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Gespräch mit Roger Moreno Rathgeb, der "Requiem für Auschwitz" komponierte

Margarete Kreuzer30. November 2012

Roger Moreno Rathgeb hat ein musikalisches Werk gegen das Vergessen komponiert. Ein Gespräch über Teufelsgeiger-Klischees und den Mut zur Erinnerung.

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Komponist Roger Moreno, Sinti-Roma-Orchester; Copyright: Roger Moreno***via Aygül Cizmecioglu
Bild: Roger Moreno

DW: Herr Moreno Rathgeb, Sie selbst kommen aus einer Sinti-Familie. Seit Jahren spielen Sie in unterschiedlichen Jazz-Bands und komponieren. "Requiem für Auschwitz" ist ihr erstes klassisches Werk, das aufgeführt wurde. Wie ist dieses Stück entstanden?

Die Idee kam mir, nachdem ich 1998 das erste Mal in Auschwitz war. Bis dato hatte ich über den Holocaust nur Bücher gelesen oder das Schrecken auf der Kinoleinwand gesehen. Es war immer eine Distanz da. Aber wenn man durch diese Pforte geht, wo in großen Buchstaben "Arbeit macht frei" steht, da spürt man den Schmerz ganz unmittelbar körperlich. Das hat mich umgehauen.

Haben Sie selbst Verwandte in Auschwitz verloren?

Nein, meine Familie lebte zu diesem Zeitpunkt Gott sei Dank in der Schweiz. Aber Hunderttausende andere Sinti und Roma sind dort umgekommen. Es machte mich wütend, dass dort zwar überall Fotos von jüdischen Opfern zu sehen waren, aber nirgends ein Schild, das zum Lager der Sinti und Roma führte. Wenn die Rede vom Holocaust ist, dann denkt man meistens an die jüdischen Opfer, was ich auch nachvollziehen kann. Dabei hat auch mein Volk gelitten, Sinti und Roma sind auch gestorben. Sie haben auch ein Anrecht auf Gedenken.
Nach jahrelangen Diskussionen ist vor einigen Wochen in Berlin das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma präsentiert worden. Wie finden sie es?

Ich war sogar bei der Eröffnung dabei, und das Denkmal gefällt mir sehr gut. Vor allem, weil das Wasser dabei so eine zentrale Rolle spielt. Wissen Sie, in Auschwitz befand sich das Lager für die Sinti und Roma, ganz abgelegen in der Nähe eines kleinen Weihers. Dort haben die Nazis die Asche jener Menschen reingeschmissen, die sie umbrachten. Deswegen schimmerte das Wasser schwarz. Daran erinnert mich das Denkmal in Berlin. Es ist ein Symbol gegen das Vergessen, genauso wie mein Requiem. Übrigens ist es das erste musikalische Werk, das sich mit dem Holocaust auseinandersetzt und die Perspektive der Sinti- und Roma in den Mittelpunkt stellt.

Aber wie schreibt man solch ein musikalisches Erinnerungswerk?

Das war ein sehr langer Prozess des Nachdenkens. In was für eine Form gießt man das Ganze? Geht das überhaupt? Ich habe ja keine professionelle, musikalische Ausbildung. Dann hat mir jemand geraten, ich solle doch ein Requiem schreiben. Ich ging nach Hause und dachte "Was ist denn ein Requiem?" Ich hatte keine Ahnung und musste erst einmal nachschlagen, wie man so etwas komponiert, wie der Aufbau ist, worauf man achten muss. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht christlich bzw. religiös erzogen worden bin.

Was war ihnen musikalisch wichtig?

Vor allem wollte ich dissonante Töne vermeiden. Wenn man an Musik und Auschwitz denkt, erwarten die meisten etwas Düsteres, schräge Töne, ein Stück voller Dissonanzen und Disharmonien. Gerade das wollte ich aber nicht. Mein Requiem klingt harmonisch und melodiös.

*****ACHTUNG!!!! NUTZUNG einmalig für diesen Onlinetext; NUR FÜR DEN ARTIKEL ZU "ROMA UND SINTI PHILHARMONIKER / SAHITI"******************************* Zulieferung durch Aygül Cizmecioglu. Sinti-Roma-Orchester: Wer hat das Bild gemacht?: ©Jan van Eerd Wann wurde das Bild gemacht?: 2012, Ort unbekannt. Bildbeschreibung: Das „Sinti-Roma“-Orchester bei der Aufführung von „Requiem für Auschwitz“
Die Sinti & Roma Philharmoniker spielen "Requiem für Auschwitz"Bild: Jan van Eerd
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma wird am 24.10.12 in Berlin eingeweiht. Knapp 70 Jahre nach Kriegsende wurde am Mittwoch in Berlin das Denkmal für die 500.000 von den Nazis ermordeten Sinti und Roma eingeweiht. Foto: Rainer Jensen/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Gegen das Vergessen - das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma in BerlinBild: picture alliance/dpa

Hat Ihr Werk auch eine politische Ebene?

