Reporter-Tagebuch: Von Kameramännern und Banküberfällen
15. Februar 2010Die Flüge von Berlin nach Paris und von Paris nach Atlanta liegen bereits hinter mir. Nun fehlt noch das letzte "Stückchen" vom US-amerikanischen Riesenflughafen Atlanta bis in die honduranische Hauptstadt Tegucigalpa. Ein Name, der nicht ganz so gefällig über die Zunge geht – die Flugbegleiterin verhaspelt sich mehrmals bei ihren Ansagen.
Ohne Koffer fern der Heimat
Ich bin der letzte, der in der langen Schlange abgefertigt wird, die Einreise wäre geschafft. Doch mein Rucksack liegt nicht auf dem längst abgestellten Gepäckband, das ist mit einem Blick zu sehen. Die wichtigsten Sachen habe ich zum Glück im Handgepäck. Allerdings dauert die Einreise inklusive Reklamation nun sehr lange. Die Türen im Flughafen wurden schon abgeschlossen – viele Flugzeuge landen hier nicht am Tag. Ein eifriger Mitarbeiter schließt sie wieder auf, nimmt mich am Arm und führt mich zu Ron, der schon auf dem Weg zum Auto war, weil er dachte, ich wäre nicht angekommen. Ronald Turner ist Unternehmer in Honduras und wird mir sein Wasserkraftwerk zeigen. Hier, am Flughafen Tegucigalpa, treffe ich auch das einheimische Vier-Mann-Team, mit dem ich in den kommenden Tagen drehen werde. Über holprige Straßen fahren wir in vier Stunden ins honduranische Hochland, nach La Esperanza.
Erster Drehtag: Ein kanadischer Investor
Es ist kalt. 15 Grad höchstens. Neblig, regnerisch. La Esperanza soll der kälteste Ort in Honduras sein. Heute filmen wir im Haus einer Familie, die einen neuen Brennholzofen bekommen hat. Ron lässt die Öfen bauen. Der Packen Holz reicht nun statt acht Tagen einen ganzen Monat. Das schont die Familienkasse und die Wälder – irgendwann einmal will Ron damit Geld verdienen. Es ist fraglich, ob das jemals der Fall sein wird. Noch schießt er eigenes Kapital dazu.
Ronald Turner kommt aus Kanada, seit rund einem Jahrzehnt macht er in Honduras Geschäfte. Fast alle haben mit Elektrizität zu tun. San Fernando zum Beispiel ist ein Dorf, das seit wenigen Jahren Strom hat. Er liefert den Strom aus dem nahe gelegenen Wasserkraftwerk und hat die Leitungen in die Gemeinde verlegen lassen. Ohnehin geschieht fast alles, was er unternimmt, in enger Abstimmung mit den Menschen, die hier leben.
"Action!"
Alle Leute, mit denen wir reden, sind freundlich, lassen uns in ihre Häuser. Sie freuen sich, dass sie Strom haben, können nun beispielsweise Saft, den sie herstellen und verkaufen, länger frisch halten. Der Kameramann dreht ambitioniert. Dass er auch oft Kinofilme dreht, ist ihm anzumerken. Er versucht, viel zu arrangieren. Kinder, die zufällig des Weges kommen, werden angehalten, und dürfen erst auf seinen Ruf hin ("Action!") weiter gehen.
Mein Rucksack hat den Weg aus Atlanta auch heute nicht geschafft. Keine Ahnung, warum. Es ist nicht leicht, überhaupt Auskünfte zu bekommen, wenn man so weit vom Flughafen entfernt ist. Klar ist jedenfalls: geliefert bekomme ich mein Gepäck hierher nicht, da muss ich mich schon selber drum kümmern.
Zweiter Drehtag: Wasser marsch!
Heute zeigt uns Ron das Wasserkraftwerk. Spannende Sache. Insgesamt drei kleine Kraftwerke hat er im Verlauf des Flusses auf seinem riesigen Areal eingebaut. Vielen Leuten bringt das hier Arbeit.
Heute arbeite ich mit einem anderen Kameramann als gestern. Mit ihm klappt die Zusammenarbeit zunächst nicht so gut. Kommunikationsprobleme. Ich versuche ihm – über den Dolmetscher – zu erklären, was bei dem Dreh wichtig ist. Zeitweise werde ich sehr nervös, wenn ich die Kollegen arbeiten sehe. Eben etwas anders als bei uns. Im Tagesverlauf wird es aber besser und am Ende des Tages, als ich mir die Bilder anschaue, bin ich dann doch zufrieden.
Honduranischer Papierkrieg
Nach zahlreichen Anläufen sieht es heute gut für mein Gepäck aus. Die Honduraner, so höre ich, legen noch mehr Wert auf ausgefüllten Papierkram als die Deutschen. Nun hat die Fluggesellschaft alles, was sie braucht (Kopie Reisepass, Vollmachten, Original-Quittung fürs Gepäck und noch vieles mehr) und tatsächlich: mithilfe eines netten Kollegen in der Hauptstadt bringt der Überlandbus nach zweieinhalb Tagen meinen Rucksack bis zum Busbahnhof in La Esperanza, wo mich Luis und Waleska hinfahren. Die beiden arbeiten in Rons Unternehmen. Anschließend zeigen sie mir ihr neues Haus, in das sie in knapp zwei Wochen einziehen wollen. Viele Zimmer, Garten, Stacheldrahtzaun. Die Baustelle wird Tag und Nacht bewacht. Dem jungen Paar geht es deutlich besser als vielen ihrer Landsleute hier.
Dritter Drehtag: Banküberfall
Heute filmen wir alles das, was noch übrig geblieben ist. Geschäfte, Leute, Häuser, Natur, Tiere. Einen Fragebogen für die Sendung Global 3000. Dafür gehen wir einfach in eine Bank. Der bewaffnete Sicherheitsmann macht auf und lässt uns rein. Der Bankangestellte macht mit, aber gerne, so habe ich den Eindruck, tut er es doch nicht. Er ist etwas verkrampft und lockert sich nur langsam. In Deutschland wäre das undenkbar, einfach in eine Bank spazieren mit der Kamera und ein Interview führen, den sensiblen Kassenbereich filmen. Für uns eine interessante Erfahrung. Nach drei Tagen habe ich alles im Kasten und weiß nun eine ganze Menge über das Land.
Klug aus Erfahrung
Ron fährt am nächsten Tag in die Hauptstadt und nimmt mich mit. Das bedeutet: vier Stunden Geschichten über Land, Leute und Politik, seinen Kampf gegen die Bürokratie, die Schwierigkeiten mit Geldgebern und die besonderen Eigenarten der Banken. Am Ende steige ich am Flughafen mit rauchendem Kopf aus, verspeise ein letztes Mal vor dem Abflug ein typisches honduranisches Gericht und fliege dann zwei Tage zurück in Richtung Europa. Alle wichtigen Sachen, dazu gehören vor allem die Drehbänder, habe ich im Handgepäck. Sicher ist sicher.
Autor: Sascha Quaiser
Redaktion: Klaus Esterluß