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Rettung oder Milliardengrab?

14. Mai 2003

Für die Touristen mag es eine Attraktion sein, mit der Gondel über den Markusplatz gerudert zu werden, für die Venezianer ist das Hochwasser ein Albtraum. Jetzt geht ein spektakuläres Dammprojekt in Bau.

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Lagunenstadt unter WasserBild: AP

Der Markusplatz versinkt in den Fluten, im Dogen-Palast steht das Wasser bis zum zweiten Stock, die Touristen haben längst das Weite gesucht: Um solch ein Szenario in Venedig zu verhindern, startet am 14.5.2003 ein gigantisches Bauvorhaben, das die Lagunen-Stadt vor Überschwemmungen schützen soll. Von einem Schiff aus will der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi selbst den Grundstein für das so genannte MOSE-Projekt legen.

Mobile Deiche

Laufstege für die Touristen über dem überfluteten St. Markus Platz in Venedig
Bild: AP

Hinter der bedeutungsschwangeren Abkürzung verbirgt sich die Bezeichnung MOdulo Sperimentale Elekttromeccanico - die 78 riesigen mobilen Deich-Module, die bei drohendem Hochwasser den Eingang der Lagune versperren sollen. Sie kommen zum Einsatz, wenn das gefürchtete Aqua alta, das Hochwasser, im Anmarsch ist. Bei normalem Wasserpegel liegen die Module mit Wasser gefüllt auf dem Meeresgrund. Sobald das Wasser bis auf 110 Zentimeter über das normale Niveau steigt, wird Luft in die Tanks gepresst, so dass diese sich aufrichten und den Adriawellen den Weg in die Lagune versperren. Jedes der 78 Module, die auf vier Abschnitte verteilt sind, ist im aufgeblasenen Zustand 20 Meter hoch, bis zu fünf Meter breit und zwischen 18 und 28 Metern lang.

Die Idee zu dem mobilen Deichsystem entstand bereits in den 1960er-Jahren, nachdem am 9. November 1966 eine Flut katastrophale Schäden in der Stadt verursacht hatte. Nach weiteren schweren Überschwemmungen erklärte die Regierung in Rom die Rettung Venedigs zu einer Angelegenheit von nationalem Interesse.

Zu niedrig?

Erste Experimente fanden aber erst in den 1980er-Jahren statt. "Wir haben Jahre damit zugebracht, verschiedenen Hypothesen nachzugehen. Aber keine erwies sich als ausreichend effektiv. Doch dann kamen wir zu dem Schluss, dass es die beste Lösung sei, die Lagune im Notfall zu schließen", erklärt der Ingenieur Alberto Scotti, der Vater des Projekts. Jahrelang wurde über das Vorhaben gestritten: Kritiker wie der amerikanische Archäologe Albert Ammermann halten das Projekt schon jetzt für veraltet. Die Berechnungen für die Höhe des Wasserspiegels würden die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf den Meerespiegel nicht berücksichtigen. Die Deiche könnten schlicht zu niedrig und damit unnütz sein.

Die Projektionen der Umweltschützer sehen anders aus: Ihren Berechnungen zufolge wird es aufgrund der weltweiten Klimaveränderungen künftig in Venedig weit häufiger Hochwasser geben, als es die Ingenieure des MOSE-Projekts einkalkulieren: Nicht acht Mal pro Jahr, wie die Ingenieure rechneten, sondern an achtzig bis hundert Tagen im Jahr. In den Hochwassermonaten November, Dezember und Januar wäre die Stadt somit fast ständig vom Frischwasser abgeschnitten und die einmalige Wasserlandschaft könnte sich schnell in eine Kloake verwandeln.

Die Zeit drängt

St.Markus Platz in Venedig unter Wasser
Bild: AP

Trotz aller Proteste und Einwände gab Rom schließlich im September 2002 grünes Licht für MOSE. Klar ist allen, dass die Zeit drängt: Im 20. Jahrhundert stieg der mittlere Wasserpegel in der auf morastigem Untergrund erbauten Stadt bereits um 23 Zentimeter: Teils durch Absenkung der Stadt, teils durch Erhöhung des Meeresspiegels. In diesem Jahrhundert werden es nicht weniger sein.

Bauminister Pietro Lunardi rechnet damit, dass es acht Jahre dauern wird, bis MOSE Venedig tatsächlich vor den Fluten schützen kann. Bis dahin wird das Projekt voraussichtlich sechs Milliarden Euro an Baukosten verschlungen haben. Die Instandhaltungskosten sind mit jährlich acht Millionen Euro kalkuliert. Den Planern zufolge wird MOSE der Stadt und ihren einzigartigen Kunstschätzen hundert jahrelang Schutz bieten.

Wenn nicht, müssen die Venezianer wohl auf die Methode ihrer Vorfahren zurückgreifen: Diese hatten in regelmäßigen Abständen einfach die Fundamente ihrer Häuser aufgestockt. (sams)