das wird noch lange dauern, sagt Balkan-Experten Dusan Reljic.

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Dusan Reljic (Foto: DW)
Bild: DW

Deutsche Welle: Herr Reljic, beide Staaten, Albanien und Serbien, wollen in die EU. Das scheint aber auch das einzige zu sein was Tirana und Belgrad eint. Ein Treffen unter dem unausgesprochenen Druck Brüssels?

Dusan Reljic: Im Großen und Ganzen ja, obwohl ein Spannungsverhältnis zwischen Belgrad und Pristina nicht durch direkte Probleme zwischen diesen zwei Ländern gegeben ist, sondern vor allem wegen der Kosovo-Frage. Seitdem sich das Kosovo 2008 für unabhängig erklärt hat und Serbien weiterhin den völkerrechtlichen Anspruch auf Kosovo erhebt, ist es so, dass Albanien eigentlich die Beziehungen mit Serbien so schnell wie möglich normalisieren möchte, eben wegen des EU-Beitritts. Serbien wiederum würde das auch gerne tun, aber weil die Anerkennung Kosovos ein großes Problem ist und weil man immer wieder auch die Befürchtung hegt, dass sich dahinter großalbanische Pläne verbergen, ist die Lage nach wie vor ziemlich angespannt und das hat man auch heute, während des Besuchs sehr deutlich gesehen.

Gibt es im Streit um das Kosovo überhaupt irgendeine Schnittmenge, um den Konflikt zu entschärfen und womöglich EU-tauglich zu werden?

Die EU-Tauglichkeit der Länder wird sich vor allem dadurch zeigen, inwieweit sie ihre wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Systeme reformieren können. Serbien ist ja Beitrittskandidat und verhandelt schon über den Beitritt. Während Albanien in diesem Sommer Kandidat geworden ist und die Verhandlungen noch nicht begonnen haben. Bilateral könnten die Länder durchaus ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit stärken. Da gibt es Interesse und Wirtschaftsleute treffen sich auch. Politisch ist der Druck, wegen der innenpolitischen Kritik, ziemlich stark. So muss Rama unbedingt zeigen, dass er nicht nur das Kosovo unterstützt, sondern sich auch für die Sache der Albaner in Serbien selbst stark macht. Es leben etwa 80.000 Albaner in Südserbien, er wird auch dorthin gehen und eine Ansprache halten. Der innenpolitische Druck, dass er die nationalen Interessen nicht aufgibt, ist sehr stark. Deswegen ist dieser Besuch heute eher symbolisch zu betrachten. Die steinernen Gesichter von Vucic und Rama sagen viel über die Atmosphäre während der Gespräche aus. Und am Ende hat es fast eine Konfliktsituation gegeben, denn Rama hat in der Pressekonferenz gesagt, dass die Unabhängigkeit Kosovos eine Tatsache ist. Vucic hat das nachher als eine Provokation bezeichnet, d.h., politisch ist da zwischen den beiden Ländern noch sehr sehr viel zu tun.

Trotzdem sollen einige Wirtschaftsabkommen geschlossen worden sein. In welchen Bereichen?

Energie ist wichtig. Albanien hat von Zeit zu Zeit sogar Energieüberschüsse, weil dort sehr viel Energie hergestellt wird. Es gibt dort auch Erze wie Kupfer und Buntmetalle, die aus Albanien exportiert werden. Serbien hat eine große landwirtschaftlichte Produktion, die Nahrungsmittel sind gefragt in der Region. Da gibt es durchaus Verbindungen, man spricht auch über den gemeinsamen Ausbau von Autobahnen, Eisenbahnverbindungen. Das ist alles möglich, da gibt es handfeste Interessen. Allerdings in der gesamten Region Südosteuropas die wirtschaftliche Aktivität nicht besonders stark. Seit 2008 spürt man die europäische Schulden- und Finanzkrise in der Region stark. Und große Zuwächse im Bruttosozialprodukt oder den Beschäftigungen sind nicht vorhanden, eher im Gegenteil. Alle Länder dort befinden sich auf wirtschaftlicher Talfahrt und es ist noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Wer hat auf albanischer und serbischer Seite die Meinungshoheit über das Thema Kosovo? Sind es nur die Radikalen oder gibt es eine Perspektive für die EU-Orientierten?

Das ist eine sehr gespaltene Situation, die wir in beiden Ländern vorfinden. Wenn in den Meinungsumfragen, in Albanien zum Beispiel, gefragt wird, seid ihr für ein Großalbanien, seid ihr für eine Vereinigung aller albanischen Territorien? Dann liegt die Antwort in Albanien für ein 'Ja' bei 60 Prozent. Im Kosovo ist die Zustimmung noch viel höher: 90 Prozent. Aber wenn man Albaner in Albanien fragt: Soll die Regierung etwas unternehmen, um ein Großalbanien zu erreichen. Dann beträgt die Zustimmung nur drei bis vier Prozent. Und gleichzeitig wollen die Menschen den EU-Beitritt. 50-60 Prozent der Menschen sagen, wir müssen so schnell wie möglich in die europäische Union. Und ähnlich ist es in Serbien. Die Zustimmung für einen EU-Beitritt liegt bei etwa 50 Prozent und mehr. Gleichzeitig, wenn Serben befragt werden, ob sie sich völkerrechtlich vom Kosovo trennen sollen und dafür lieber auf die EU-Mitgliedschaft verzichten, dann ist die Zustimmung dafür auch bei 60 Prozent und mehr.

Wann sind Albanien und Serbien bereit für die EU?

Das kann man überhaupt nicht vorhersehen. Es hat an erster Stelle damit zu tun, dass man in Brüssel und auch in den europäischen Hauptstädten Angst vor einem griechischen Szenario in den ehemaligen Republiken Jugoslawiens und auch in Albanien hat. Alle Länder in der Region sind hochverschuldet, vielleicht mit Ausnahme Mazedoniens. Als Jugoslawien zerfiel, lag die Außenverschuldung des Landes bei etwa 23 Milliarden Dollar. Jetzt haben die Nachfolgestaaten Jugoslawiens, einschließlich Sloweniens, aber minus Albanien, rund 90 Milliarden Euro Schulden und die Haushaltsdefizite sind groß. Die Handelsdefizite sind sehr groß, sodass die ausländischen Partner in Brüssel, auch in Berlin und anderswo große Angst davor haben, dass diese Länder zahlungsunfähig werden. Bevor man weitere von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Länder in die EU hineinlässt, will man versuchen die wirtschaftliche Situation der Länder zu verbessern. Allerdings ist die wirtschaftliche Abhängigkeit der dortigen Länder von der EU so stark, dass sie ohne einen großen Aufschwung in Deutschland, Italien - den wichtigsten Handelspartnern in der Region - überhaupt nicht damit rechnen können wieder auf die Beine zu kommen.

Dusan Reljic ist Südosteuropa-Experte und Leiter des Brüsseler Büros der Stiftung Wissenschaft und Politik.