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Rentenreform mit Tücken

Jannis Papadimitriou, Athen6. Mai 2016

Am Sonntag will die griechische Regierung ihre umstrittene Rentenreform verabschieden. Die Rentner sind entrüstet, Gewerkschaften rufen zum Streik auf. Jannis Papadimitriou berichtet aus Athen.

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Griechenland Rentner in Athen (Foto: Picture alliance)
Bild: picture-alliance/Rainer Hackenberg

Dimitris ist verbittert. Mit mickrigen 406 Euro im Monat muss der pensionierte Bauarbeiter auskommen. Und selbst diese bescheidene Summe, die im griechischen Bergland gerade zum Überleben reicht, soll gekürzt werden. Der Hintergrund: Da Dimitris wegen Gesundheitsproblemen vorzeitig und mit Abschlägen in den Ruhestand ging, beträgt seine Grundpension nicht mehr als 253 Euro. Dazu kommt eine staatlich finanzierte "Solidaritätszulage" (EKAS) in Höhe von 153 Euro, die auf der Kippe steht. Denn alles, was über die Grundrente hinaus geht, ist den Kreditgebern ein Dorn im Auge und soll im Rahmen der anstehenden Rentenreform abgeschafft oder zumindest gekürzt werden.

Sollte es dazu kommen, erklärt Dimitris im Gespräch mit der DW, müsste er seine Kinder, die selbst gerade noch über die Runden kommen, um Geld bitten. Das würde ihm nicht leicht fallen, sagt der 75-Jährige, der aus einer Bauernfamilie stammt und sein ganzes Leben in der Nähe der zentralgriechischen Stadt Lamia gearbeitet hat: "Schon mit fünf Jahren musste ich auf dem Hof helfen, später war ich als Fahrer, Bauarbeiter und, in meinen reifen Jahren, auch als Subunternehmer im Baugewerbe tätig. Ich habe ewig geschuftet, bis ich irgendwann einen Herzinfarkt bekam. Und das alles für nichts!"

Hohe Einschnitte

Nach langem Zögern hat Linkspremier Alexis Tsipras seine Rentenreform Ende April dem Parlament vorgelegt. Vorgesehen sind Rentenkürzungen um drei Milliarden Euro bis 2019, sowie höhere Sozialbeiträge. Anders als früher angekündigt wurde, soll die umstrittene Reform noch am Sonntag verabschiedet werden - rechtzeitig vor einem Treffen der Euro-Finanzminister am Montag, bei dem die Sparbemühungen Griechenlands auf dem Prüfstand stehen. Die Gewerkschaften reagieren mit einem zweitägigen Generalstreik.

Sozialminister Jorgos Katrougalos versucht zu beschwichtigen: Neun von zehn Versicherten würden nach der Reform besser dastehen als zuvor, sagt er. Rentner Dimitris glaubt ihm kein Wort: "Was hatten uns diese Leute alles versprochen, als sie noch in der Opposition waren: Das Mindestgehalt wollten sie anheben, Rentenkürzungen rückgängig machen. Nichts davon haben sie eingehalten." Den einst mitregierenden Konservativen und Sozialisten, die gegen Rentenkürzungen protestieren, schenkt der Pensionär ebenfalls kein Vertrauen: Die hätten doch selbst mehrere Sparrunden bei den Rentnern durchgesetzt.

Der griechische Premier Alexis Tsipras (Foto: epa)
Tsipras erntet Kritik - von allen SeitenBild: picture-alliance/dpa/A. Vlachos

Zustimmung der Geldgeber bleibt aus

Die Entscheidung von Tsipras, die Rentenreform ohne ausdrückliche Zustimmung der Kreditgeber Griechenlands ins Parlament einzubringen, sorgt für Irritationen. Von allen Seiten erntet er Kritik: Während die Betroffenen über schmerzhafte Kürzungen und die Nichteinhaltung von Wahlversprechen klagen, gehen die Reformvorhaben den Gläubigern vermutlich nicht weit genug. "Das Vorgehen dieser Regierung birgt Risiken", mahnt die konservative Europapolitikerin Marietta Giannakou im Radiointerview. Sie vermutet, dass die umstrittene Reformvorlage von den Geldgebern zurückgewiesen wird.

Wirtschaftsanalyst Kostas Stoupas sieht die innenpolitischen Zwänge, denen Tsipras ausgesetzt ist, und meint, der Linkspremier wolle in geradezu "theatralischer Art und Weise" Mut demonstrieren und sich von seinen politischen Gegnern abheben. "Die Botschaft von Tsipras lautet: Anders als die Vorgängerregierungen, die alles nur abnickten, sind wir willens und in der Lage, eigene Entscheidungen zu treffen", erläutert der Ökonom.

Unter dem Druck der Gläubiger hat sich in den vergangenen Jahren immerhin einiges geändert im griechischen Rentensystem: Das Renteneintrittsalter wurde auf 67 Jahre angehoben - allerdings nur für Versicherte, die nach 1993 in den Arbeitsmarkt eingetreten sind. Im Durchschnitt bekommen Ruheständler heute 25 Prozent weniger Geld als vor der Krise, was zur Folge hat, dass jeder zweite Rentner unter die Armutsgrenze fällt. Trotzdem ist das Rentensystem weiterhin auf staatliche Subventionen angewiesen - allein schon deshalb, weil die Rentenkassen durch den Schuldenschnitt für Privatgläubiger im Jahr 2012 mehr als die Hälfte ihrer Rücklagen verloren haben.

Analyst Stoupas sieht das Hauptproblem allerdings woanders: Jeder Dritte gehe immer noch frühzeitig in Rente und deshalb sei das System nicht finanzierbar und auch nicht fair für die Mehrheit der Beitragszahler. Die angepeilte Reform werde dieses Grundproblem nicht lösen, mahnt der Wirtschaftsexperte.

"Steuergewitter" in Sicht

Als wären Rentenkürzungen nicht genug: Am Sonntag soll das Parlament auch Steuererhöhungen auf Benzin, Tabak, Zigaretten, Kabelfernsehen und Glücksspiele verabschieden. Im Gespräch sind eine Internet-Steuer und eine Sonderabgabe auf Banktransaktionen, die Mehrwertsteuer wird ebenfalls auf 24 Prozent angehoben. Griechische Medien warnen vor einem aufkommenden "Steuergewitter". Das Ziel: Zusatzeinnahmen in Höhe von 1,8 Milliarden pro Jahr.

Dem leidenschaftlichen Raucher Dimitri macht deshalb auch noch die geplante Steuer auf Zigaretten zu schaffen. Viel schmerzhafter sei aber die Erhöhung der Mehrwertsteuer, empört sich der Ruheständler. Dadurch würden Lebensmittel, Medikamente, Strom und Wasser spürbar teurer.

Für die griechische Finanzmisere macht Dimitris in erster Linie die Regierungen der vergangenen Jahre verantwortlich. Aber auch die Geldgeber seien nicht ganz unschuldig daran. "Die haben doch bestimmt verstanden, dass man Reformen nicht nur auf Steuererhöhungen und Rentenkürzungen aufbauen kann. Trotzdem bestehen sie weiterhin darauf", klagt er. Was ihn noch mehr empört: Allein die Abgeordneten werden von künftigen Rentenkürzungen verschont. Für dieses Privileg hat Sozialminister Katrougalos eine verblüffend einfache Erklärung, die nicht nur Rentner Dimitris ärgert: Die Altersbezüge der Parlamentarier würden nun mal vom Staat vergeben und nicht durch Sozialbeiträge finanziert.