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Renzi im Dilemma

Zhang Danhong26. September 2014

Was lange vermutet wurde, wird nun Gewissheit. Italien wird in die Rezession rutschen, berichten Insider. Die Stimmung in der Wirtschaft ist im Keller. Das bringt den jungen Premierminister Matteo Renzi in Bedrängnis.

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Italiens Premier Matteo Renzi im Europoäischen Parlament (Foto: rtr)
Bild: Reuters

Wenn einer die verkrusteten Strukturen in Italien umkrempeln kann, dann er. Das dachten viele, als der junge und charismatische Matteo Renzi vor sieben Monaten die Macht in Rom an sich riss. Seine To-do-Liste ist tatsächlich lang.

"Apartheid" auf dem Arbeitsmarkt

Beispiel Arbeitsmarkt: Wer in Italien fest angestellt ist, kann sich glücklich schätzen. Denn in kaum einem anderen Land genießt er einen so hohen Kündigungsschutz. Sollte er doch entlassen werden, kann er vor Gericht ziehen. In der Regel bekommt er Recht und muss entweder wieder eingestellt werden oder fürstlich entschädigt werden.

Des einen Freud des anderen Leid. Vor allem junge Menschen leiden unter diesem System. Hohe Hürden bei der Kündigung halten Unternehmer davon ab, neue Stellen zu schaffen. So findet fast jeder zweite Italiener unter 24 keinen Job.

Diese "Apartheid" auf dem Arbeitsmarkt will Matteo Renzi durchbrechen. In einem "1000-Tage-Programm" kündigte er an, ein einheitliches Recht für neu Eingestellte einzuführen. Zwar sollen sie weiterhin einen unbefristeten Vertrag bekommen, der jedoch in den ersten drei Jahren ohne Angaben von Gründen gekündigt werden kann.

Bisher wenig geliefert

Ob sich der 39jährige Premierminister damit durchsetzen kann, steht in den Sternen. Fest steht für Marco Wagner, Analyst bei der Commerzbank, dass Renzi seit seinem Amtsantritt im Februar wenig geliefert hat: "Er hat wirklich den Mund sehr voll genommen. Er hat gesagt, dass er das ganze Establishment abschaffen und zerschlagen will."

Marco Wagner Analyst Commerzbank AG (Foto: Commerzbank AG)
Marco Wagner von der CommerzbankBild: Commerzbank AG

Eine Reform pro Monat wollte er durchführen. Doch die großen Reformen, die Italien auf den Kopf stellen sollten, entpuppten sich entweder als Kosmetik oder gar als PR-Trick, wie zum Beispiel die Unternehmenssteuer, die um zehn Prozent gesenkt werden soll: "Das hört sich viel an. Aber wenn man sich das genauer anschaut, dann sind das nur zehn Prozent von der regionalen Steuer von vier Prozent. Im Endeffekt 0,4 Prozent von der ganzen Steuerlast", sagt Wagner gegenüber der Deutschen Welle.

Auch die Steuererleichterung für Geringverdiener hält er für wenig sinnvoll: "Das war ein kleines Bonbon für die Wählerschaft. Im Endeffekt wird es nur dazu führen, dass der Staat noch weniger fiskalischen Spielraum hat."

Kein Ausweg aus dem Teufelskreis

Erst im vergangenen Jahr ist Italien aus dem Defizitverfahren der EU-Kommission entlassen worden. Nun muss das Land wieder aufpassen, dass das Haushaltsdefizit die erlaubte Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigt. Während Rom dieses Defizit unter Kontrolle halten könnte, sind die Gesamtschulden des Staates völlig aus dem Ruder gelaufen. So betragen die Staatschulden 133 Prozent der Wirtschaftsleistung. Eine höhere Schuldenquote in der Eurozone weist nur Griechenland auf. Ähnlich wie Japan hat sich der italienische Staat in erster Linie bei den eigenen Bürgern verschuldet.

"Wenn man jetzt die Schulden zurückfahren wollte, dann müsste man entweder die Steuern erhöhen oder die Staatsausgaben senken", sagt Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Oder: Man schafft ein hohes Wirtschaftswachstum. Doch nicht mal ein Miniwachstum, was Rom prognostiziert hatte, wird dieses Jahr erreicht. Eine Rezession ist so gut wie sicher. In dieser Situation wäre jede Steuererhöhung oder Ausgabenkürzung kontraproduktiv, meint Vöpel: "Ein gewisser Teufelskreis macht sich bemerkbar." Seiner Meinung nach soll der Staat nicht weniger, aber anders ausgeben. "Man muss investieren in die Wettbewerbsfähigkeit, in die Produktivität der italienischen Wirtschaft", so Vöpel gegenüber der DW.

Henning Vöpel vom Hamburgischen Welt Wirtschaftsinstitut
Henning Vöpel vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitutBild: HWWI

Italien fällt immer weiter zurück

In den vergangenen Jahren ist das südeuropäische Land immer weniger wettbewerbsfähig geworden. In einem Ranking des Weltwirtschaftsforums landete Italien auf Platz 49, weit hinter Spanien und Portugal. Das verwundert nicht, denn die Lohnstückkosten dort sind in den letzten zehn Jahren viel stärker gestiegen als in den anderen großen Euroländern. Das liegt an einem alten Gesetz, dass die Löhne mit der Inflation steigen sollten. "Juristisch wurde es 1993 abgeschafft, aber faktisch ist es so, dass die Löhne immer noch eins zu eins mit den Verbraucherpreisen steigen. Das Problematische daran ist, dass die Produktivität im Grunde stagniert", sagt Commerzbank-Analyst Marco Wagner. Das hat dazu geführt, dass Italien bereits vor dem Ausbruch der Krise das konjunkturelle Schlusslicht im Euroraum bildete.

Die überbordende Bürokratie ist das andere große Problem des Mittelmeerstaates. Ein Unternehmer muss dort rund 260 Tage warten, bis der Bau einer neuen Halle genehmigt wird. In den USA geht es zehnmal schneller.

Italien ist zudem bekannt für sein instabiles politisches System. Die Amtsdauer von 18 Nachkriegsministerpräsidenten lag unter 1000 Tagen. Um also sein 1000-Tage-Programm durchzuziehen, muss es Matteo Renzi erst mal schaffen, so lange im Amt zu bleiben.