Ich selbst wollte gar nicht das Stück politisieren. Es sollte ursprünglich nur eine Ehrung der Ermordeten sein, eine musikalische Erinnerung. Aber gut, man kann es bei dieser Thematik nicht verhindern, dass politische Motive reininterpretiert werden. Die angenehme Nebenwirkung dieser Komposition ist ja, das man mit so einer Musik auch die Leute in der Politik erreicht, die an den entscheidenden Stellen sitzen und auch etwas verändern könnten. Und wenn man sie zum Nachdenken bringt, dann ist das doch ein toller Nebeneffekt.

Finden sich in diesem klassischen Orchesterwerk auch Elemente aus der Sinti- und Roma-Musik?

Natürlich. Es gibt ein immer wiederkehrendes Motiv, angelehnt an unsere traditionelle Musik. Besonders am Anfang des Stücks, im Präludium, spielt es eine dominante Rolle. Ich wollte, dass es dem "Schrei der Zigeuner" im Lager ähnelt. Und dieses musikalische Element durchzieht das ganze Werk – manchmal hört man es im Chor, manchmal bei den Bläsern. Es ist ein kleiner musikalischer Mosaikstein inmitten eines großen Werkes. Und das ist für mich auch symbolisch gemeint. Denn unser Volk ist ja auch eine kleine Minderheit innerhalb der großen Gesellschaft.

Gibt es eine Verbindung zwischen klassischer Musik und der traditionellen Musik der Sinti und Roma?

Natürlich, nur den Wenigsten ist das bewusst. Denken Sie nur an die "Ungarischen Tänze" von Brahms, die "Ungarische Rhapsodie" von Liszt oder die Bizets Oper "Carmen". Das sind alles weltberühmte, klassische Stücke, die von unserer Sinti- und Roma-Musik inspiriert worden sind.

Bei Sinti- und Roma-Musik denken viele an folkloristische Klänge und das Klischee vom "Teufelsgeiger". Nervt Sie das?

Klar. Das passiert automatisch. Deswegen ist es toll, dass es die Sinti- und Roma Philharmoniker gibt, die mein Requiem jetzt aufgeführt haben. Die Zuschauer staunen auf einmal, dass es auch fantastisch ausgebildete klassische Orchestermusiker gibt und dass wir nicht nur auf der Straße spielen können, sondern auch in einem Konzerthaus.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Sinti & Roma Philharmonikern?

Ich traf 2004 den Dirigenten Riccardo M. Sahiti zufällig auf einer Weihnachtsfeier. Er erzählte mir von seinem Orchester. Und ich erzählte ihm, dass ich gerade mit einer Komposition beschäftigt war, ein Requiem für Auschwitz. Damals hat Riccardo das gar nicht so ernst genommen, weil bei ihm ständig Leute ankommen, die glauben komponieren zu können. Er änderte aber seine Meinung, als ich ihm 2007 einen ersten Entwurf des Requiems schickte.

Ihr Stück wurde in diesem Jahr in Amsterdam uraufgeführt und feierte gerade in Frankfurt die Deutschland-Premiere. Wie war es für Sie ihre Musik das erste Mal in einem großen Konzertsaal zu hören?

Unglaublich! Ich kannte bis dahin nur die elektronische Version auf dem Computer. Das ist natürlich nicht dasselbe. Am Rechner kann man die Akustik gar nicht einschätzen. Es war für mich sehr spannend, zu sehen, ob das alles auch mit Orchester so klingt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Und das hat es!

Gab es schon erste Reaktionen auf Ihr Stück?

Oh ja! Ich bekam kurz nach der Uraufführung einen Brief von einer älteren Dame aus Holland. Sie schrieb mir, dass sie als junges Mädchen anderthalb Jahre in einem Lager in Theresienstadt war und überlebte. Danach hatte sie anscheinend eine panische Angst vor allem, was deutsch war. Sie sah unsere Aufführung zufällig im Fernsehen. Ein paar Tage später fragten sie deutsche Touristen auf der Straße nach einer Adresse und sie fing an, sich mit ihnen auf Deutsch zu unterhalten. Erst zuhause wurde ihr bewusst, was passiert war. Sie schrieb mir, dass sie durch unser Requiem die Angst vor dem Deutschen verloren hat, sich befreit fühlt. Ich habe beim Lesen des Briefes eine Gänsehaut bekommen und musste weinen. Ist das nicht wunderbar, wenn man das mit Musik erreichen kann!

Das Gespräch führte Margarete Kreuzer

Komponist Roger Moreno, Sinti-Roma-Orchester; Copyright: Roger Moreno***via Aygül Cizmecioglu (hat Rechte telefonisch zugesichert)
Geballte Emotionen - Komponist Roger Moreno Rathgeb und der Dirigent Riccardo M. Sahiti nach der AufführungBild: John Baggen